Bundesarbeitsgemeinschaft
 Psychiatrie-
  Erfahrener e.V.

Endlich Rechtssicherheit

Durch jeweils zwei Entscheidungen haben das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 2011 und der Bundesgerichtshof (BGH) 2012 Rechtssicherheit geschaffen.

Das BVerfG hat 63 Jahre dazu gebraucht, um festzustellen, dass es noch nie eine grundgesetzkonforme Regelung der psychiatrischen Zwangsbehandlung gab. Das so lange nicht bemerkt zu haben, ist eine auch das Gericht selbst beschämende Feststellung, die gesichtswahrend verpackt werden musste. Deshalb hat das BVerfG die theoretische Erwägung in seinen Beschluss vom 23.3.2011 geschrieben, dass bei Einwilligungsunfähigen noch die Möglichkeit bestünde, dass der Gesetzgeber zur Wiederherstellung der Einwilligungsfähigkeit unter Erfüllung praktisch unerfüllbarer Voraussetzungen Zwangsbehandlung legalisieren könne.

Das hat es entschieden, weil es wusste, das so eine Regelung schon allein deshalb gar nicht mehr möglich ist, weil das Patientenverfügungsgesetz seit 1.9.2009 explizit für Einwilligungsunfähige aller Krankheiten in allen Stadien - also alle Betroffenen, sei es mit schriftlicher Patientenverfügung oder ohne - alles geregelt hat. Jeder Versuch nun doch noch eine Gruppe von Einwilligungsunfähigen auszusortieren, die vermeintlichen oder tatsächlich „Psychisch Kranken“, und mit irgendeiner Sondergesetzgebung Zwangsbehandlung zu legalisieren, wäre ein frontaler Angriff auf Wortlaut und Sinn des Patientenverfügungsgesetzes und den Gleichbehandlungsgrundsatz der UN-Behindertenrechts-konvention.

Oder, um es charmanter für das Bundesverfassungsgericht zu sagen: Das BVerfG hat 2011 den Rechtsfortschritt umgesetzt, der sich im Patientenverfügungsgesetz 2009 endgültig niedergeschlagen hatte. Demzufolge kann seitdem nicht mehr unter dem Vorwand eines fremdbestimmten “Wohls” des Betroffenen dessen Wille gebrochen werden. Dieser Rechtsfortschritt im Gesetz hat gleichzeitig dem BVerfG die Chance eröffnet, gesichtswahrend vorzutäuschen, es könnte doch noch eine Möglichkeit der Legalisierung von Zwangsbehandlung geben, bzw. es hätte früher diese Möglichkeit gegeben, um nicht offenbaren zu müssen, dass es sich 63 Jahre lang zu einem Menschen- und Grundrecht verletzendem Unrecht blind gestellt hatte.

Der BGH konnte dann die Entscheidung des BVerfG nur noch nachvollziehen, wenn er sich nicht – was undenkbar ist – gegen das übergeordnete BVerfG hätte stellen wollen. Auch wenn das dem BGH sehr schwer gefallen sein muss, weil er seine vorherige Rechtsprechung offensichtlich revidieren musste. Seit der Veröffentlichung dieser Entscheidung am 17.7.2012 ist endlich Rechtssicherheit geschaffen worden – die psychiatrische Zwangsbehandlung ist illegal. Und so muss es auch bleiben.

Dieser Rechtsfortschritt hat allerdings z.B . die Psychiatervereinigung DGPPN und den Deutschen Richterbund veranlasst, die gewonnene Rechtssicherheit zu einer angeblichen „Rechtsunsicherheit“ umzudeklarieren und diese Täuschung als Vorwand für die Forderung zu benutzen, dass die Gesetzgeber in Bund und Land neue Gesetze machen müssten. Unsere Perspektive ist hingegen, das Ende psychiatrischer Zwangsbehandlung zu einem Einstieg zu einer gewaltfreien Psychiatrie gemäß Behindertenrechtskonvention weiter zu entwickeln.

Eine Erklärung des Werner-Fuss-Zentrums und der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie Erfahrener

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