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Schirmherr: Gert Postel

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Haus der Demokratie u. Menschenrechte
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Gutachterliche Stellungnahme

Ratifikation der UN Disability Convention vom 30.03.2007 und Auswirkung auf die Gesetze für so genannte psychisch Kranke
am Beispiel der Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung nach dem PsychKG Berlin

(2. überarbeitete Fassung)

1. Fragestellung und Auftraggeber
Nach der Unterzeichnung der UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen (nachfolgend Behindertenrechtskonvention (BRK)) durch die Bundesrepublik Deutschland am 30.03.2007 beauftragte die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V. die Unterzeichner mit der Erstellung einer gutachterlichen Stellungnahme zu der Frage, ob nach einer Ratifikation der Konvention durch die Bundesrepublik Deutschland der Bundes- bzw. Landesgesetzgeber Änderungen in der Gesetzgebung über Zwangsunterbringung oder Zwangsbehandlung so genannter psychisch Kranker vornehmen muss, bis hin zur Abschaffung dieser Eingriffsmöglichkeiten.

Exemplarisch beschränkt sich diese gutachterliche Stellungnahme auf die Vereinbarkeit der Regelungen zur Zwangsunterbringung (§§ 1, 8, 9) und Zwangsbehandlung (§ 30) des Gesetzes für psychisch Kranke Berlin (PsychKG Bln) mit der BRK. Eine Beurteilung möglicher Auswirkungen auf das Betreuungsrecht ist ausdrücklich nicht Gegenstand dieser Fragestellung.

Zur Quellenlage ist anzumerken, dass es bislang kaum deutsche Veröffentlichung zu der hiesigen, mit der BRK verbundenen Fragestellung gibt [1] . Auf internationaler Ebene wird insbesondere auf die ausführliche Dokumentation der UN zur BRK und ihres Entstehungsprozesses auf den Webseiten „UN-Enable“ verwiesen [2] .

Der Direktor des deutschen Instituts für Menschenrechte, Dr. Heiner Bielefeld, beschreibt die BRK als wichtigen Impuls für die Weiterentwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes [3] :

„Voraussetzung jedes menschenrechtlichen Empowerment ist das Bewusstsein der Menschenwürde – der eigenen Würde und der Würde der anderen. Alle UN-Menschenrechtskonventionen, also auch die Behindertenkonvention, bekräftigen in ihren Präambeln den inneren Zusammenhang zwischen der „Anerkennung der inhärenten Würde“ und den „gleichen und unveräußerlichen Rechten aller Mitglieder der menschlichen Familie“. Auf diese Weise wird zunächst festgehalten, dass die Menschenwürde (wie immer sie in der religiös, weltanschaulich und kulturell pluralistischen Weltgesellschaft ansonsten interpretiert werden mag) den tragenden Grund der menschenrechtlichen Gleichheit, d.h. des Prinzips der Nicht-Diskriminierung, bildet. Außerdem wird im Blick auf die Menschenwürde der herausgehobene Stellenwert der Menschenrechte als „unveräußerlicher“ Rechte einsichtig: Es handelt sich um grundlegende Rechtspositionen, die von der Gesellschaft nicht nach Ermessen zuerkannt (und ggf. auch verweigert oder wieder aberkannt) werden können, sondern jedem Menschen aufgrund seiner Menschenwürde unbedingt geschuldet sind. Der Begriff der Menschenwürde ist für den Menschenrechtsansatz von schlechthin fundamentaler Bedeutung. In der Behindertenkonvention kommt dies besonders deutlich zum Tragen.“

Die BRK schafft keine neue Generation von Menschenrechten, sondern sie präzisiert und ergänzt die in den bestehenden internationalen Menschenrechtskonventionen, wie etwa dem Internationalen Pakt vom 19. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte [4] (IPBPR), benannten Rechte für Menschen mit Behinderungen [5] . Behinderte Menschen werden erstmals im internationalen Recht nicht mehr als Objekte der Fürsorge, sondern als gleichberechtigte Personen mit eigenen Menschenrechten wahrgenommen [6] . Die BRK verdeutlicht den Paradigmenwechsel vom medizinischen zum menschenrechtlichen Modell von Behinderung und setzt damit neue normative Standards [7] .

Anlässlich der Verabschiedung der Konvention durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen formulierte der seinerzeitige UN-Generalsekretär Kofi Annan die hohen Erwartungen an die Vereinbarung:

„Wenn die Konvention erst einmal angenommen, unterschrieben und ratifiziert ist, wird sie Auswirkungen auf die nationale Gesetzgebung haben, durch die die Möglichkeiten, wie Menschen mit Behinderung ihr Leben leben können, verändert werden. Es wird sich ein Weg in die Zukunft öffnen, durch den sichergestellt wird, dass Menschen mit Behinderungen die gleichen Menschenrechte genießen, wie alle anderen – bei Bildung, Beschäftigung, Zugang zu Gebäuden und anderen Einrichtungen und beim Zugang zur Gerichtsbarkeit. Es wird nicht über Nacht geschehen. Viel Arbeit muss noch getan werden, um die Ergebnisse zu erreichen, die durch die Behindertenrechtskonverntion angestrebt werden. Ich fordere alle Regierungen auf, ohne Verzögerung mit der Ratifizierung zu beginnen und dann die Gesetze umzusetzen.“ [8]

Ob diese Erwartungen von den Vertragsstaaten praktisch auch für derzeit als so genannte psychisch Kranke definierte Menschen verbindlich erfüllt werden müssen, oder ob die BRK in dieser Hinsicht eine gut gemeinte Willensbekundung ohne verbindlichen Nutzen bleibt, soll Gegenstand der nachfolgenden Untersuchungen sein.

Fortsetzung: Teil II

[1] Allgemein zur BRK: Bielfeld, Heiner; Zum Innovationspotential der UN-BehindertenBRK; Deutsches Institut für Menschenrechte, 12/2006; ferner Degener, Theresia, Vom Entstehen einer neuen Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen, VN 2006, 104ff.; Schmahl, Stefanie, Menschen mit Behinderungen im Spiegel des internationalen Menschenrechtsschutzes, Archiv des Völkerrechts 2007, 517ff..; Welke, Antje, das internationale Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung, Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 2007, 60ff.

[2] http://www.un.org/disabilities/

[3] Bielefeld, aaO

[4] Zuletzt BGBl. 1973 II S. 1533

[5] Welke, aaO, 60f. (65)

[6] Schmahl, aaO, 517 (524)

[7] Degener, VN 2006, 104

[8] Mark Malloch Brown, UN-Vize-Generalsekretär, Bekanntgabe vom 13.12.2006, www.isaac-online.org/ie/articles/152/1/Bekanntgabe-der-UN-Konvention; German translation: UN Convention announcement)

INDEX

II: Derzeitige Gesetzeslage und Anwendungspraxis des PsychKG Bln
1. Gesetzeslage - §§ 1,8,9,30 PsychKG Bln
2. Anwendungspraxis

III: Anwendbarkeit und Auswirkungen der BRK auf die Regelungen des PsychKG
1. Einschlägige Regelungen der BRK
2. Psychisch Kranke nach § 1 PsychKG Bln als Behinderte im Sinne von Art. 1 BRK
3. Vereinbarkeit der Zwangsunterbringung nach den §§ 8f. PsychKG Bln mit Art. 14 BRK
-a) Einschränkung des Rechts auf Freiheit, Art. 14 Abs. 1 a) BRK
-b) Rechtfertigung der Freiheitsbeschränkung,
Umkehrschluss Art. 14 Abs. 1b), Abs. 2 BRK
----aa) keine unmittelbare Kausalität zwischen Freiheitsentzug und Behinderung - "fürsorglicher" Freiheitsentzug als Zugang zur Unterstützung?
----bb) Rechtfertigung des Freiheitsentzuges zumindest mittelbar aufgrund von Behinderung
----cc) Diskussion
----dd) Fazit
4. Vereinbarkeit der Zwangsbehandlung nach § 30 PsychKG mit Art. 12, 14, 15, 17 BRK
--a) Art. 17 BRK, Verletzung der Gleichberechtigung der Achtung der körperlichen und geistigen Unversehrtheit
--b) Art. 15 BRK, Folter, unmenschliche oder grausame Behandlung
--c) Art. 14 BRK, Einschränkung der persönlichen Freiheit
--d) Art.12 BRK, Rechts- und Geschäftsfähigkeit
----aa) Eingriff in die Rechts- und Geschäftsfähigkeit
----bb) Art. 12 Abs. 3, Abs. 4 BRK: Zwangsbehandlung als Maßnahme zur Schaffung des Zugangs?
----cc) Fazit

IV: Folgen einer Unvereinbarkeit bestimmter Vorschriften des PsychKG Berlin mit der BRK
1. Umsetzung der BRK in der Bundesrepublik Deutschland durch Gesetz
2. Exkurs: Unmittelbar anwendbare Vorschriften der BRK
3. Materielle Vorgaben der BRK für die Regelungsgegenstände der Psychisch-Kranken-Gesetze
--a) Zwangsunterbringung
--b) Zwangsbehandlung
--c) Gestaltungsspielräume und Fürsorgepflichten des Gesetzgebers
--d) Konventionskonforme Auslegung als Übergangslösung und Regulativ
4. Entgegenstehendes Verfassungsrecht?
--a) Schutzpflichten für Rechtsgüter Dritter
--b) Schutz der Betroffenen vor Selbstschädigung

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