Berlin, 24. Mai 2012
Betr.:
Neufassung von § 8 Absatz 2 Satz 2 Unterbringungsgesetz
Baden-Württemberg (UBG)
Hier: Brief von der Ministerin für Arbeit und Sozialordnung,
Familie, Frauen und Senioren der Regierung von Baden-Württemberg,
Frau Katrin Altpeter, MdL an , MdB
Liebe ,
indem ich
mich bedanke, dass Sie mir den Brief von Katrin Altpeter an
Sie in der oben genannten Angelegenheit haben zukommen lassen,
will ich es nachträglich nicht versäumen, mich für
das Gespräch zu bedanken, das Sie trotz Ihrer knappen Zeit
René Talbot und mir gewährt haben. Eine Folge dieses
Gesprächs war es ja wohl, dass Sie sich in Sachen des neu
gefassten § 8 UBG an Ihre Kollegin Ministerin gewandt haben.
Erlauben
Sie mir, im alten Stil gesprochen, postwendend, mich vor allem
zur Kernpassage von Frau Altpeters Brief S. 2, Abs.1 ungeschminkt
zu äußern, da es hier um gesetzliche Bestimmungen
geht, die Personen existentiell betreffen. Da ist jedes Manövrieren,
jedes interessengruppenhaftes Kumulieren und Panaschieren nicht
akzeptabel.
1._
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Frau
Altpeter argumentiert, es gäbe außer der von
mir und anderen vertretenen strikten Ablehnung jeder
Zwangsmedikation auch andere Sichtweisen.
Sie trügen gute Gründe vor, die
für eine Zwangsbehandlung sprechen. Solche
würden gleichermaßen von Ärzten
als auch von Betroffenen geäußert. Zwangsbehandlung
würde beispielsweise in den Fällen befürwortet,
in denen die betroffener Person krankheitsbedingt zur
Einsicht in ihre Krankheit und deren Behandlungsbedürfigkeit
nicht in der Lage ist und die Zwangsbehandlung der Wiederherstellung
der tatsächlichen Voraussetzungen ihrer freien Selbstbestimmung
dienen kann. Im nächsten Absatz fügt Frau
Altpeter hinzu, auch das Bundesverfassungsgericht habe
in engen Grenzen die Zwangsmedikation
für rechtmäßig gehalten.
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2.
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Frau
Altpeter hat Recht, es gibt verschiedene Positionen. Sie
hat gleicher Weise Recht, dass das Bundesverfassungsgericht
in seinem mehrfachen Nein, auch eine mit vielen
Vorbehalten verstellte Lücke eines minimalen Ja
gelassen hat. Nein: Zwangsbehandlung ist mit den Grundrechten
nicht zu vereinbaren. Nein, Selbstgefährdung stellt
keine Gefahr dar, die rechtfertigte, Grundrechte zu beseitigen.
Ja unter der spezifischen Voraussetzungen,
dass die Person Anwendung von Zwang bei Unterbringung
und Behandlung selbst vorab und dokumentiert im einwilligungsfähigen
Zustand zugestimmt hat. Freilich: Frau Altpeters Art,
zu argumentieren erweckt den bestimmten Anschein, sie
gehe darauf aus, Zwangsbehandlungen für rechtens
erklären lassen zu wollen, ob wohl sie sich nicht
nur mit unseren, sondern auch mit anderen und schließlich
mit verfassungsgerichtlich vorgetragenen Gründen
nicht eine Spur lang auseinandersetzt.
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3.
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Darum
irrt Frau Altpeter mit Verlaub und aller angezeigten
Ehrerbietung gesagt. Zwang gegen Personen, hier in Sonderheit
gegen behinderte Personen, heischt auf dem Boden des
Grundgesetzes nach Maßgabe der unmittelbar
geltenden Grundrechte sonst geltende pluralistische
Beliebigkeit und vereinigende Summenformel von Interessen
gar in Form von Gesetzen äußerste Skrupulosität.
Darum irrt Frau Altpeter auch, wenn sie annimmt, der
Landesgesetzgeber verfüge über den gesetzgebenden
Spielraum, den ihm die Föderalismusreform zusätzlich
gedehnt hat. In Sachen unmittelbarer Geltung der Grundrechte
und ihrer nur unter den benannten Umständen mögliche
Einschränkung gelten fürs erste die Anforderungen,
die das BVerfG in seiner Entscheidung vom 4. 5. 2011
(2 BvR 2365/09) Sicherungsverwahrung nach der kurz zuvor
ergangenen Entscheidung zum rheinland-pfälzischen
Maßregelvollzugsgesetz festgesetzt hat.
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Im
Leitsatz 3 c heißt es: der Bundesgesetzgeber
unterliege einer Konzeptpflicht, diese
gilt selbstredend damit auch für den Landesgesetzgeber.
Die zentrale Bedeutung, die diesem Konzept
für die Verwirklichung des Freiheitsgrundrechts
des Untergebrachten zukommt, gebietet einer gesetzliche
Regelungsdichte, die keine maßgeblichen
Fragen der Entscheidungsmacht der Exekutive oder
Judikative überlässt, sondern deren
Handeln in allen wesentlichen Bereichen determiniert. |
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In
Absatz Nr. 129 wird vom Bundes- und Landesgesetzgeber
gleichermaßen verlangt, dass er die
wesentlichen Leitlinien des freiheitsorientierten
und therapiegerichteten Gesamtkonzepts,
,
selbst regeln und sichern (müsse), dass diese
konzeptionelle Ausrichtung der Sicherungsverwahrung
nicht durch landesrechtliche Regelungen unterlaufen
werden kann. Diese Feststellung gilt ohne
Frage für jede Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung
auch außerhalb der Sicherungsverwahrung
im engeren Sinne. |
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4.
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Frau
Altpeter hat nicht nur die neueren Entscheidungen des
BVerG nicht mehr als nominell berücksichtigt. Sie
hat es auch unterlassen, die Erfordernisse der Patientenverfügung
und der Behindertenrechtskonvention zu berücksichtigen.
Summa summarum ist ihr Versuch, die Freiheit des Landesgesetzgebers
zu sichern, dadurch gekennzeichnet, dass sie die konstitutive
Sicherheit der Grundrechte und ihrer Geltung preiszugeben
bereit scheint. So ist es nur zu erklären , dass
sie nicht nur pauschal Ärzte anführt,
die Zwangslücken interessiert befürworteten,
sondern Betroffene, also ihrerseits psychisch
Behinderte, die stellvertretend bei anderen Behinderten
Zwangsmaßnahmen, erneut pauschal, befürworteten.
Als dürften Freiheitsrechte zwangsverrückt werden,
nur weil ihrerseits problembelastete Personen als stellvertretende
Experten auftreten dürften. |
Ich lasse
mit diesen, verkürzt präsentierten Argumenten und
Belege gegen Frau Altpeters nicht zureichend durchdachte Verteidigung
der Freiheit, nein, der Willkür des Landesgesetzgebers
heute sein Bewenden haben. Es wäre, scheint mir unter anderem
angebracht, Sie könnten Ihren eigenen Vorschlag verwirklichen.
Ich oder wir stünden jederzeit zur Verfügung. Ob Sie
Ihrerseits unsere indirekte Antwort auf Frau Altpeter weiterleiten?
Dürfen wir außerdem den Brief von Frau Altpeter und
unsere Antwort darauf öffentlich benutzen?
Mit nochmaligen
Dank und der Bitte, mir nachzusehen, dass ich Ihnen ein Stück
freilich nötige Zeit nehme. Mit frischen Grüßen,
die die Juliwärme im Mai spaßvoll machen mögen
Ihr
Wolf-Dieter Narr
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