Bundesarbeitsgemeinschaft
Psychiatrie-Erfahrener e.V.
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Freitag,
21.8.2020
Weg
mit dem Referentenentwurf Betreuungsrecht
Aus den 76 inzwischen beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
(BMJV) eingegangenen und veröffentlichten Stellungnahmen zu dessen
Referentenentwurf Betreuungsrecht möchten wir auf drei, unseres Erachtens
besonders wichtige, hinweisen, die belegen, warum eine weitere Verfolgung
dieses Entwurfs nicht nur unsinnig, sondern schädlich ist.
A)
Psychiatrische Chefärzte erkennen: Die Reform stärkt
die Exklusion
Die
Stellungnahme des Arbeitskreises der ChefärztInnen und Chefärzte
der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie an Allgemeinkrankenhäusern
(ackpa) ist ein vernichtendes Urteil über den geplanten Betrug,
den das BMJV mit der Reform des Betreuungsrechts abzuziehen versucht.
Zitate aus der Zusammenfassung (fett von uns
hinzugefügt):
"Die Fehlentwicklungen
im Betreuungsrecht ... werden mit der Reform nicht angegangen. Die Reform
stärkt damit die Exklusion und setzt kaum Anreize, um
Inklusion zu fördern."
Und:
"In der Gesamtbewertung
kommt ackpa zu dem Schluss, dass der Referentenentwurf das Ziel
verfehlt, die Autonomie der Betroffenen zu stärken."
Und:
"Die
Stärkung der Rolle der Berufsbetreuer geht in die falsche Richtung.
Dies widerspricht dem Grundsatz der Subsidiarität der rechtlichen
Betreuung."
Zitate aus Im
Einzelnen:
"An
den Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung, für
eine freiheitsentziehende Unterbringung, freiheitsentziehende Maßnahmen
und medizinische Zwangsmaßnahmen (Zwangsbehandlungen) hat sich
durch die Reform außer durch eine neue Nummerierung der
Paragraphen (§§ 1814-1832) nichts geändert.
Damit wird eine Chance vertan, das Betreuungsrecht in ein modernes Unterstützungsrecht
zu überführen... ."
Und
"Mit
den Berufsbetreuern wird eine Gruppe gestärkt, die mit gezielter
Lobbyarbeit ihren Einfluss im psychosozialen Hilfssystem stärken
möchte (z.B. https://www.niccc.de/bdb-rechte-der-betreuten-staerken,
https://www.niccc.de/bdb-reform-der-betreuung-ein-notwendiger-schritt,
https://www.niccc.de/bdb-reform-ist-ergebnis-eines-kompromisses).
Die Justizministerkonferenz hatte sich im Juli 2018 kritisch zur Qualifizierung
der Berufsbetreuer positioniert... ."
Uns hat zwar überrascht, dass ein Arbeitskreis psychiatrischer ChefärztInnen
unsere Kritik (siehe: https://tinyurl.com/gemeinsamekritik)
so erfreulich klar und deutlich im Kern teilt, aber das freut uns um so
mehr. Nun handelt das BMJV nicht nur gegen den Willen der Betroffenen,
sondern auch gegen den der psychiatrisch Behandelnden, die verstanden
haben, welche Misshandlung, eigentlich ein Verbrechen, eine erzwungene
rechtliche Stellvertretung durch eine irreführend "Betreuung"
genannte Entmündigung ist und mit der "Reform" auch bleibt,
gar sich verschlimmert.
Bitte lesen Sie die vollständige Stellungnahme, hier: https://tinyurl.com/yyktuyal
B)
Der Entwurf steht im Gegensatz zu den Vorgaben aus der UN Behindertenrechtskonvention
(UN-BRK)
Stellungnahme der
Monitoring-Stelle UN-Behindertenrechtskonvention beim Deutschen
Institut für Menschenrechte (siehe: https://tinyurl.com/monitoringstelle-BR),
Zitate daraus (fett kursiv von uns hinzugefügt),
siehe Seite 3 ff.:
"3. Selbstbestimmte Entscheidung
über Unterstützung
Nach der UN-BRK muss die Person mit Unterstützungsbedarf das uneingeschränkte
Recht haben, über ihre Unterstützung in rechtlichen Angelegenheiten
zu entscheiden. Dazu gehören die Entscheidungen über die Art
und Intensität der Unterstützung sowie über die Person(en),
die Unterstützung leisten, und dazu gehört auch
die Ablehnung von Unterstützung.
3.1
Keine Betreuung gegen den Willen
In der UN-Behindertenrechtskonvention ist verankert, dass die betroffene
Person das Recht hat, Unterstützung abzulehnen und
das Unterstützungsverhältnis jederzeit zu beenden
oder zu ändern.2 § 1814 Absatz 2 BGB-E wird diesen
menschenrechtlichen Vorgaben nicht gerecht. Nach § 1814 Absatz
2 BGB-E (Voraussetzungen der Betreuerbestellung) darf, wie bisher, gegen
den freien Willen der_s Volljährigen ein_e Betreuer_in nicht bestellt
werden. Die Rechtsprechung grenzt den freien Willen und den natürlichen
Willen voneinander ab. Während der freie Wille stets zu achten
ist, kann ein_e Betreuer_in gegen den natürlichen Willen bestellt
werden, wenn die betroffene Person nach Auffassung des Gerichts nicht
einsichtsfähig beziehungsweise unfähig ist, nach dieser Einsicht
zu handeln.3
Im Gegensatz
dazu stehen die Vorgaben aus der UN-BRK.4 Der Wortlaut
von Artikel 12 UN-BRK lässt keine Differenzierung zu, der zufolge
eine Einschränkung aufgrund der Form oder des Grads der Beeinträchtigung
oder wegen einer krankheitsbedingten Nichteinsichtsfähigkeit zulässig
wäre.5 Der UN-Fachausschuss für die Rechte von
Menschen mit Behinderungen weist in seiner ersten Allgemeinen Bemerkung
zu Artikel 12 nachdrücklich darauf hin, dass das Konzept der rechtlichen
Handlungsfähigkeit nicht mit geistiger Fähigkeit verschmolzen
werden darf. Wie der Ausschuss deutlich aufzeigt, ist das Konzept der
geistigen Fähigkeit kein objektives, wissenschaftliches und naturgegebenes
Phänomen, sondern hängt vom sozialen und politischen Kontext
ab; ebenso wie die Disziplinen, Berufsgruppen und Methoden, die bei
der Beurteilung geistiger Fähigkeit eine beherrschende Rolle spielen.6
Wahrgenommene oder tatsächliche Defizite in der geistigen
Fähigkeit sind keine Rechtfertigung für die Versagung der
rechtlichen Handlungsfähigkeit.7 Nach der UN-BRK ist
es deshalb unzulässig, wenn rechtlich die Befugnis, eine eigene
Entscheidung - etwa darüber, ob ein_e Betreuer_in bestellt werden
soll - zu treffen, entzogen wird, weil eine bestimmte Form der Beeinträchtigung
diagnostiziert wird (Status-Ansatz) oder weil eine Person eine Entscheidung
mit vermeintlich negativen Auswirkungen trifft (Ergebnis-Ansatz) oder
weil die Fähigkeit einer Person, Entscheidungen zu treffen, als
mangelhaft betrachtet wird (funktionaler Ansatz). Auch der von Fachleuten
oft als "behinderungsneutral" angesehene funktionale Ansatz,
wie er etwa der Abgrenzung zwischen dem freien und dem natürlichen
Willen zugrunde liegt, ist also keine zulässige Rechtfertigung
für eine Betreuer_innenbestellung gegen den (natürlichen)
Willen der betreffenden Person. Wie der UN-Fachausschuss darlegt, ist
dieser Ansatz aus zweierlei Gründen mangelhaft: a) weil er in diskriminierender
Weise auf Menschen mit Behinderungen angewandt wird, und b) weil er
vorgibt, die inneren Abläufe des menschlichen Geistes genau beurteilen
zu können und ein zentrales Menschenrecht - das Recht auf gleiche
Anerkennung vor dem Recht - versagt, wenn jemand den Begutachtungstest
nicht besteht.' 8
Die
Monitoring-Stelle empfiehlt, die Möglichkeit zur Bestellung
einer_s Betreuer_in gegen den Willen ganz abzuschaffen und
zu diesem Zweck in § 1814 Absatz 2 BGB-E wie folgt neu zu fassen:
‚Gegen den natürlichen Willen des Volljährigen
darf ein Betreuer nicht bestellt werden.' "
Damit
beschreibt die Monitoringstelle den Wesenskern der UN-BRK, Art. 12, den
der Referentenentwurf ganz offen negiert (siehe da Seite 136). Auch was
im Entwurf zu 'Eignung' und 'Qualifikation' von BetreuerInnen steht, wird
in der Stellungnahme der Monitoringstelle kritisiert. Sie, wie auch wir,
wird das dem Genfer UN-Fachausschuss mitteilen. Der Zweck des Gesetzes,
im Betreuungsrecht UN-BRK konform zu werden und der Kritik aus Genf von
2015 zu entkommen, wird bei der Überprüfung der BRD nächstes
Jahr sicher verfehlt werden - die BRD wird international als Menschenrechte
verachtender Wiederholungstäter erkannt werden. Auch unsere internationalen
Kontakte haben das schon vorausgesagt.
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2
UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2014):
Allgemeine Bemerkung Nr. 1 zu Artikel 12: Gleiche Anerkennung vor dem
Recht, CRPD/C/GC/1, Randziffer 19 und 29 Buchstabe g)
3 BGH, Beschluss vom 14.01.2015, Az.: XII ZB 352/14; BGH, Beschluss
vom 26.02.2014, XII ZB 577/13.
4 Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention (2015):
Parallelbericht an den UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen
mit Behinderungen anlässlich der Prüfung des ersten Staatenberichts
Deutschlands gemäß Artikel 35 der UN-Behindertenrechtskonvention,
Randziffer 82.
5 Aichele/Degener (2013): Frei und gleich im rechtlichen Handeln
eine völkerrechtliche Einführung zu Artikel 12 UN-BRK. In: Aichele,
Valentin (Hrsg.): Das Menschenrecht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht.
Artikel 12 der UN-Behindertenrechtskonvention. S. 37 (42).
6 UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen
(2014): Allgemeine Bemerkung Nr. 1 zu Artikel 12: Gleiche Anerkennung
vor dem Recht, CRPD/C/GC/1, Randziffer 14.
7 UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen
(2014): Allgemeine Bemerkung Nr. 1 zu Artikel 12: Gleiche Anerkennung
vor dem Recht, CRPD/C/GC/1, Randziffer 13.
8 UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen
(2014): Allgemeine Bemerkung Nr. 1 zu Artikel 12: Gleiche Anerkennung
vor dem Recht, CRPD/C/GC/1, Randziffer 15.
C) Zitat aus der Stellungnahme
von Prof. Dr. Bienwald, der als Verfasser eines Standard-Kommentars
zum Betreuungsrecht bekannt ist, https://tinyurl.com/bienwald,
siehe Seite 2 und 3:
"Indem
der Aufgabenkreis global und über das erforderliche Maß hinaus
(sowohl von der Behörde als auch dem Sachverständigen und
schließlich dem Gericht) bestimmt wird, wird der Eindruck erweckt,
als sei für dieses Maß an rechtlicher Betreuung eine besondere
Qualifikation erforderlich. Dabei würde für Inhalt und Maß
dieser Betreuung, um es in Anlehnung an eine frühe Entscheidung
des BayObLG zu sagen, jedermann geeignet sein. Beschränkt sich
die Betreuung jedoch nicht ausdrücklich auf die erforderlichen
zu besorgenden Angelegenheiten, erhält der Betreuer eine darüber
hinausgehende (im Außenverhältnis verbindliche) Rechtsmacht,
die die Grundrechte der betreuten Person rechtswidrig beschränkt
und u.a. gegen die UN-BRK verstößt."
Das
ist eine überdeutliche Bestätigung der Aussage in unserer
Stellungnahme vom 21.7.:
Vorsorgevollmacht und "Betreuung" dienen der Wahrnehmung selbstverständlicher
Bürgerrechte der Betroffenen. Diese Aufgabe ausüben zu können,
ist geradezu ein Kennzeichen dafür, dass man ein Erwachsener ist
und erfordert eben weder sozialpädagogisches noch medizinisches oder
rechtliches Spezialwissen.
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