Zur Frage der Grundrechtskonformität
des Gesetzesentwurfs zur Neufassung des
§ 8 des Unterbringungsgesetzes des Landes Baden-Württemberg
(UBG)
Drucksache 15 / 3408 vom 23. April 2013
Unter
der erklärten Prämisse von „Rechtssicherheit“
plant das Land Baden-Württemberg die Änderungen
des Unterbringungsgesetzes (UBG). Der Gesetzesentwurf novelliert
wegen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Nichtigkeit
der bisherigen Grundlagen der Zwangsbehandlung psychisch Kranker
die Grundlagen einer Behandlung gegen den Willen eines Patienten
(Zwangsbehandlung mit Neuroleptika).
Baden-Württemberg
will mit dem Gesetzesentwurf den vom Bundesverfassungsgericht
vorgegebenen strengen Maßstäben zur Durchführung
einer medizinischen Zwangsbehandlung und des Maßregelvollzugs
genügen.
Zur
Zwangsbehandlung untergebrachter Patienten im Maßregelvollzug
hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung 2011
festgestellt, dass alle bisherigen gesetzlichen Grundlagen
auf Bundes- und Landesebene dem darin liegenden Eingriff in
das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit und die
Selbstbestimmung der untergebrachten Personen nicht genügten.
Für eine mögliche Neuregelung von Zwangsbehandlungen
psychisch Kranker müssten strenge Voraussetzungen erfüllt
sein.
Mit
dem vorgelegten Gesetzesentwurf sollen die Vorschriften des
UBG insbesondere in § 8 UBG an diese Voraussetzungen
angepasst werden.
Für
den Maßregelvollzug wurde die Zwangsbehandlung mit Neuroleptika
mangels hinreichender Rechtsgrundlage mit Beschlüssen
des Bundesverfassungsgerichtes vom 23.3.2011 in Rheinland-Pfalz
vom 12.10.2011 zu § 8 UBG des Bundeslandes Baden-Württemberg
und am 10. Februar 2013 zu den landesgesetzlichen Regelungen
der §§ 22, 23 SächsPsychKG als nichtig angesehen.
Den
landesgesetzlichen Regelungen können, so das Verfassungsgericht,
keine hinreichende Eingriffsgrundlage zur Zwangsbehandlung
entnommen werden. Betroffenen einer Maßnahme zwangsweiser
Behandlung mit Neuroleptika gegen ihren Willen seien die wesentlichen
Voraussetzungen für eine solche Zwangsbehandlung weder
aus dem Gesetz selbst erkennbar noch im Wege der Auslegung
ableitbar.
Die
Novellierungen werden seitens des Landesgesetzgebers ausweislich
der Motive als unausweichlich gesehen, weil das Bundesverfassungsgericht
mit Beschluss vom 12.10.2011 die bisherige Grundlage für
Zwangsbehandlungen gegen den Willen untergebrachter Personen
– auch im Maßregelvollzug – für verfassungswidrig
erklärt hat.
Die
Durchführung von Zwangsbehandlungen soll zwar vermieden
werden, bei Vorliegen der Voraussetzungen müsse sie jedoch
„auch in Zukunft grundsätzlich zulässig“
sein, denn ein Unterlassen einer Regelung habe zur Folge,
dass „eine Vielzahl von Patienten, denen mit einer Zwangsmedikation
geholfen und der Weg zurück in ein möglichst selbstbestimmtes
Leben eröffnet werden kann, unbehandelt bleiben würden“.
Folgen wären „längere Verweildauern in der
Psychiatrie, die verstärkte Gefahr der Chronifizierung
der Grunderkrankung, vermehrte Übergriffe auf das Personal
und letztendlich eine Rückkehr zur bloßen „Verwahrpsychiatrie““.
Sofern
der untergebrachte Patient krankheitsbedingt nicht zur Einsicht
in die Krankheit fähig sei, soll ein Eingriff in sein
Grundrecht nach Artikel 2 Abs. 2 des Grundgesetzes zulässig
sein, wenn dieser darauf ziele, dass er sein Selbstbestimmungsrecht
wieder ausüben könne.
Während
ein gesunder Patient im Zuge seiner freien Willensbestimmung
jedwede ärztliche oder therapeutische Behandlung ablehnen
darf, auch wenn gesundheitliche Gefahren drohen i,
soll dies bei einem psychisch kranken Menschen zumindest dann
nicht gelten, wenn ein Psychiater bei dem Betroffenen von
beabsichtigten Zwangsmaßnahmen „Einwilligungsunfähigkeit“
konstatiert habe.
2.
Die für Baden-Württemberg geplanten Regelungen zur
Zwangsbehandlung liegen dem Landtag in
§ 8 UBG n.F. in der Drucksache 15
/ 3408 vor.
Sie
wurden am 16. Mai 2013 vom Landtag in erster Lesung an den
Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen
und Seniorenverwiesen.
3.
Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zur Zwangsbehandlung
Das
Bundesverfassungsgericht hat für eine mögliche Neuregelung
der Zwangsbehandlung wesentliche verfassungsgerichtlichen
Postulate ii
aufgestellt:
Eine
Zwangsbehandlung ist immer nur bei einwilligungsunfähigen
Patienten und nie bei einwilligungsfähigen Patienten
oder Patienten, die im Vorfeld ihren gegenteiligen Willen
nach § 1901a BGB bekundet haben zulässig iii
Zwangsbehandlung
darf nur `ultima ratio´ sein. Jedweder Zwangsbehandlung
vorausgehen muss nach dem Wortlaut der verfassungsrechtlichen
Leitentscheidungen „der ernsthafte, mit dem nötigen
Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks
unternommene Versuch, die auf Vertrauen gegründete
Zustimmung des Untergebrachten zu erreichen“.
Eine
Zwangsbehandlung muss vorab so rechtzeitig angekündigt
werden, dass der Betroffene vorher effektiven Rechtsschutz
einholen könneiv.
Die
Maßnahme muss einen Heilungserfolg durch die Medikation
gewährleisten, sie muss angemessen, geeignet und
erforderlich sein.
Verboten
ist eine Zwangsbehandlung generell und ohne Ausnahmen,
wenn diese „mit mehr als mit einem vernachlässigbaren
Restrisiko irreversibler Gesundheitsschäden verbunden
ist“v.
Es
besteht Dokumentationspflicht hinsichtlich des vorangegangenen
Gespräches, des Zwangscharakters der Zwangsmaßnahme,
der Durchsetzungsweise der Zwangsmedikation, der Benennung
maßgeblicher Gründe der Maßnahme und
der Wirkungsüberwachung vi.
Die
Zwangsmedikation muss vorab vollumfänglich hinsichtlich
der Behandlung, ihrer Art, ihrer Dauer und der Dosierung
der Medikation konkretisiert werdenvii.
In
dem Genehmigungsbeschluss muss „die von dem Betreuten
zu duldende Behandlung so präzise wie möglich“
angegeben werden, wozu die Angabe des Medikaments, der
Dosierung und der Verabreichungshäufigkeit gehört.
Anordnung
und Überwachung der Zwangsbehandlung müssen
durch einen Arzt erfolgen.
Die
Notwendigkeit der Zwangsbehandlung muss einrichtungsextern
gutachterlich festgestellt werden.
Der
Schutz Dritter rechtfertigt keinen Behandlungszwang gegenüber
einem Patienten, denn dessen Weigerung, sich behandeln
zu lassen, ist nicht der Sicherheit der Allgemeinheit
vor schweren Straftaten, sondern seiner Entlassungsperspektive
abträglich viii.
4.
Kritikpunkte der geplante Novellierung des § 8 Unterbringungsgesetz
Baden-Württemberg
a.
Definition der „Einwilligungsunfähigkeit“
Die
Neufassung von § 8 UBG soll ausweislich der Motive unter
strengen Voraussetzungen eine Zwangsmedikation von nach dem
Unterbringungsgesetz untergebrachten Personen rechtfertigen.
Zwangsbehandlung hat wegen der Abwehrrechte des Rechtes auf
Selbstbestimmung und des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit
von jeher ein überaus voraussetzungsreiches Legitimationsproblem.
Regelmäßig macht erst eine Einwilligung im Sinne
des § 228 StGB einen ärztlichen Eingriff, zu dem
auch die Behandlung mit Neuroleptika zählt, rechtmäßig;
ansonsten erfüllt er regelmäßig den Straftatbestand
der Körperverletzung.
Die
geplante Eingriffsgrundlage des § 8 Abs. 3 UBG schließt
eine Behandlung gegen den Willen bei einem einwilligungsfähigen
Patienten auch in Konsequenz der verfassungsrechtlichen Entscheidungen
aus.
Für
einen „einwilligungsunfähigen“ Patienten soll
künftig indes eine Zwangsbehandlung wieder möglich
sein.
Bei
der Einschätzung der Frage der „Einwilligungsunfähigkeit“
eines Patienten in eine Zwangsbehandlung würden in der
Praxis erhebliche Prognoseunsicherheiten auftreten. In Deutschland
existieren keine medizinischen Standards für psychiatrische
Zwangsbehandlungen, „aus denen mit der notwendigen Deutlichkeit
hervorginge, dass Zwangsbehandlungen mit dem Ziel, den Untergebrachten
entlassungsfähig zu machen, ausschließlich im Fall
krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit zulässig
sind“ ix.
(Die Mängel valider Standards, die irgend zwangsweise
Eingriffe und damit Verletzungen eines Kerns der Menschenrechte
lizensierten, gilt, nota bene., auch international allgemein.
Es sei denn, es würde tyrannisch darauf kein Wert gelegt.
Dann hieße es absolutistisch, strikt antidemokratisch:
auctoritas fact legem.) Nach Erkenntnissen der Monitoringstelle
des Deutschen Institutes für Menschenrechte gibt es für
Deutschland nicht einmal „belastbare Zahlen darüber,
wie viele Menschen in Deutschland ohne freie und informierte
Zustimmung behandelt wurden“ x.
Die Anzahl insbesondere von ärztlichen Zwangsbehandlungen
pro Jahr ist unbekannt; es gibt lediglich Schätzungen.
Entsprechend
muss der Begriff der Einwilligungsunfähigkeit nach wie
vor als unbestimmter Rechtsbegriff gelten, der als solcher
wegen der Eingriffsintensität den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes
ebenso wenig genügen wird wie der Begriff der „Regeln
der ärztlichen Kunst“ xi.
Ohne die Schaffung von Grundvoraussetzungen und Standards
zur Bestimmung des Begriffes „Einwilligungsunfähigkeit“
besteht die konkrete Gefahr einer Subjektivierung dieses Begriffes
der Einwilligungsunfähigkeit je nach Gutdünken des
jeweiligen Arztes oder Gutachters xii.
Der Begriff der Einwilligungsunfähigkeit wird zwar juristisch
mit vermeintlich ausreichender Präzision definiert, in
der Praxis begegnet diese Definition gleichwohl erheblicher
Unklarheit. Die bloße Feststellung einer psychischen
Störung wäre kein taugliches Kriterium. Ein psychiatrisches
Gutachten ist eine Leistung, die darin besteht, aufgrund wissenschaftlich
anerkannter Methoden und Kriterien nach feststehenden Regeln
der Gewinnung und Interpretation von Daten zu konkreten Fragestellungen
Aussagen zu machen. Gibt es keine entsprechenden allgemeingültigen
Kriterien und Standards, kann es auch kein hinreichend fundiertes
Sachverständigengutachten geben, das der hohen Bedeutung
des Eingriffs in das Grundrecht des Patienten auf Selbstbestimmung
genügen und damit als eingriffsrechtfertigend dienen
könnte.
Zwangsbehandlung
stellt einen so schwerwiegenden Eingriff dar, dass aus dem
Gesichtspunkt der Eingriffstiefe heraus nach Ansicht des Landesgesetzgebers
ein Richtervorbehalt geboten ist xiii.
Neuroleptika haben „häufig objektiv erkennbare und
subjektiv wahrgenommene Nebenwirkungen insbesondere auf Motorik
und vegetative Funktionen“. Lebensbedrohliche Nebenwirkungen
mit ernsten Komplikationen und der „Möglichkeit
schwerer, irreversibler und lebensbedrohlicher Nebenwirkungen“
sind möglichxiv.
Die
menschenrechtliche Kritikansatz hierzu ist evident. Die geplante
Regelung setzt sich über den erklärten Willen der
betroffenen Patienten hinweg, um sie im Zuge einer Diagnose
einer „Einwilligungsunfähigkeit“ durch den
Willen Dritter zu ersetzen xv.
Grund-
und menschenrechtlich genau betrachtet, verneint sich die
Frage selbst, ob mit der Verwendung des Begriffes der Einwilligungsunfähigkeit
eine Vorschrift so bestimmt gefasst worden sei, „wie
dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte
mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist“ xvi.
b. Die geplante Regelung des § 8 Abs. 3 Satz 1 Ziffer
2 UBG n.F. – Zwangsbehandlung bei Drittgefährdung
Die
Neuregelung des § 8 UBG enthält im Abs. 3 Satz 1
Ziffer 2 eine Regelung zur Zwangsbehandlung bei Drittgefährdung.
Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu in seinem Beschluss
vom 23.03.2012 xvii
ausgeführt:
„Als
rechtfertigender Belang kommt insoweit allerdings nicht der
gebotene Schutz Dritter vor den Straftaten in Betracht, die
der Untergebrachte im Fall seiner Entlassung begehen könnte.
Dieser Schutz kann auch dadurch gewährleistet werden,
dass der Untergebrachte unbehandelt im Maßregelvollzug
verbleibt. Er rechtfertigt daher keinen Behandlungszwang gegenüber
einem Untergebrachten, denn dessen Weigerung, sich behandeln
zu lassen, ist nicht der Sicherheit der Allgemeinheit vor
schweren Straftaten, sondern seiner Entlassungsperspektive
abträglich“.
Zwar
nimmt die Entscheidung nur auf freiheitsentziehende Maßnahmen
des Maßregelvollzuges Bezug. Aufgrund des gleichen Normzweckes
einer möglichen Eingriffsnorm und einer gleichen Interessenlage
(Freiheitsentzug und Zwangsbehandlung bei Drittgefährdung)
ist die Bezugnahme auf Fremdgefährdung bei der Legitimation
von Zwangsbehandlung aber nach dem eindeutigen Wortlaut der
verfassungsgerichtlichen Entscheidung vom März 2011 unzweifelhaft
abzulehnen. Auch hier gilt, dass der Patient mit der Behandlungsverweigerung
seine Entlassung möglicherweise verzögert, effektiver
Schutz aber gleichwohl gewährleistet ist.
Zwangseingriffe
in Körper und Geist zählen zu den intensivsten Grundrechtseingriffen.
Sie sind seit jeher verfassungsrechtlich und rechtspolitisch
umstritten. Dies gilt erst recht, wenn der Betroffene öffentlichrechtlich
untergebracht istxviii.
Soweit
ausnahmsweise eine Befugnis des Staates, den Einzelnen „vor
sich selbst in Schutz zu nehmen“ xix,
anzuerkennen ist, eröffnet dies keine „Vernunfthoheit“
staatlicher Organe über den Grundrechtsträger dergestalt,
dass dessen Wille beispielsweise auch zur Inanspruchnahme
von Alternativmedizin allein deshalb beiseitegelegt werden
darf, weil er von durchschnittlichen Präferenzen abweicht
bzw. weil der Wille unvernünftig erscheint xx.
Soweit
in den Erörterungen des Gesetzesentwurfes von Baden-Württemberg
ausgeführt wird, das Verfassungsgericht habe keine Stellung
genommen, ob auch gegenwärtige erhebliche Gefahren für
Leib und Gesundheit Dritter eine Zwangsbehandlung rechtfertige,
so ist dies mit den jüngsten Leitsatzentscheidungen des
Bundesverfassungsgerichtes zur Zwangsbehandlung nicht in Einklang
zu bringen. Auch wenn das UBG den Zweck verfolgt, dass es
„Gefahren für die öffentliche Sicherheit und
Ordnung begegnen“ soll, legitimiert dies unter Beachtung
des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes keine
Zwangsbehandlung bei Gefahren für Dritte.
Das
Bundesverfassungsgericht dürfte die vorgesehene Regelung
des § 8 UBG wegen § 8 Abs. 3 Ziffer 2 UBG ebenso
für nichtig erklären, wie zuvor in seiner Entscheidung
vom 20.02.2013 die §§ 22, 23 SächsPSychKG xxi.
Nur
ausnahmsweise sind Behandlungsmaßnahmen gegen den natürlichen
Willen des Grundrechtsträgers verfassungskonform denkbar,
wenn und soweit „dieser zur Einsicht in die Schwere seiner
Krankheit und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen
oder zum Handeln gemäß solcher Einsicht krankheitsbedingt
nicht fähig ist“ xxii.
Damit
macht das Bundesverfassungsgericht die krankheitsbedingte
Einsichtsunfähigkeit zur generellen und ausnahmslosen
Bedingung der Zwangsbehandlung.
Das
Bundesverfassungsgericht hat im Februar 2013 den § 22
Absatz 1 Satz 1 SächsPsychKG für nichtig erklärt
und zur Begründung ausgeführt: „Weder diese
Bestimmung noch andere, ergänzend heranzuziehende Vorschriften
des Gesetzes beschränken die medizinische Zwangsbehandlung
des Untergebrachten zur Erreichung des Vollzugsziels, wie
verfassungsrechtlich geboten (…), auf den Fall seiner
krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit.“ xxiii
Die
Eingriffsnorm verletzt auch hier die Grundrechte eines von
Zwangsbehandlung betroffenen Patienten aus Art. 2 Abs. 2 Satz
1 GG, weil die herangezogene Eingriffsgrundlage eine Regelung
zur Zwangsbehandlung von einwilligungsfähigen Patienten
normieren will. Der Eingriff wäre mit Art. 2 Abs. 2 Satz
1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar und die
Rechtsnorm mangels Analogiefähigkeit insgesamt nichtig.
c. Die geplante Regelung des § 8 Abs. 6 UBG: Keine Gültigkeit
der Patientenverfügung nach § 1901a BGB bei Drittgefährdung
Soweit
„ein einwilligungsfähiger Volljähriger für
den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich
festlegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung
noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines
Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche
Eingriffe einwilligt oder sie untersagt“ xxiv,
soll diese Bestimmung für den Fall der Fremdgefährdung
nach § 8 Abs. 6 UBG keine Gültigkeit haben.
Das
Bundesverfassungsgericht hält wie ausgeführt Behandlungsmaßnahmen
gegen den natürlichen Willen des Grundrechtsträgers
nur dann denkbar, wenn und soweit „dieser zur Einsicht
in die Schwere seiner Krankheit und die Notwendigkeit von
Behandlungsmaßnahmen oder zum Handeln gemäß
solcher Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig ist“ xxv.
Die Einsichtsunfähigkeit ist damit generelle und ausnahmslose
Bedingung einer denkbaren Zwangsbehandlung.
Die
Patientenverfügung ist eine antizipierte Willenserklärung
zur künftigen Behandlung eines Patienten. Nach dem gesetzgeberischen
Willen ist sie bindend; § 1901a BGB.
Die
Eingriffsnorm verletzt auch hier die Grundrechte eines von
Zwangsbehandlung betroffenen Patienten aus Art. 2 Abs. 2 Satz
1 GG, weil die herangezogene Eingriffsgrundlage eine Bestimmung
enthält, die eine Zwangsbehandlung auch für den
Fall der Einwilligungsfähigkeit enthält. Der Eingriff
wäre mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 unvereinbar und die Rechtsnorm
mangels Analogiefähigkeit insgesamt aus einem weiteren
Grund nichtig.
5.
Zusammenfassung
Der
geplante Gesetzesentwurf in seiner derzeitigen Fassung dürfte
einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalten,
weil er Zwangsbehandlungen auch eines einwilligungsfähigen
Patienten in § 8 Abs. 3 Nr. 2 UBG n.F. für den Fall
von Drittgefährdungen zulässt. Hieran werden auch
die landesgesetzgeberischen Erläuterungen hinsichtlich
der Zielrichtung des UBG als Instrument der Gefahrenprävention
nichts ändern, denn auch die Regelungen des Maßregelvollzuges,
die 2011 primär Anlass der verfassungsrechtlichen Beanstandungen
waren, enthalten solche general- und spezialpräventiven
Elemente.
Zudem
werden die bundesgesetzgeberischen Vorgaben zu § 1901a
BGB im neuen Regelungswerk nicht hinreichend beachtet und
die Regelungen der Patientenverfügung zur Selbstbestimmung
eines Patienten werden ausgehöhlt. Eine verfassungskonforme
Auslegung des § 8 Abs. 6 UBG n.F. vor dem Hintergrund
des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, wie vom
Landesgesetzgeber vorgesehen, wird hier nicht ausreichen.
Schließlich
sollte auch die Legitimation, sich über den erklärten
Willen eines Patienten hinwegzusetzen, in Frage gestellt sein,
zumal auch der Sonderberichterstatter über Folter des
UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Juan E. Méndez,
in der 22. Sitzung des „Human Rights Council“ am
4. März 2013 Zwangsbehandlung in der Psychiatrie zu Folter,
bzw. „grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung“
erklärt hat.
Zu
guter oder schlechter letzt: Das zentrale Motiv des baden-württembergischen
Gesetzgebers ist rechtstaatlich uneingeschränkt ernst
zu nehmen. Rechtssicherheit! Damit eng verbunden Berechenbarkeit
des rechtlich Statuierten. Und erneut innig verknüpft
sicher, nämlich berechenbares Recht bildet die Grundlage
bürgerlichen Vertrauens gerade dort, wo sonst aus nicht
selbst verschuldeten Gründen Unsicherheit herrscht. Bei
behinderten Menschen zumal. Erkennte der baden-württembergiche
Gesetzgeber, die Reihe der unbestimmten Rechtsbegriffe ineins
mit dem nicht singulären Mangel an ausgewiesen verlässlichen
Standards wissenschaftlich medizinisch ausgewiesener Psychiatrie,
er müsste seinen eigenen Zielen zuwiderhandeln. Er arbeitete
bewusst, nun bewusst mit einem dolus eventualis zugunsten
„rechtsicheren“ Zwangs entgegen der Ausweitung von
Rechtsunsicherheit für behinderte Menschen im Kern ihrer
Grund- und Menschenrechte.
Berlin
/ Ettlingen, den 26. Mai 2013
Gez. Thomas S a s c h
e n b r e c k e r
Rechtsanwalt
Gez.
Wolf-Dieter Narr
i
BVerfG 2 BvR 1194/80 Beschluss
vom 7. Oktober 1981 (BVerfG 58, 208 ff.)
ii
BVerfG, Beschl. v. 23.03.2011
– 2 BvR 882/09 (NJW 2011, S. 3571)
iii
Eine Patientenverfügung,
die Zwangsbehandlung untersagt, ist dem gleichgestellt,
§ 1901a BGB
x
Antwort der Bundesregierung;
Drucksache 17/10712 vom 17.09.2012
xi
Kritik auch in BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2013 –
2 BvR 228/12 –, juris
xiiebenso:
Stellungnahme der Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention
anlässlich der Öffentlichen Anhörung vom
10. Dezember 2012, im Rahmen der 105. Sitzung des Rechtsausschusses
des Deutschen Bundestages
xv
„der Ansatz, wonach eine
psychiatrische Behandlung ohne freie und informierte Zustimmung
der betroffenen Person, allein legitimiert über die
Entscheidung Dritter vorgenommen werden soll, (ist) menschenrechtlich
in Frage gestellt.“ – Stellungnahme der Monitoringstelle
zur UN-Behindertenkonvention
xvi
BVerfG 49, 168 S. 181; 59,
104 S. 114; 103, 332 S. 384
xvii
BVerfG 2 BvR 882/09, Beschluss
vom 23.03.2011
xviii
Bublitz, Psychiatrische Zwangseingriffe
im Maßregelvollzug ZIS 8-9/2011