Zur
Frage der Verfassungskonformität der Zwangsbehandlung psychisch
Kranker in der geplanten Neufassungen des
PsychKGs und des Maßregelvollzugsgesetzes der Hansestadt
Hamburg.
Unter
der erklärten Prämisse von „Rechtssicherheit“
plant der Senat der Hansestadt Hamburg die Änderungen der
Hamburger Gesetze zur Unterbringung psychisch Kranker (PsychKG)
und des Maßregelvollzugsgesetzes (MVollzG). Der Gesetzentwurf
novelliert wegen der Verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung
zum Grundsatz des Funktionsvorbehalts (Art. 33 Abs. 4 GG) i
die hier nicht zu diskutierenden Bedingungen der Beleihung eines
privaten Trägers einer Unterbringungseinrichtun. Wegen
der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zur Nichtigkeit
der bisherigen Grundlagen der Zwangsbehandlung psychisch Kranker
sollen zudem die Grundlagen einer Behandlung gegen den Willen
eines Patienten geschaffen werden. Weiterhin ist eine Rechtsgrundlage
für die Videoüberwachung von Patienten geplant.
Hamburg
will mit dem Gesetzesentwurf den „vom Bundesverfassungsgericht
vorgegebenen strengen Maßstäben zur Durchführung
einer medizinischen Zwangsbehandlung und des Maßregelvollzugs
genügen ii.
Zur
Zwangsbehandlung untergebrachter Patienten im Maßregelvollzug
hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung 2011
festgestellt, dass alle bisherigen gesetzlichen Grundlagen auf
Bundes- und Landesebene dem darin liegenden Eingriff in das
Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit und die Selbstbestimmung
der untergebrachten Personen nicht genügen. Für eine
mögliche Neuregelung von Zwangsbehandlungen psychisch Kranker
müssten strenge Voraussetzungen erfüllt sein.
Mit
dem vorgelegten Gesetzesentwurf sollen die Vorschriften des
HmbMVollzG und des HmbPsychKG an diese Voraussetzungen angepasst
werden.
Darüber
hinaus soll eine restriktive Rechtsgrundlage für die Beobachtung
mit optisch-elektronischen Einrichtungen, wie zum Beispiel Videokameras,
in das HmbPsychKG aufgenommen werden.
Für
den Maßregelvollzug wurde die Zwangsbehandlung mit Neuroleptika
mangels hinreichender Rechtsgrundlage mit Beschlüssen des
Bundesverfassungsgerichtes vom 23.3.2011 iii
in Rheinland-Pfalz vom 12.10.2011 zu § 8 UBG BW des Bundeslandes
Baden-Württemberg iv
und am 10. Februar 2013 zu den landesgesetzlichen Regelungen
der §§ 22, 23 SächsPsychKG v
als nichtig angesehen.
Den
landesgesetzlichen Regelungen könnten, so das Verfassungsgericht,
keine hinreichende Eingriffsgrundlage zur Zwangsbehandlung entnommen
werden, weil für Betroffene einer Maßnahme zwangsweiser
Behandlung mit Neuroleptika gegen den Willen die wesentlichen
Voraussetzungen für eine solche Zwangsbehandlung nicht
aus dem Gesetz selbst erkennbar und auch nicht (mehr) im Wege
der Auslegung ableitbar seien vi.
Die
Novellierungen werden seitens des Landesgesetzgebers ausweislich
der Motive als unausweichlich gesehen, weil das Bundesverfassungsgericht
mit Beschluss vom 12.10.2011 vii
die bisherige Grundlage für Zwangsbehandlungen gegen den
Willen untergebrachter Personen – auch im Maßregelvollzug
– für verfassungswidrig erklärt hat.
Sofern
der untergebrachte Patient krankheitsbedingt nicht zur Einsicht
in die Krankheit fähig sei, könne ausnahmsweise ein
Eingriff in sein Grundrecht nach Artikel 2 Abs. 2 des Grundgesetzes
zulässig sein, wenn dieser darauf ziele, dass er sein Selbstbestimmungsrecht
wieder ausüben könne.
2.
Die für Hamburg geplanten Regelungen zur Zwangsbehandlung
liegen der Bürgerschaft in
§ 10 HmbMVollzG n.F. und § 16 HmbPsychKG n.F.
in der Drucksache Nr. 7964 vor.
Sie
ist am Ende der Tagesordnung der Bürgerschaft vom 29. Mai
2013 nachrichtlich erwähnt.
3.
Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes zur Zwangsbehandlung
Das
Bundesverfassungsgericht hat für eine neue mögliche
Neuregelung der Zwangsbehandlung wesentliche verfassungsgerichtlichen
Postulate viii
aufgestellt:
Eine
Zwangsbehandlung ist immer nur bei einwilligungsunfähigen
Patienten und nie bei einwilligungsfähigen Patienten
oder Patienten zuläasssig, die im Vorfeld ihren gegenteiligen
Willen nach § 1901a BGB bekundet haben ix
Zwangsbehandlung
darf nur `ultima ratio´ sein. Jedweder Zwangsbehandlung
vorausgehen muss nach dem Wortlaut der verfassungsrechtlichen
Leitentscheidungen „der ernsthafte, mit dem nötigen
Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks
unternommene Versuch, die auf Vertrauen gegründete
Zustimmung des Untergebrachten zu erreichen“.
Eine
Zwangsbehandlung muss vorab so rechtzeitig angekündigt
werden, dass der Betroffene vorher effektiven Rechtsschutz
einholen kannx.
Die
Maßnahme muss einen Heilungserfolg durch die Medikation
gewährleisten, sie muss angemessen, geeignet und erforderlich
sein.
Verboten
ist eine Zwangsbehandlung generell und ohne Ausnahmen, wenn
diese „mit mehr als einem vernachlässigbaren Restrisiko
irreversibler Gesundheitsschäden verbunden ist“ xi.
Es
besteht Dokumentationspflicht hinsichtlich des vorangegangenen
Gespräches, des Zwangscharakters der Zwangsmaßnahme,
der Durchsetzungsweise der Zwangsmedikation, der Benennung
maßgeblicher Gründe der Maßnahme und der
Wirkungsüberwachung xii.
Die
Zwangsmedikation muss vorab vollumfänglich hinsichtlich
der Behandlung, ihrer Art, ihrer Dauer und der Dosierung
der Medikation konkretisiert werdenxiii.
In
dem Genehmigungsbeschluss muss „die von dem Betreuten
zu duldende Behandlung so präzise wie möglich“
angegeben werden, wozu die Angabe des Medikaments, seiner
Dosierung und Verabreichungshäufigkeit gehören.
Anordnung
und Überwachung der Zwangsbehandlung müssen durch
einen Arzt erfolgen.
Die
Notwendigkeit der Zwangsbehandlung muss einrichtungsextern
gutachterlich festgestellt werden.
Der
Schutz Dritter rechtfertigt keinen Behandlungszwang gegenüber
einem Patienten, denn dessen Weigerung, sich behandeln zu
lassen, ist nicht der Sicherheit der Allgemeinheit vor schweren
Straftaten, sondern seiner Entlassungsperspektive abträglich xiv.
4.
Kritikpunkte der geplante Novellierung des § 10 des Hamburgischen
Maßregelvollzugsgesetzes
Die
Neufassung von § 10 MVollzG soll ausweislich der Motive
unter strengen Voraussetzungen eine Zwangsmedikation von Personen
rechtfertigen, die im Maßregelvollzug untergebracht sind.
Die
geplante Eingriffsgrundlage setzt in Konsequenz der verfassungsrechtlichen
Entscheidungen für eine Zwangsbehandlung die Einwilligungsunfähigkeit
des Patienten voraus.
Bereits
bei der Einschätzung der Frage der Einwilligungsunfähigkeit
dürften in der Praxis erhebliche Prognoseunsicherheiten
auftreten, da „in Deutschland „keine medizinischen
Standards“ für psychiatrische Zwangsbehandlungen existieren,
„aus denen mit der notwendigen Deutlichkeit hervorginge,
dass Zwangsbehandlungen mit dem Ziel, den Untergebrachten entlassungsfähig
zu machen, ausschließlich im Fall krankheitsbedingter
Einsichtsunfähigkeit zulässig sind“ xv.
Der Begriff der Einwilligungsunfähigkeit muss als unbestimmter
Rechtsbegriff gelten, der als solcher wegen der Eingriffsintensität
den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes ebenso wenig
genügen wird wie der noch in § 16 Abs. 1 PsychKG verwendete
Begriff der „Regeln der ärztlichen Kunst“ xvi
. Ohne die Schaffung von Grundvoraussetzungen und Standards
besteht konkrete Gefahr einer Subjektivierung dieses Begriffes
der Einwilligungsunfähigkeit je nach Gutdünken des
jeweiligen Arztes oder Gutachters xvii.
Soweit
die Regelung in § 10 Abs. 3 S. 4 die Zwangsbehandlung von
der „vorherigen Zustimmung“ einer von der Vollzugseinrichtung
beauftragten Fachärztin oder eines von der Vollzugseinrichtung
beauftragten „Facharztes im Schwerpunkt Forensische Psychiatrie“
ohne Beschäftigung in der für die Zwangsbehandlung
vorgesehenen Vollzugseinrichtung abhängig macht, so dürfte
eine solche „Zustimmung“ eines anstaltsexternen Facharztes
nicht ausreichen, den weitreichenden Eingriff in Grundrechte
eines Betroffenen zuzulassen.
Die
Befugnis, einen Untergebrachten gegen seinen erklärten
Willen zu behandeln, vom der Vorliegen der Zustimmung eines
einrichtungsexternen Facharztes abhängig zu machen, dürfte
schon im Ansatz ungeeignet sein, den verfassungsrechtlichen
Anforderungen an die gesetzliche Bestimmung der materiellen
und verfahrensmäßigen Voraussetzungen einer solchen
Behandlung Rechnung zu tragen. Die landesrechtlichen Vorschriften
des Maßregelvollzuges selbst gestatten dem externen Facharzt
bzw. der Fachärztin die Erteilung einer auch eine Zwangsbehandlung
einschließenden Einwilligung nicht mit ausreichender Grundlage.
Die Kompetenz, in eine medizinische Behandlung des Maßregelvollzugspatienten
mit rechtfertigender Wirkung zuzustimmen, scheitert schon daran,
dass die Bestimmung für sich genommen keine hinreichende
Bestimmung von Inhalt, Zweck, Gegenstand und Ausmaß der
vom Patienten unter Zwang zu duldenden Behandlung im Kontext
seiner Einwilligungsfähigkeit ermöglicht xviii.
Für
die Regelung des § 1906 BGB wie auch für die geplante
Regelung des § 16 Abs. 2 PsychKG ist allgemein anerkannt,
dass die medikamentöse Zwangsbehandlung nur durch einen
Richter angeordnet werden darf.
Auch
und gerade wegen der Potenzierung der Rechtsgutverletzungen
bei Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug kann nichts anderes
gelten. Zum einen wird dem Patienten zeitlich unbefristet nach
Gutdünken der Ärzte- seine Freiheit durch Unterbringung
auf einer geschlossenen Station vollständig entzogen, zum
anderen wird er zwangsweise durch massive Eingriffe in die körperliche
Unversehrtheit genötigt, Psychopharmaka mit wesensveränderndem
Einfluss und starken Nebenwirkungen einzunehmen.
Das
Grundgesetz enthält zwar keinen ausdrücklichen diesbezüglichen
Richtervorbehalt. Die hohe Bedeutung des Grundrechts auf körperliche
Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG jedoch dürfte
vorliegend verfassungsrechtlich gleichwohl einen Richtervorbehalt
gebieten. Durch eine Zwangsbehandlung wird das Grundrecht in
seinem Wesensgehalt angetastet xix.
Zwangsbehandlung stellt einen so schwerwiegenden Eingriff dar,
dass aus dem Gesichtspunkt der Eingriffstiefe heraus ein Richtervorbehalt
geboten sein dürfte xx.
Neuroleptika haben „häufig objektiv erkennbare und
subjektiv wahrgenommene Nebenwirkungen insbesondere auf Motorik
und vegetative Funktionen“. Lebensbedrohliche Nebenwirkungen
mit ernsten Komplikationen sind möglich mit „schweren,
irreversiblen und lebensbedrohlichen Nebenwirkungen“ xxi.
Der BGH hat bereits in 2000 in seiner weitreichenden Leitsatzentscheidung
zur ambulanten Zwangsbehandlung xxii
darauf hingewiesen, dass ein Betroffener einer Zwangsmedikation
eben diese Medikation als „subjektiv möglicherweise
stärkere Belastung“ sehen könne, als die eigentliche
Unterbringung. Die gesetzlich geregelte Unterbringung im Maßregelvollzug
impliziert gerade für den Fall der Zwangsbehandlung mit
Neuroleptika eine Kumulation von Freiheitsentziehung einerseits
und Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht und die körperliche
Unversehrtheit des Maßregelvollzugspatienten andererseits.
Darum wird die Genehmigung durch einen anstaltsexternen Sachverständigen,
der zudem noch nach dem Gesetzeswortlaut von der für die
Zwangsbehandlung vorgesehene Einrichtung bestimmt werden soll xxiii,
als hinreichende Grundlage nicht ausreichen.
Auch
der Grundsatz des effektiven Rechtsschutz xxiv
vor Beginn einer Zwangsbehandlung dürft eklatant verletzt
sein. Die vorgesehene Zwangsmaßnahme ist nach § 16
Abs. 3 letzter HS lediglich „zwei Wochen vor Beginn der
Behandlung unter Nennung der für sie maßgeblichen
Gründe schriftlich anzukündigen“. Eine ausreichende
Regelung der Ankündigung liegt hierin nicht. Das Ankündigungserfordernis
zielt auf die Ermöglichung effektiven Rechtsschutzes aus
Art. 19 Abs. 4 GG ab. Eine effektive Prüfung der Rechtmäßigkeit
der Anordnung der Zwangsbehandlung auch im Rahmen des §
109 StVollzG ist aber regelmäßig mit der vorgesehenen
Regelung nicht mehr möglich, zumal kein ausreichender Suspensiveffekt
der Maßnahme für den Fall eines Antrages nach §
109 StVollzG vorgesehen ist. In der Praxis bedeutet dies, dass
Zwangsbehandlung zunächst auch ohne richterlichen Entscheid
alleine aufgrund der Einwilligung des anstaltsexternen Sachverständigen
begonnen werden kann, ohne dass eine richterliche Entscheidung
abgewartet würde. Das bricht die vom Verfassungsgericht
aufgestellten Grundsätze.
Die
in § 10 Abs. 4 Ziffer 2 MVollzG n.F. geplante Zwangsbehandlung
bei Drittgefährdung dürfte keinen Behandlungszwang
gegenüber einem Patienten rechtfertigen, denn dessen Weigerung,
sich behandeln zu lassen, ist nicht der Sicherheit der Allgemeinheit
vor schweren Straftaten, sondern seiner Entlassungsperspektive
abträglich xxv.
Als rechtfertigender Belang für Zwangsbehandlung kommt
nicht der Schutz Dritter in Betracht.
Die
entsprechenden Regelungen dürften von der Rechtsprechung
des Verfassungsgerichtes nicht gedeckt sein.
5.
Kritikpunkte der geplanten Novellierung zu § 16 des Hamburgischen
Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen
Krankheiten / PsychKG
Die
vorgenannten Kritikpunkte zum geplanten § 10 MVollzG gelten
auch zu § 16 PsychKG n.F. Aktuelle verfassungsrechtliche
Postulate xxvi
mögen allerdings hinsichtlich eines Richtervorbehaltes
in Anlehnung an die Bundesgesetzgebung zu § 1906 BGB eingehalten
sein.
Die
in § 16 Abs. 3 Ziffer 4 PsychKG n.F. geplante Zwangsbehandlung
bei „erheblichen Nachteilen für das Leben oder die
Gesundheit der gefährdeten Person“ sieht von einem
ansonsten notwendigen Richtervorbehalt ab.
Die
Eingriffsnorm verletzt in dieser Form das Grundrecht einer von
Zwangsbehandlung betroffenen Patienten aus Art. 2 Abs. 2 Satz
1 GG, weil die herangezogene Eingriffsgrundlage keine Regelung
zur Notwendigkeit der unverzüglichen Nachholung der richterlichen
Entscheidung trifft. Der Eingriff wäre mit Art. 2 Abs.
2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar. Insoweit
ist die Rechtsnorm mangels Analogiefähigkeit insgesamt
nichtig.
Berlin
/ Ettlingen, den 19. Mai 2013
Gez.
Thomas S a s c h e n b r e c k e r
Rechtsanwalt
Gez.
Wolf-Dieter Narr
i
BVerfG, 2 BvR 133/10 vom
18.1.2012; vgl. auch Nds. Staatsgerichtshof, Urteil vom 05.12.2008,
AZ 2/07
ii
Gesundheitssenatorin Cornelia
Prüfer-Storcks: „Wir verbessern durch die Änderungen
den Schutz der psychisch kranken Menschen und stärken
deren Rechte bei einer Unterbringung im Maßregelvollzug
und Psychiatrie.“
xvi
Kritik auch in BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2013 –
2 BvR 228/12 –, juris
xvii
ebenso: Stellungnahme
der Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention anlässlich
der Öffentlichen Anhörung vom 10. Dezember 2012,
im Rahmen der 105. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen
Bundestages
xviii
vgl. schon BGH, Beschluss
vom 23. Januar 2008 – XII ZB 185/07 -, FamRZ 2008, S. 866
<866 f
xxii
BGH XII ZB 69/00, Beschluss
vom 11.10.2000 Rn. 22 (juris)
xxiii
das Kammergericht hat
in KG 1 W 279/06 Beschluss vom 28.11.2006 bei entsprechenden
Gemengelagen eine hinreichende Eingriffsgrundlage ausgeschlossen