Anschreiben an alle Abgeordneten aller Landtage:

BPE Wittener Str. 87 44789 Bochum & die-BPE Greifswalder Straße 4 10405 Berlin


An die/den Abgeordnete/n

Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V.
Geschäftsstelle:
Wittener Str. 87
44789 Bochum
www.bpe-online.de


Bundesarbeitsgemeinschaft
Psychiatrie-Erfahrener e.V.

Geschäftsstelle:
Haus der Demokratie
und Menschenrechte
Greifswalder Straße 4
10405 Berlin
www.die-bpe.de

Berlin/Bochum 19.5.2013


Jetzt die gewaltfreie Psychiatrie wagen!

Sehr geehrte/r …

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 23.3.2011 die psychiatrische Zwangsbehandlung im Rheinland-Pfälzischen Maßregelvollzugsgesetz (2 BvR 882/09) für nichtig erklärt. Durch die Urteilsbegründung wird klar, dass alle Gesetze, die Zwangsbehandlung in der Psychiatrie legalisieren sollten, nie verfassungskonform waren. Prof. Wolf-Dieter Narr, RA Thomas Saschenbrecker und RA Dr. Eckart Wähner hatten daraufhin in dem Gutachten BEHINDERUNG, MENSCHENRECHTE UND ZWANG auf die Unmöglichkeit, überhaupt noch ein legalisierendes Gesetz zu schaffen, hingewiesen. Dieses Gutachten wurde im Oktober 2011 allen Abgeordneten aller Landtage zusammen mit dem Beschluss des BVerfG zugestellt.
Langversion: www.grundrechtekomitee.de/sites/default/files/Gutachten..pdf
Kurzversion: www.grundrechtekomitee.de/node/465

Die obige Entscheidung haben das BVerfG 2011 und 2013 in zwei weiteren Beschlüssen (2 BvR 633/11 und 2 BvR 228/12) und der Bundesgerichtshof in zwei Entscheidungen in 2012 (XII ZB 99/12 und XII ZB 130/12) weiter gefestigt. Der Versuch des Bundestages, mit einer Novelle des § 1906 BGB betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung dem Anschein nach zu legalisieren, gelang zwar im Eilverfahren gegen unseren heftigen Widerstand. Dieses Gesetz ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und hat nur für Rechtsunsicherheit gesorgt. Es ist ein Hohn auf die Menschenrechte. Eine Strafanzeige gegen die Bundesjustizministerin und den Baden-Württembergischen Justizminister war die logische Folge:
www.die-bpe.de/strafanzeige_schnarrenberger.html

Bitte lesen Sie die anliegende Stellungnahme der Monitoringstelle für die Behindertenrechtskonvention beim Deutschen Institut für Menschenrechte. Darin wird ausführlich begründet, warum psychiatrische Zwangsbehandlung mit der Behindertenrechtskonvention unvereinbar ist und diese Gesetzesnovelle nicht hätte verabschiedet werden dürfen.
Inzwischen liegen in Schleswig-Holstein, Hessen, Niedersachsen und Baden-Württemberg landesrechtliche Gesetzentwürfe vor, von denen keiner die grundgesetzlichen Anforderungen erfüllt, die das BVerfG in seinen drei Beschlüssen für unabdingbar erklärt hat. Wir legen eine aktuelle Stellungnahme von Prof. Narr und RA Thomas Saschenbrecker zu diesen vier Gesetzentwürfen bei.

Besonders zu denken geben sollte, dass der Sonderberichterstatter über Folter des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Juan E. Méndez, am 4.3.2013 im "Human Rights Council" der UN Zwangsbehandlung in der Psychiatrie zu grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Folter erklärt hat.
Er fordert, dass:

"alle Staaten ein absolutes Verbot aller medizinischen nicht einvernehmlichen bzw. Zwangsbehandlungen von Personen mit Behinderungen verhängen sollten, einschließlich nicht-einvernehmlicher Psychochirurgie, Elektroschocks und Verabreichung bewusstseinsverändernder Drogen, sowohl in lang- wie kurzfristiger Anwendung. Die Verpflichtung, erzwungene psychiatrische Behandlung wegen einer Behinderung zu beenden, ist sofort zu verwirklichen und auch knappe finanzielle Ressourcen können keinen Aufschub der Umsetzung rechtfertigen."

Aus diesem Anlass hat sich am 2.4.2013 ein Bündnis gegen Folter in der Psychiatrie gegründet, zu dessen Erstunterzeichnern der Vorgänger Juan E. Méndez', Prof. Manfred Nowak, gehört. Anbei die Gründungserklärung des Bündnisses mit den bisherigen Bündnispartnern und Erstunterzeichnern. Darin wird auch auf die Worte von Juan E. Méndez hingewiesen:

"Das Verbot der Folter ist eines der wenigen absoluten und unveräußerlichen Menschenrechte, ein ius cogens, also eine zwingende Norm des internationalen Rechts."

Ein endgültiges Ende der Zwangsbehandlung wird nicht nur von uns Betroffenen gefordert. Auch für die in der Psychiatrie Tätigen besteht die Chance, endlich eine gewalttätige Praxis zu beenden, wie der Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Klinikums Heidenheim und Chefredakteur der Fachzeitschrift Recht & Psychiatrie, Dr. Martin Zinkler, in einem offenen Brief an die Bundesjustizministerin am 12.11.2012 schreibt:

"… In Heidenheim, einer Klinik, die für immerhin 135.000 Einwohner im Landkreis die Versorgungsverpflichtung übernimmt, also für freiwillige und zwangsweise in die Klinik gebrachte Patienten, mit 1200 Aufnahmen im Jahr hat sich durch die fehlende gesetzliche Grundlage zur Zwangsbehandlung keine nachteilige Situation ergeben - im Gegenteil: wir sagen unseren zwangsweise eingewiesenen Patienten, dass sie nicht gegen ihren Willen medikamentös behandelt werden, und das nimmt der Unterbringung schon einen Teil der Bedrohung …" und
"Ich möchte Ihnen deshalb nahe legen, zu prüfen, ob nicht auf eine gesetzliche Grundlage zur medikamentösen Zwangsbehandlung grundsätzlich verzichtet werden kann. Um in unkontrollierbaren Situationen als letzten Ausweg ein Beruhigungsmittel zu verabreichen gibt es immer noch den rechtfertigenden Notstand".
(Siehe http://tinyurl.com/bv25zee)

Wir appellieren gemeinsam an Sie:
Unterbinden Sie bitte jeden Versuch, durch eine Gesetzesnovelle im Maßregelvollzug oder in der Allgemeinpsychiatrie Zwangsbehandlung zu legalisieren!
Bestärken Sie bitte die unteilbaren Menschenrechte, indem Sie der grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Zwangsbehandlung jede Unterstützung versagen!
Das Recht auf körperliche Unversehrtheit gilt auch für Psychiatrie-Patienten!

In Menschenrechtsfragen geht jeder Verweis auf medizinische oder andere Expertokratie fehl.
Wir bitten Sie deshalb als Abgeordnete um Ihre persönliche Antwort auf diese brennende Frage an diese beiden E-Mail Adressen:

Selbstverständlich stehen wir gerne bei Fragen zu Verfügung und verbleiben
mit freundlichen Grüßen


Für den Vorstand des
Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener::----------- Mirko Ološtiak -------------Doris Steenken

Der Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener: ---René Talbot ---Uwe Pankow ---Andrzej Skulski

 

Anlage: Stellungnahme der Monitoringstelle, Bündnis gegen Folter in der Psychiatrie, Gutachten Prof. Narr und RA Saschenbrecker

Der gleiche Brief wurde vom Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener hier auf Seite 18 und 19 veröffentlicht.

 

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