Bundesarbeitsgemeinschaft
Psychiatrie-
Erfahrener e.V.
Nächste Mitgliederversammlung:
Dienstag, den 17.12.2024 um 17h
Wir wollen das Betreuungsrecht in struktureller Hinsicht verbessern und damit das Selbstbestimmungsrecht hilfebedürftiger Erwachsener bedarfsgerecht stärken. Wir werden das Vormundschaftsrecht modernisieren.
Da diese Formulierung interpretationsoffen ist, unterstellten wir, dass die große Koalition (GroKo) beabsichtigt, in dieser Legislaturperiode die derzeitige Entmündigungspraxis endlich zu einem Betreuungsrecht werden lassen will, das diesen Namen verdient und den Buchstaben und dem Geist der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) gerecht wird.
Dafür müsste in einer Novellierung der § 1896 Abs. 1a BGB nur der Satz: “Gegen den freien Willen des Volljährigen darf ein Betreuer nicht bestellt werden” durch diesen Gesetzestext ersetzt werden:
Gegen den erklärten [oder natürlichen] Willen des Volljährigen darf eine Betreuung weder eingerichtet noch aufrechterhalten werden.
1992 wurde zwar der Bezeichnung nach die Entmündigung eines Erwachsenen in “Betreuung” umgewandelt, aber der Kern von Entmündigung wurde beibehalten: Die rechtliche Stellvertretung durch einen Vormund – eben nur schönfärberisch “Betreuer” genannt – konnte unverändert gegen den Willen der Betroffenen richterlich verordnet werden, wurde also regelmäßig zu einer Zwangs”betreuung”. Im Gegensatz zu der mit dieser Gesetzesänderung angeblich geplanten Stärkung der Rechte Betroffener, bewirkte das irreführende Wort “Betreuung” statt Entmündigung, dass die Betroffenen geblendet von der umgangssprachlichen Bedeutung des Wortes Betreuung annahmen, der Betreuer sei treu zum Betreuten und verkannten, dass er mit Zwang aufoktroyiert wurde oder zumindest auch gegen den Willen beibehalten werden konnte. So getäuscht stimmten viele arglos ihrer Entmündigung zu und gerieten in eine „Betreuungs“falle, aus der es so gut wie kein Entkommen mehr gab. Deshalb hat sich die Zahl der Entmündigten von ca. 600.000 im Jahre 1992 auf über 1,3 Millionen Ende 2011 mehr als verdoppelt.
Der am 1. Juli 2005 neu hinzugefügte § 1896 Abs. 1a BGB: „Gegen den freien Willen des Volljährigen darf ein Betreuer nicht bestellt werden“, hat an dieser Situation nichts geändert. Insbesondere Psychiatrie- Erfahrenen und Älteren Menschen wird der “freie Wille” durch ein psychiatrisches Willkür-Gutachten abgesprochen. Schon damals hatten wir leider erfolglos unsere Forderung an den Bundestag gerichtet, anstatt eine erzwungene Entrechtung erdulden zu müssen, in einem tatsächlichen Treueverhältnis unterstützt zu werden.
Da inzwischen aber am 1.1.2009 die BRK deutsches Recht geworden ist, hat unsere Forderung, diese radikale rechtliche Diskriminierung entgegen dem Gleichbehandlungsgrundsatz der BRK (Artikel 5 und 12) nun endlich zu beseitigen und stattdessen durch den (in Juristendeutsch) “natürlichen Willen” oder (umgangssprachlich den) “erklärten Willen” zu ersetzen, eine neue Grundlage bekommen: dieser Staat hat sich per Gesetz zu der Erfüllung dieser Forderung verpflichtet. Nur durch diese grundlegende Änderung kann endlich die Würde und Selbstbestimmung der Betroffenen gewahrt werden. Diese Änderung des § 1896 Abs. 1a BGB ist der erste notwendige Schritt, so dass statt entmündigender stellvertretender Entscheidung von einer Assistenz unterstützter Entscheidung gesprochen werden kann, wie sie in der BRK versprochen wird, weil erst dann der/die Betroffene wirksam „Nein“ sagen kann.
Da der Bundestag sein gesetzlich gemachtes Versprechen seit 2009 nicht erfüllt hat, aber der GroKo dieses Versprechen sehr wohl bewusst ist, hat sich die GroKo nun eine Betreuungsrechtsänderung zur Täuschung der Öffentlichkeit vorgenommen. Denn als wir am 25. April 2014 alle Bundestagsabgeordneten an unsere Forderung erinnert haben, bekamen wir von CDU-CSU-SPD nur Absagen, bzw. Verweise auf das Justizministerium. Dieses hat es sich ganz einfach gemacht, indem es Konsequenzen der BRK für das Betreuungsrecht ohne Angabe von Gründen negierte, Zitat aus dem Brief des Justizministeriums vom 28.5.2014:
„Die Regelung in § 1896 Absatz 1a BGB steht schließlich auch nicht im Widerspruch zur Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Eine Änderung des § 1896 Absatz 1a BGB ist nicht angezeigt. Der weiteren Stärkung der Selbstbestimmungsrechte Betroffener dient das Gesetz zur Stärkung der Funktionen der Betreuungsbehörde, das am 1. Juli 2014 in Kraft treten wird.“
Was für eine Unverschämtheit und Ignoranz, die Verstärkung der Eingriffsmöglichkeiten der Betreuungsbehörde als eine Stärkung der Rechte der Betroffenen auszugeben und offenkundig zu lügen, dass sich damit die Forderung der Betroffenen nach rechtlicher Gleichstellung erledigt hätte. Das markiert den Justizminister Heiko Maas als Menschenrechtsverächter, der von der ganzen GroKo gestützt wird.
Warum also diese Ablehnung unserer Forderung? Weil im Gegensatz zu verlogenen Absichtsbekundungen im Koalitionsvertrag tatsächlich die Repression durch Betreuer und deren Machtstellung gestärkt werden soll. Auch uns ist nicht verborgen geblieben, wie die organisierten Berufsbetreuer seit ca. einem Jahr eine Lobby-Kampagne fahren, um durch eine sog. „Professionalisierung“ einen Beruf mit Ausbildung als Zulassungsvoraussetzung für eine Berufsbetreuung zu schaffen, siehe www.bdb-ev.de. Damit soll nicht nur deren Einkommen gesteigert werden, sondern es soll ein Anreiz für staatlich gewünschten Paternalismus geboten werden, der Repression gegen die Betroffenen wieder alle Türen zu öffnen, sie restaurieren zu können. Das ist das eigentliche Ziel der Zwangsbetreuung: die Fortsetzung des Obrigkeitsstaates. Hatte der Bundestag 2009 mit dem Patientenverfügungsgesetz nach jahrelanger Diskussion mit großer Mehrheit endlich anerkannt, dass das Wohl eines Betroffenen subjektiv bestimmt wird und durch dessen Willensäußerung bekundet wird, so droht er nun mit dem Eingehen auf die Forderungen der Betreuer genau diese Errungenschaft zur Verwirklichung der Selbstbestimmung wieder preis zu geben.
Das ist offenbar die Absicht der GroKo und des Justizministeriums: Denn in dem Augenblick, wenn Betreuung nicht mehr ein (stellvertretendes) Wahrnehmen selbstverständlicher Bürgerrechte ist, wie es eben jeder Erwachsene kann – das ist geradezu ein Kennzeichen dafür, dass man ein Erwachsener ist – sondern einer speziellen Ausbildung bedürfen soll, werden Richter wieder zu der alten Praxis zurückkehren, dass sie das Wohl bestimmen und auf den Willen der betroffenen Person keine Rücksicht mehr genommen wird. Denn die richterliche „Wohl“bestimmung wird dann, wie früher, vom angeblichen „Expertenwissen“ durch die bekannten Gefälligkeitsgutachten von Psychiatern, Sozialarbeitern und vom Gericht beauftragten und diesem hörigen Betreuern abgesichert. Wenn also ein Vorsorgebevollmächtigter deren Meinung (z.B. eine Zwangseinweisung und folterartigen Zwangsbehandlung sei geboten) widersprechen sollte, wird wieder behauptet werden, dass nun angeblich ein gesetzlich im Vordergrund stehendes „Wohl“ des Betroffenen im Mittelpunkt der richterlichen Entscheidung stünde. Zitat § 1897 (4) BGB:
Schlägt der Volljährige eine Person vor, die zum Betreuer bestellt werden kann, so ist diesem Vorschlag zu entsprechen, wenn es dem Wohl des Volljährigen nicht zuwiderläuft.
Der Bevollmächtigte würde im Gegensatz zu einem ausgebildeten Betreuer diesem Wohl zuwiderhandeln, also müsse der Bevollmächtigte durch einen ausgebildeten Experten ersetzt werden. Zitat § 1896 (2) BGB:
Die Betreuung ist nicht erforderlich, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten, der nicht zu den in § 1897 Abs. 3 bezeichneten Personen gehört, oder durch andere Hilfen, bei denen kein gesetzlicher Vertreter bestellt wird, ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können.
Das seit dem 1.9.2009 mit dem Patientenverfügungsgesetz in Verbindung mit der Vorsorgevollmacht geschaffene Selbstbestimmungsrecht wäre durch die Hintertür wieder zunichte gemacht.
Mit dem Patientenverfügungsgesetz wurde die gesetzliche Einführung der Vorsorgevollmacht aus dem Jahr 1999 vollendet, mit der es erstmals möglich wurde, sich auch in prekärer Lage gegen erzwungene medizinische Behandlungen abzusichern. Der Staat hatte damit seinen Anspruch auf Zwangsbehandlung zumindest punktuell aufgegeben. Auch unvernünftiges Verhalten konnte seitdem durch ein subjektiv bestimmtes Wohl, vor dem gewaltsamen Zugriff ärztlicher »Vernunftshoheit« geschützt werden. Diese »Vernunftshoheit« des Arztes hatte das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner Entscheidung vom 7. Oktober 1981 (2 BvR 1194/80) kritisiert, aber bis zum 1.9.2009 interpretierten die Richter jeden Spielraum so, dass sie den erklärten Willen des Betroffenen brechen konnten. So wurde regelmäßig der Vorrang einer privatautonomen Bevollmächtigung durch eine einschränkende Auslegung des § 1896 Abs. 2 BGB unterlaufen, um Bevollmächtigte, die ärztlich unerwünschte Entscheidungen trafen, durch gerichtsbestimmte Betreuer zu ersetzen. Folgerichtig kam das Berliner Kammergericht in seinen Beschlüssen vom 14.03.2006 (1 W 134/05; 1 W 298/04; 1 W 340/04) und vom 31.10.2006 (1 W 448/04) zu dem Schluss, es sei aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass dem Willen der Vollmachtgeberin nicht gefolgt werde.
Diese Rechtsprechung wurde durch eine Konstruktion gerechtfertigt, die ein richterlich bestimmtes Wohl dem in der Vollmacht subjektiv bestimmten Wohl entgegensetzte und damit das vom Gesetzgeber eigentlich favorisierte Subsidiaritätsprinzip aushebelte. In der erwähnten Entscheidung bestätigt folgerichtig das Kammergericht einen Beschluss des Berliner Landgerichts vom 8.6.2004 (83 T 128 + 472/03), das die Voraussetzungen für eine „Vorratsbetreuung“ als gegeben ansah mit der Konsequenz einer über weitere Jahre hinweg aufgezwungenen Bevormundung (mit tödlichem Ende der Betroffenen, die dieser jahrelangen Negierung Subjekt zu sein, am 10.1.2008 selbst ein gewaltsames Ende setzte).
Der Vorwand der Berufsbetreuer, durch eine Berufsausbildungsordnung usw. die “Betreuungsqualität” steigern zu wollen, ist fadenscheinig, denn weil erzwungen werden kann, eine rechtliche Stellvertretung zu erdulden, muss es zu Klagen über Betreuungen kommen. Umgekehrt würde die Möglichkeit einer jederzeit möglichen Kündigung des Stellvertretungsverhältnisses den Stellvertretenden an den Wunsch und Willen des Stellvertretenen binden, was die notwendige Voraussetzung für ein verständiges Miteinander und eine durch Assistenz unterstützte Entscheidungsfindung ist. Das Verhältnis untereinander bekommt nur dann den Charakter einer – jederzeit kündbaren – Bevollmächtigung. Dann muss sich die Qualität einer Betreuung gegenüber dem “Bevollmächtigenden” beweisen, nicht gegenüber einem Gericht, mag sich das auch noch so wohlwollend wähnen. Ein Gericht könnte dann nur noch eine Betreuung vorschlagen, jedoch nicht mehr erzwingen.
Wir appellieren an die Öffentlichkeit:
Den Zusagen, die von den Bundestagsabgeordneten Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) und Dr. Matthias Bartke (SPD) den Berufsbetreuern bei deren Jahresversammlung gegeben wurde (siehe www.bdb-ev.de), muss eine Abfuhr erteilt werden. Der Behauptung von Dr. Sabine Sütterlin-Waack „Der erste richtige Schritt hin zu einem weiterentwickelten Betreuungsrecht ist die Professionalisierung“ muss genauso widersprochen werden, wie jedem Versuch des Justizministeriums, ein Gesetzgebungsverfahren anzustoßen, in dem, statt dass unsere Forderung erfüllt, die BRK negiert wird.
Pressemitteilung der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V. vom 3.7.2014
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*Seite 154, Kapitel Moderner Staat, innere Sicherheit und Bürgerrechte – Moderne Justiz