Bundesarbeitsgemeinschaft
Psychiatrie-
Erfahrener e.V.
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Dienstag, den 4.2.2025 um 17h
Licencie en droit (Toulouse 1994)
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Anmerkung zu dem Beitrag:
„Vorausverfügte Therapieablehnungen in Situationen von Eigen- oder Fremdgefährdung. Ethische und rechtliche Überlegungen zur Umsetzung von Patientenverfügungen in der Psychiatrie“
von Jakov Gather · Tanja Henking · Georg Juckel · Jochen Vollmann, „Ethik Med“ (2016), Springer 2016 – im Internet:
von Rechtsanwalt Dr. David Schneider-Addae-Mensah, Karlsruhe
Der, sowohl aus rechtlicher als auch aus ethischer Sicht, bedenkliche Beitrag von Gather u.a. darf nicht unwidersprochen bleiben.
Patientenverfügungen können niemals zu klinisch und ethisch schwierigen Situationen führen, weder bei gerichtlich angeordneter Freiheitsentziehung, noch ohne eine solche. Zu rechtlich und ethisch problematischen Situationen kann es allenfalls dann kommen, wenn wirksame Patientenverfügungen durch Therapeuten ignoriert werden. Regelmäßig kommt es dann zu strafbaren Freiheitsberaubungen und Körperverletzungen, die im Extremfall den Tatbestand der Folter gemäß Art. 1 VN-Folterkonvention erfüllen. Denn es ist eindeutig, daß bei wirksamen Patientenverfügungen weder ein Festhalten eines Patienten in einer Klinik noch seine irgendwie geartete „Therapierung“ erlaubt sind.
Der vorliegende Beitrag setzt sich daher kritisch mit jenem von Gather u.a. auseinander und analysiert deren Empfehlungen sowohl aus menschenrechtlicher, grundrechtlicher und strafrechtlicher als auch aus ethischer Sicht.
Schlüsselwörter: Patientenverfügung, PatVerfü, Psychiatrie, Folter, Zwangsbehandlung, Körperverletzung, Freiheitsberaubung
I. Verbindlichkeit der Patientenverfügung – der Ausgangsfall
Zutreffend stellt der kritisierte Beitrag dar, daß eine wirksame Patientenverfügung gemäß
§ 1901a BGB rechtsverbindlich ist. Unklar ist, wie hieraus rechtliche oder ethische Probleme erwachsen können sollen.
Der eingangs besprochene Beispielsfall ist schon nicht besonders glücklich gewählt. Erstens wurde der dortige Proband nicht von einem Mediziner zur Vorstellung in der Psychiatrie animiert sondern von inkompetenten Polizisten. Es ist daher in keinster Weise gesichert, daß es medizinisch indiziert war, daß der Betroffene sich überhaupt in einer Psychiatrie vorstellt. Leider ist eine solche Verfahrensweise in der Praxis häufig und nicht selten fatal für die Betroffenen. Auch das außergewöhnliche Verhalten des Betroffenen muß nicht einer psychischen Störung entsprungen sondern kann durchaus normalpsychologisch erklärbar sein. Schreien in der Wohnung, Werfen von Gegenständen aus dem Fenster und auch Zündeln, wiewohl nicht ungefährlich, sind nicht per se Ausdruck einer psychischen Störung und können bestimmten Umständen geschuldet sein, über die hier freilich keine näheren Angaben vorliegen. Eine „schizophrene Erkrankung“ ist daher im Beispielsfall weder nachgewiesen noch unterstellbar. Hier wird durch die Psychiatrie und ihre willfährigen Unterstützer in Polizei und Justiz meist schon ein Eingangsfehler gemacht: Menschen, über deren Lebenslauf, Persönlichkeit, nähere Lebensumstände wie über deren konkretes Erleben weder den handelnden Polizisten noch den betroffenen Psychiatern genauere Kenntnisse vorliegen, werden schlicht psychiatrisiert, weil sie sich nicht hübsch angepaßt verhalten sondern ein „auffälliges“ gesellschaftliches Verhalten zeigen. Daß ungewöhnliches Verhalten auch schlicht eine Reaktion auf ungewöhnliche Vorkommnisse oder Erfahrungen der betreffenden Person sein können, so weit denken meist weder Polizisten noch Psychiater.
Hinzu kommt, daß an der Existenz psychischer Erkrankungen und psychischer Störungen generell ernstzunehmende Zweifel bestehen. Bislang hat die Psychiatrie noch keine einheitliche, widerspruchsfreie und allgemein akzeptierte Definition für schizophrene Erkrankungen bieten können. Die althergebrachte Definition, die bei Goethes Faust anklingenden „zwei Seelen […] in meiner Brust“ werden von der real existierenden Psychiatrie schon lange nicht mehr für die angebliche Erscheinung der Schizophrenie bemüht. Stattdessen subsumiert man mehr oder weniger jeden psychisch auffälligen Zustand hierunter und mischt den Begriff mit jenem der Psychose, paranoiden Erscheinungen und ähnlichen, dem durchschnittlichen Menschen nicht erklärlichen, Phänomenen. Klare Abgrenzungen werden hier nicht mehr deutlich. Es fehlt mithin schon an einem klar bestimmten und eindeutigen Krankheitsbild. Zudem wird man einen pathologischen Zustand nicht am Normalempfinden anknüpfen können, denn bereits für die „Normalität“ gibt es keine objektiven Maßstäbe. Sie ist individuell so verschieden, wie es Menschen nun einmal sind. Man wird insofern auch keinen aufgezwungenen gesellschaftlichen Konsens unterstellen können, dem sich jeder zu unterwerfen hat. Eine solche Gesellschaft hätte Null Entwicklungschancen. Auch mehrheitlich akzeptierte Normen taugen nicht zur Definition eines Normalitätsbegriffs. Denn es liegt nicht in der Kompetenz einer Mehrheit Krankheiten zu definieren. Pathologische Zustände sind mithin demokratischen Regeln entzogen und folgen allein fachlichen Aspekten. In diesem Zusammenhang sei nur darauf hingewiesen, daß auch die Erfindung psychischer Störungen durch eine regelmäßig tagende Ansammlung von Psychiatern und deren Festschreibung in einschlägigen Manualen wie ICD und DCM keine seriöse Definition pathologischer Zustände darstellt.
Selbst wenn man aber hilfsweise im Ausgangsfall das Vorliegen einer „Psychose“ oder einer „Schizophrenie“ bei dem betroffenen Probanden unterstellt, ergibt sich hieraus nicht unbedingt eine Behandlungsbedürftigkeit. Zunächst haben gewiß nicht „Ärzte“ im eigentlichen Sinne sondern lediglich Psychiater den Probanden bei Ankunft in der Psychiatrie gesehen. Daß die Psychiatrie heute als Teil der Medizin anerkannt ist, ist ein Dilemma, doch hilft dies der Psychiatrie de facto nicht über ihren pseudowissenschaftlichen Charakter hinweg. Allein hieraus ergeben sich schon Zweifel an einer objektivierbaren „Behandlungsbedürftigkeit“ des Betroffenen. „Behandlungsbedürftigkeit“ ist aber auch ganz generell ein medizinischer Kampfbegriff gegenüber medizinischen Laien, der den Mediziner zum „Halbgott in Weiß“ über die „Normalbevölkerung“ erhebt. Dieses überhebliche Gebahren von Medizinern allgemein und von Psychiatern im Besonderen begegnet erheblichen ethischen Bedenken. Denn es ist nicht der Arzt, der über eine Behandlungsbedürftigkeit entscheidet sondern allein der Patient! Der Arzt ist Berater des Patienten und Behandler nur dann, wenn der so umfassend beratene Patient sich zu einer entsprechenden Behandlung entschieden hat. Die Meinung des Arztes ist eine Meinung, mehr nicht. Auch kennt er den Patienten nicht oder schlecht, jedenfalls stets schlechter als der Patient sich selbst kennt. Dies gilt schon für den klassischen Mediziner, der immerhin noch technische Analyseinstrumente zur Hand haben mag. Es gilt verstärkt für den Psychiater, der fragwürdige Krankheiten in nebulösen Fällen diagnostiziert ohne in seine Patienten hineinschauen zu können. Der Kampfbegriff der „Behandlungsbedürftigkeit“ verabsolutiert insofern eine bloße Meinung und stilisiert sie zu einem Grundaxiom, das sie nicht ist.
Ähnliches gilt für die viel beschworenen Begriffe der „Einsichtsfähigkeit“ und der „Einwilligungsfähigkeit“ eines Menschen. Erster Begriff ist schon irrelevant für die Frage einer freiverantwortlichen Ablehnung einer Behandlung. Denn die Negierung von Einsichtsfähigkeit ist ihrerseits Ausdruck eines Machtgefälles zwischen Gesellschaftsrepräsentanten – Ärzten, Psychiatern, Juristen, Polizisten – und dem Einzelnen. Dieser wird als dumm definiert, die Gegenseite als gescheit. Fügt sich der „Dumme“ nicht den „Gescheiten“ ist er „einsichtsunfähig“. Da er zuvor eine psychische Erkrankung von den „Gescheiten“ angedichtet bekommen hat, ist er „krankheitsbedingt einsichtsunfähig“. Hier wird deutlich, daß die Wirksamkeit einer Ablehnung von Eingriffen, die Wirksamkeit einer Vorausverfügung, niemals an den Kampfbegriff einer „krankheitsbedingten Krankheitsuneinsichtigkeit“ geknüpft werden darf, wie es leider auch unser höchstes deutsches Gericht tut.[i]
Was die „Einwilligungsfähigkeit“ angeht, so ist auch sie objektiv kaum feststellbar. Sicher ausschließen läßt diese sich nur bei Toten und bei Bewußtlosen. Bei allen anderen Menschen, letztlich selbst bei schreienden Säuglingen, ist die Einwilligungsfähigkeit nicht mit vollständiger Sicherheit ausschließbar. Da sie aber nicht nachweisbar ist, muß sie unterstellt werden. Denn sonst könnte und müßte man die Einwilligungsfähigkeit letztlich jedem Menschen absprechen und es gäbe kein freiverantwortliches Handeln, keine Eigenverantwortlichkeit und keine Geschäftsfähigkeit mehr. Unsere Wirtschaft und Gesellschaft kämen zum Erliegen.
Aber selbst wenn man hilfsweise eine Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen unterstellt, so gälte systematisch stets folgende Vorgabe: fehlt es an der Einwilligungsfähigkeit tatsächlich, so wäre ja gerade der (psychiatrische) Eingriff unmöglich. Denn zunächst muß für jeden medizinischen und sonstigen therapeutischen Eingriff gelten: Der Eingriff ist eine Körperverletzung, die einer Rechtfertigung bedarf soll sie nicht rechtswidrig sein.[ii] Fehlt es daher an der Einwilligungsfähigkeit, so ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Opfers nicht rechtfertigbar und strafbar. Zwar haben die juristische Dogmatik und Rechtsprechung den unsauberen Begriff von der mutmaßlichen Einwilligung erfunden, doch gibt dieser alles andere als Rechtssicherheit. Gerade weil die Handelnden den Betroffenen nicht kennen, weder seine Geschichte noch seine Wertungen und Ansichten, gerade weil sie nicht in ihn hineinschauen können, kann es auch eine mutmaßliche Einwilligung nicht geben. Gefährliche oder gar schwere Körperverletzungen, die dem Bereich mittlerer bzw. schwerer Kriminalität zuzurechnen sind, lassen sich nicht durch bloße Mutmaßungen rechtfertigen. Vielmehr bedarf es einer klaren und eindeutigen, freiverantwortlich erfolgten Einwilligung in den betreffenden Eingriff.
Gerade diese Klarheit bietet jedoch eine Patientenverfügung. Anders als die Autoren des kritisierten Beitrags Glauben machen wollen ist es daher gerade die fehlende Patientenverfügung, die ethische und rechtliche Zwickmühlen aufwerfen kann, ganz gewiß aber doch nicht eine bestehende freiverantwortlich erteilte, hinreichend bestimmte und klare Patientenverfügung, wie im angesprochenen Beispielsfall. Wer eindeutig regelt, daß er keine Neuroleptika einnehmen will, bei dem gibt es keinen Ermessenspielraum für eine andere Entscheidung. Wer klar und eindeutig geregelt hat, daß er lebenserhaltende Maßnahmen ablehnt, bei dem gibt es keinen ärztlichen Entscheidungsspielraum und auch nicht für denjenigen, der klar und eindeutig geregelt hat, bei klinischem Tod nicht wiederbelebt werden zu wollen. All dies sind klare Ansagen, die keinen Raum für rechtliche Spekulationen, andere Entscheidungen oder pseudoethische Diskussionen lassen. Eine rechtlich problematische Situation besteht bei der bloßen Nichtbehandlung daher nicht.
Umgekehrt ist aber auch klar: fehlt die Einwilligung in den Eingriff, so haben alle Arten medizinischer und sonstiger therapeutischer Eingriffe zu unterbleiben! Daß die Patientenverfügung, wie die hier kritisierten Autoren schreiben, daher heute zur Abwehr staatlicher und halbstaatlicher Eingriffe in Körper, Privatheit und Persönlichkeit eines Menschen de facto herhalten muß, ist allein dem Umstand geschuldet, daß in unserer angeblich so freien Gesellschaft in Wahrheit jene Eigenverantwortung des Einzelnen im Grundsatz nicht akzeptiert wird. Es ist eigentlich ein perverser Zustand: denn eigentlich bräuchte es hierfür gar keine Patientenverfügung sondern vernünftig, human und rechtskonform denkende und handelnde Mitmenschen. In einer gesunden Staats- und Gesellschaftsordnung bliebe die Patientenverfügung auf die Vorausgenehmigung therapeutischer Eingriffe, mithin auf ihren eigentlichen Kernaufgabenbereich, beschränkt und müßte nicht als Abwehrwaffe dienen.
Auch eine ethische Zwickmühle ist bei einer bestehenden Abwehrverfügung beim besten Willen nicht erkennbar. Wer krank sein will soll krank sein, dazu hat er das Recht.[iii] Wer sterben will soll sterben, dazu hat er das Recht.[iv] Die ethische Verwerflichkeit beginnt dort, wo sich Staat und Gesellschaft und deren mehr oder weniger selbst ernannte Repräsentanten über den eindeutigen Willen des Einzelnen hinwegsetzen, diesen verletzen, der Freiheit berauben, erniedrigen und entpersönlichen. Dort also, wo Psychiater und ihre Helfer den Einzelnen zum bloßen Objekt ihrer grenzwertigen Ideologie degradieren. Hier ist die Menschenwürde des Einzelnen verletzt, hier werden ethische und moralische Grenzen menschlichen Handelns mißachtet.
II. Schutzbereich der Patientenverfügung – Grenzen?
Anders als der kritisierte Beitrag es darstellt, gibt es für die Patientenverfügung grundsätzlich keine rechtlichen Grenzen. Diese kann vielmehr grundsätzlich alle Eingriffe ebenso erlauben wie verbieten. Unlimitiert ist die Patientenverfügung bei der Regelung von Behandlungsverboten. Sämtliche denkbare Behandlungen können durch eine Patientenverfügung verboten werden. Eine Grenze gibt es rechtlich lediglich für die Erlaubnis von Behandlungen. Diese wird durch § 228 StGB gezogen. Körperverletzungen nämlich, die gegen die guten Sitten verstoßen, sind einwilligungsunfähig. Hierzu zählt zweifelsohne die Lobotomie, sei sie chirurgisch oder stofflich durchgeführt. Aber auch alle stofflichen Beeinflussungen, die die Persönlichkeit erheblich verändern und aus den Betroffenen „Zombies“ machen, die eines eigenständigen Lebens nicht mehr fähig sind, fallen hierunter. Damit dürfte auch ein Großteil der Einwilligungen in neuroleptische Behandlungen gemäß
§ 228 StGB unbeachtlich sein. Selbst eine insofern erteilte freiverantwortliche Einwilligung macht den Eingriff daher nicht rechtmäßig. Er bleibt, jedenfalls dann, wenn er zu einer schweren Körperverletzung führt, rechtswidrig und ein Verbrechen.
Auch die Untersuchung und Diagnosestellung bedürfen der Einwilligung des Betroffenen, wie ein Blick ins Gesetz unschwer erhellt: § 1901a Abs. 1 BGB. Für sie gilt dasselbe wie oben unter I. zur Behandlung ausgeführt wurde. Es nimmt daher Wunder, daß die Autoren des kritisierten Beitrags diese Bereiche ohne weitere Begründung aus dem Regelungsbereich einer Vorausverfügung ausschließen wollen. Auch für Untersuchung und Diagnose gilt vielmehr, daß diese ohne Einwilligung des Betroffenen verboten sind. Zuwiderhandlungen verletzen nicht nur dessen Allgemeines Persönlichkeitsrecht sondern auch seine körperliche Integrität. Denn bereits die Untersuchung eines Menschen greift in dessen physische Integrität ein.
Auch alle Arten von Zwangsmaßnahmen, wie Einsperrung („Unterbringung“), Fesselung („Fixierung“) und Bunkerhaft („Isolierung“) können – ungeachtet ihrer ohnehin bestehenden menschenrechtlichen Bedenklichkeit – auch noch zusätzlich in einer Patientenverfügung untersagt werden. Es ist den Autoren des kritisierten Beitrags zwar zuzugeben, daß derlei Aktivitäten in einem Krankenhaus grundsätzlich nichts zu suchen, mithin keinerlei therapeutische Funktion haben. Gleichwohl erfordert – unabhängig von ihrem medizinischen oder nichtmedizinischen Charakter – nach den unter I. erläuterten Grundvoraussetzungen natürlich auch jeder Eingriff in die Freiheit eines Menschen dessen Einwilligung, soll er nicht rechtswidrig sein. Eine Vorausverfügung, die eine solche Einwilligung grundsätzlich oder generell versagt, beläßt entsprechende Übergriffe daher ohne Weiteres in der Illegalität. Umgekehrt könnte eine solche Vorausverfügung derlei Aktionen aber natürlich auch erlauben. Was den Schutz der Rechte Dritter angeht, so kann im Einzelfall eine entsprechende Maßnahme durch Notwehr oder Nothilfe gerechtfertigt sein. Allerdings sind dann strenge Maßstäbe an die Angemessenheit anzulegen. Folter und erniedrigende Behandlung, wie es strafende Bunkerhaft in Psychiatrien und stunden- und tagelange Fesselung ohne Möglichkeit seine Notdurft zu verrichten darstellen, sind auch mit dem Schutz der Rechte Dritter nicht zu rechtfertigen. Hier tritt vielmehr der Schutzauftrag des Staates gegenüber dem Betroffenen in den Vordergrund.
Zwar kann durch eine Patientenverfügung keine Betreuerbestellung verhindert werden, wohl aber durch die Erteilung einer Vorsorgevollmacht. Die im kritisierten Beitrag eingangs erwähnte PatVerfü ist ein Modell, das Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht miteinander kombiniert. Durch solch eine Verfügung und Vollmacht kann daher sehr wohl eine Betreuerbestellung verhindert werden. Denn die wirksame Vorsorgevollmacht geht der rechtlichen Betreuung nach unstreitiger Ansicht vor und soll diese sogar vermeiden.[v]
III. Die Patientenverfügung und der Wille des Betroffenen
Zunächst ist unklar, was die Autoren mit dem Begriff der „Selbstbestimmungsfähigkeit“ meinen und bezwecken. Der Begriff ist kein terminus technicus und rechtlich wie tatsächlich daher irrelevant. Der Fußnote 6 ihres Beitrags ist zu entnehmen, daß sie diesen mit der Einwilligungsfähigkeit offenbar gleichsetzen. Auf Seite 212 ihres Beitrags wird dann behauptet, die Einwilligungsfähigkeit sei die „Selbstbestimmungsfähigkeit im ethischen Sinne“. Es wird weder erläutert, wo die Autoren diese Definition hernehmen, noch erklärt, was die „Selbstbestimmungsfähigkeit im ethischen Sinne“ sein soll. Schließlich werden noch angebliche „Kriterien“ der sog. Selbstbestimmungsfähigkeit – „Informationsverständnis, Urteilsvermögen, Einsichtsfähigkeit, Treffen und Kommunizieren einer Entscheidung“ – genannt, ohne allerdings auch hier eine vertrauenswürdige Quelle anzugeben – aus Fußnote 20 ergibt sich vielmehr ein Eigenzitat – und ohne die nun neu kreierten Kriterien ihrerseits zu definieren. Es ist bereits bedenklich, daß die Autoren die Wirksamkeit einer Patientenverfügung offenbar an Begriffe knüpfen, deren Definition sie nicht zu geben vermögen.
Für die Wirksamkeit einer Verfügung, gleich welcher Art, wird man natürlich fordern müssen, daß der Autor zum Zeitpunkt ihrer Errichtung in der Lage war, Art und Ausmaß seiner Verfügung zu erfassen und frei von Druck durch Dritte entscheiden konnte. Nicht verständlich ist allerdings, warum die Autoren des kritisierten Beitrags im Falle festgestellter Geschäftsfähigkeit des Betroffenen Zweifel an seiner „Selbstbestimmungsfähigkeit“ hegen. Die Geschäftsfähigkeit geht doch im Zweifel viel weiter als die bloße „Selbstbestimmungsfähigkeit“. Erstere setzt Letztere voraus. Wer Art und Ausmaß einer Entscheidung nicht beurteilen kann, ist auch nicht geschäftsfähig. Urteilsstärke hingegen ist der Kern der Geschäftsfähigkeit. Letztlich räumen auch die Autoren des hier kritisieren Beitrags ein, daß es einer Geschäftsfähigkeit des Einzelnen zur Errichtung einer wirksamen Patientenverfügung gar nicht bedarf. Schwierigkeiten für die Feststellung der „Selbstbestimmungsfähigkeit“ ergeben sich daher nur in den Fällen beschränkter oder ausgeschlossener Geschäftsfähigkeit, etwa bei Kindern, sicher jedoch nicht in den Fällen, in denen die Geschäftsfähigkeit festgestellt worden ist. Ein durch einen Arzt oder auch durch eine sonst sachkompetente Person, wie etwa einen Notar, ausgestelltes Geschäftsfähigkeitsattest genügt daher ohne weiteres der Feststellung der „Selbstbestimmungsfähigkeit“ oder technisch besser der Einwilligungsfähigkeit des jeweiligen Betroffenen. Kritisch zu hinterfragen gilt es dann gar nichts mehr. Vielmehr ist davon auszugehen, daß bei vorliegendem Geschäftsfähigkeitsattest die Einwilligungsfähigkeit des Betroffenen zum Zeitpunkt der Errichtung seiner Verfügung gegeben war. Dies gilt selbst dann, wenn es eines solchen Geschäftsfähigkeitsattestes entbehrt. Wie die Autoren des inkriminierten Beitrags selbst einräumen bedarf es auch dann besonderer Anhaltspunkte für einen nicht freiverantwortlichen Willen des Betroffenen. Es kommt daher im Grundsatzfall nicht darauf an „festzustellen“ ob Informationsverständnis, Urteilsvermögen, Einsichtsfähigkeit, Treffen und Kommunizieren einer Entscheidung beim Betroffenen positiv vorhanden sind. Dies wird vielmehr in Ermangelung besonderer anderer Hinweise unwiderleglich vermutet.
Anders verhält es sich mit der Einwilligung des Patienten in eine durch den Arzt oder Psychiater begangene Körperverletzung („Behandlung“). Bei dieser ist in der Tat positiv festzustellen ob der Betroffene genügend Informationen erhalten, diese hinreichend verstanden hat, über ausreichendes Urteilsvermögen und Einsichtsfähigkeit hinsichtlich der Konsequenzen der Behandlung verfügt und seine Entscheidung auch entsprechend kommunizieren kann. Umgekehrt als die Autoren des inkriminierten Beitrags meinen, ist die Einwilligungsfähigkeit in eine Behandlung jedoch gerade dann eingeschränkt, wenn der Behandlungsaufenthalt in einer Einrichtung nicht freiwillig erfolgt, die betroffene Person also einfach weggesperrt wird und ihr dann nötigenderweise die „Auswahl“ zwischen Freiheit und Vergiftung gelassen wird. Eine Entscheidung pro Behandlung ist in solchen Nötigungsszenarien nie freiverantwortlich erfolgt.
Die Autoren des hier kritisierten Beitrags externalisieren insofern wenn Sie die Anforderungen, die an ihre eigene Aufklärungsarbeit und ihre eigenen physischen und psychische Interventionen zu stellen sind, auf die bloße Negation einer Behandlung anzuwenden suchen.
Es liegt auch völlig neben der Sache, wenn die grundsätzlich zu unterstellende Eigenverantwortlichkeit eines Menschen durch die Autoren in Frage gestellt wird, weil ein Formformular für eine Patientenverfügung (PatVerfü) bestimmte Vorschläge macht. Wie oben bereits ausgeführt, ist ein solches Formular lediglich ein Vorschlag, der keinesfalls verbindlich ist. Jeder muß selbst wissen was er verfügt. Dürfte man in einer freien Gesellschaft schon keine Formulierungsvorschläge mehr machen, so müßten sich gerade auch die Autoren des besprochenen Beitrags an die eigene Nase fassen, wenn sie ihren inhaftierten, fixierten und sedierten „Patienten“ irgendwelche vorformulierten Texte zur „Freiwilligkeit“ eines Psychiatrieaufenthaltes oder zu deren „Behandlung“ dort vorsetzen. Gerade derlei Interventionen wären doch dann hinsichtlich ihrer Freiverantwortlichkeit zu hinterfragen.
Im übrigen ist falsch, daß sich im Modell „PatVerfü“ falsche Formulierungen fänden. Der Begriff einer Gefangennahme in der Psychiatrie trifft den Kern, auch wenn er untechnisch erscheinen mag. Der terminus technicus „Unterbringung“ ist nur die beschönigende Formulierung genau desselben Phänomens. Eine psychiatrische Unterbringung ist eine freiheitsentziehende Maßnahme, salopp ausgedrückt also eine Gefangennahme. Der Straftatbestand der „Gefangenenbefreiung“ gemäß § 120 Abs. 1 iVm Abs. 4 StGB ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut auch auf in der Allgemeinpsychiatrie auf behördliche Anordnung verwahrte Menschen anwendbar. Daher gehen die Autoren des inkriminierten Beitrags hier offenbar von einer falschen Bedeutung des Wortes „Gefangener“ aus. Was an dem Begriff der Gefangennahme ethisch bedenklich sein soll, bleibt das Geheimnis der Autoren des inkriminierten Beitrags. Ethisch bedenklich ist die Gefangennahme selbst, nicht deren Benennung!
Zur Möglichkeit eines Verbots sämtlicher Zwangsmaßnahmen, ja des bereits gesetzlich insofern erfolgten Verbots, sind oben bereits ausreichend Ausführungen gemacht. Das Modell der „PatVerfü“ weist lediglich auf diese rechtlich unproblematischen Umstände fachlich versiert und überdacht hin und rückt die Falschinformationen der Psychiatrie zurecht. Im übrigen wird hier angemerkt, daß das Modell „PatVerfü“ nicht von irgendwelchen juristischen Laien errichtet worden ist sondern von versierten Juristen, die an der Schaffung von § 1901a BGB ihren Anteil hatten. Es handelt sich daher um ein von hochkompetenten Autoren mit großem Aufwand und großer Sorgfalt entwickeltes Modell, das mit Sicherheit vertrauenswürdiger ist als irgendein psychiatrisches Manual.
Inhaltlich zutreffend ist im übrigen auch, daß psychiatrische Behandlungen per se ein erhebliches Risiko irreversibler Gesundheits- und Persönlichkeitsschäden bergen. Dies ist auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannt worden.[vi] Die Aufnahme eines entsprechenden Passus in ein PatVerfü-Modell ist daher zu begrüßen und erhöht deren Sachlichkeit und Seriosität. Daß Zwangsbehandlungen, also erhebliche Körper- und Psyche-Verletzungen, niemals rechtfertigbar sind, ist eine Auffassung, die einer humanistischen Grundhaltung immanent ist. Selbst wenn man im Einzelfall in der Tat nicht mit letzter Sicherheit ausschließen kann, daß ein Mensch auch mal durch Gewalt eine Besserung seines Zustandes erfährt, so ist dies doch ein recht unrealistisches Szenario. In den allermeisten Fällen wird Gewalt, gerade wenn sie gegen psychisch labile Menschen angewandt wird, bei den Opfern ein Trauma hinterlassen, das die gegebenenfalls mitauftretenden Zustandsbesserungen mehr als aufbrauchen wird. Mißbrauch und Schaden sind bei einer psychiatrischen Behandlung Tür und Tor geöffnet, gerade wenn sie durch Ideologen erfolgt, wie es bei den Autoren des besprochenen Beitrags mehr als anklingt. Es gibt keine klar definierten psychiatrischen Krankheiten und es gibt auch keine hinreichende Erforschung psychopharmakologischer „Behandlungen“. Letztlich ist die heutige Psychiatrie somit nichts weiter als ein großes Versuchslabor. Diese ethischen Probleme mag das Modell der „PatVerfü“ in der Tat streifen. Hierfür gebührt den Autoren des Textes der „PatVerfü“ Lob und Respekt! Die Entscheidung des Einzelnen zugunsten seiner Gesundheit und Persönlichkeit wird so jedoch nicht erschwert sondern gerade erleichtert.
Daß der Betroffene sich der möglichen Konsequenzen einer wirksam errichteten Patientenverfügung bewußt ist, davon ist beim erwachsenen Verfügenden, wie gesagt, auszugehen. Die Autoren des besprochenen Beitrags tun nachgerade so, als hätten sie eine Horde Kleinkinder vor sich, die zu dumm sind für sich Lebensentscheidungen zu treffen. Diese psychiatrische Grundüberheblichkeit ist es, die ethisch bedenklich ist und zwar in erheblichem Ausmaß. Mit welchem Recht unterstellen diese Leute, Menschen, die mit Ihnen qua Artikel 3 Abs. 1 GG rechtlich gleich gestellt sind, könnten weniger über sich selbst entscheiden als sie selbst? Eher doch wird umgekehrt ein Schuh draus: ich kenne mich gewiß besser als jeder Psychiater auf dem Erdball. Und ich vermag auch die möglichen Konsequenzen zu bedenken, die aus einer Totalablehnung der psychopharmakologischen Medikation resultieren. Nur kann es eben sein, daß ich bereit bin diese Konsequenzen zu tragen und auch für mich entscheide, daß ich dies der Gesellschaft zumute, die mir ja auch so Einiges zumutet und die letztlich immer Ursache für psychische Instabilitäten und Schwierigkeiten ist. Es mag sein, daß die Konsequenz einer konsequenten Drogenablehnung eine – im schlimmsten Fall der forensischen Unterbringung – auch lebenslange Inhaftierung eines Menschen sein kann. Zum einen ist ein solches Szenario aber nicht auf die betroffene Person allein und ihre Entscheidung gegen die psychiatrische Behandlung zurück zu führen sondern zum guten Teil auf die Reaktion der Gesellschaft – Polizei, Justiz, Psychiatrie – hierauf. Man könnte mit psychisch auffällig reagierenden Charakteren nämlich auch anders umgehen als immerzu mit Zwang, Gewalt und oberlehrerhafter Behandlungsideologie. Hilfsweise wäre aber zum anderen selbst die Entscheidung einer Person in einer bornierten Gesellschaft, die wir nun einmal sind, notfalls lebenslang eingesperrt zu bleiben nur um seinen klaren Kopf zu bewahren eine Wertentscheidung des Einzelnen, die es zu respektieren gilt. Ich stelle fest, daß nur Mandanten, die konsequent jede psychopharmakologische Behandlung abgelehnt haben, ohne neurologischen Schaden aus der Forensik entlassen werden konnten. Die Zahl der Fehleinweisungen gerade in der Forensik häufen sich im übrigen in der letzten Zeit in meiner anwaltlichen Praxis; letzten Sommer waren es allein vier. Was tun mit all jenen Fehleinweisungen wenn sie psychiatrisch behandelt worden sind? Gesunde, die mit Drogen versetzt wurden!
Dies kann ein wesentliches Argument dafür sein abzuwarten bis der Tag der Entlassung gekommen ist und zuvor konsequent alle neuroleptischen Versuche an sich selbst zu unterbinden. Die persönliche Freiheit und die körperliche Unversehrtheit liegen allein in der Entscheidungsgewalt des Einzelnen. Wird er von der Gesellschaft dazu genötigt, sich für eines von beidem zu entscheiden, so muß es zumindest ihm überlassen bleiben für was er sich entscheidet.
Für den Ausgangsfall führen diese Prämissen zu einem ganz anderen Ergebnis als im besprochenen Beitrag:
Der durch Rettungssanitäter – und somit kaum freiwillig – in die Psychiatrie verbrachte Patient ist aufgrund seiner wirksamen und eindeutigen Patientenverfügung weder zu behandeln, noch in der Psychiatrie festzuhalten.[vii] Tun Psychiater oder deren Helfer dies dennoch, so sind sie strafbar. Dann also ergeben sich ethische wie strafrechtliche Schwierigkeiten und nur dann. Dies gilt, wie oben ausgeführt, auch im Falle fremdgefährdenden Verhaltens des Betroffenen, jedenfalls dann, wenn er in seiner Patientenverfügung Bunkerhaft, Folter, Fesselung, stoffliche Beeinflussung und andere Eingriffe, die seine zentralen Menschenrechte betreffen, nicht ausdrücklich erlaubt. Zulässig im Rahmen von Notwehr und Nothilfe, ggf. auch von Notstand wären allenfalls einfache Freiheitsentziehungen, etwa durch einen Unterbindungsgewahrsam, in schweren Fällen auch repressive Freiheitsentziehungen also Haft. Eine Unterbringung in der Psychiatrie ist auch in solchen Fällen unethisch und strafbar und stellt insofern selbst eine Fremdgefährdung dar, die die genannten einfachen Freiheitseingriffe – gegen handelnde Polizisten, Juristen und Psychiater – ihrerseits zu rechtfertigen vermag.
Dies gilt erst Recht für alle weitergehenden Freiheitseingriffe – „Fixierungen“ und Isolierungen – also die „Freiheitsentziehung in der Freiheitsentziehung“, wie Berichterstatterin Doris König derlei Maßnahmen während der Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht am 30.01.2018 genannt hat.[viii] War nach der hier vertretenen Ansicht schon die Unterbringung in einer Psychiatrie rechtswidrig, so gilt dies natürlich erst recht für eine noch weitergehende Freiheitsentziehung. Auch eine Beobachtung und Begleitung des im Ausgangsfall beschriebenen Betroffenen wäre daher rechtswidrig, da er schon nicht hätte untergebracht werden dürfen. Im übrigen gilt für jedes grundrechtsintensive Handeln spätestens seit dem Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts, daß dieses in einer dreistufigen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beurteilen ist, bei Vorliegen eines hinreichend legitimen gesetzgeberischen Ziels und einer entsprechenden gesetzlichen Rechtsgrundlage also geeignet, erforderlich und angemessen sein muß um den entsprechenden Zweck zu erreichen.[ix]
Würde man hilfsweise die Unterbringung eines Betroffenen für gerechtfertigt halten, so könnte eine wirksame Patientenverfügung entsprechende weitergehende Freiheitseingriffe nach der oben vertretenen Ansicht bis zu den Grenzen der Notwehr und Nothilfe ausschließen. Erst in Ermangelung einer solchen Verfügung griffe die vorbezeichnete Verhältnismäßigkeitsrechtsprechung. Dann wird auch zu berücksichtigen sein, inwiefern Fesselungen und Isolierungen überhaupt verfassungsrechtlich zulässig sind. Hierüber wird das Bundesverfassungsgericht im Verfahren zu Az. 2 BvR 309/15 und 2 BvR 502/16 zu entscheiden haben. Diesseits bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Fesselung Betroffener, da sie zu lebensbedrohlichen Situationen führen kann.
Oben Gesagtes gilt im übrigen auch für entsprechende Maßnahmen in Haft, auch wenn diese dort seltener vorkommen. Eine Beobachtung und engmaschige Betreuung in Haft wäre wohl nicht erforderlich, da diese bereits durch die Haft an sich gewährleistet sein dürfte. Nur in Extremsituationen könnte eine solche zusätzliche Überwachung als erforderlich erachtet werden und somit verfassungsrechtlich rechtfertigbar sein.
Was die Behandlung in Freiheitsentziehung angeht, so erkennen die Autoren des besprochenen Beitrags zunächst zutreffend, daß eine solche bei wirksam errichteter Patientenverfügung generell ausscheidet und zwar sowohl bei drohender schwerer Selbst- als auch bei drohender Fremdschädigung. Die sofortige Relativierung dieses Generalverbots der Zwangsbehandlung durch die Autoren des inkriminierten Beitrags begegnet ethischen und strafrechtlichen Bedenken. Denn auch die Gefährdung von Personal und Mitpatienten wäre eine Fremdgefährdung, die eine Zwangsbehandlung nicht zu rechtfertigen vermag[x] und zwar unabhängig vom Vorliegen einer verbietenden Patientenverfügung! Abgesehen davon sind in einer Psychiatrie in der Tat hilfsweise genügend alternative Sicherungsmöglichkeiten gegeben.[xi] Jede Zwangsbehandlung, also jede stoffliche Beeinflussung eines Menschen ohne dessen klare und eindeutige Einwilligung stellt daher auch als Akutmedikation zur „bloßen“ Ruhigstellung eine gefährliche Körperverletzung dar, je nach eingesetzten Präparaten und Wirkung auch eine schwere. Auf die Dosierung des eingesetzten Präparats kommt es folglich nicht allein an. Bereits oben wurde ausreichend dargestellt, daß allein der Patient über seine Behandlung mit psychoaktiven Substanzen entscheidet. Eine etwaige Nutzen-Risiko-Abwägung muß daher ihm vorbehalten bleiben, ggf. auch in einer Vorausverfügung. Über die Wirksamkeit einer solchen Patientenverfügung auch im forensischen Setting und bei drohender Fremdgefährdung wird das Bundesverfassungsgericht im übrigen im Verfahren zu Az. 2 BvR 1866/17 zu entscheiden haben.
Der Widerruf einer Patientenverfügung ist unter denselben Bedingungen möglich, wie ihre Errichtung. Auch für den Widerruf der Verfügung wird man daher fordern müssen, daß der Autor zum Zeitpunkt des Widerrufs in der Lage war, Art und Ausmaß seiner Erklärung zu erfassen und frei von Druck durch Dritte entscheiden konnte. Dies wird jedoch in der von den Autoren des inkriminierten Beitrags beschriebenen Situation regelmäßig zu verneinen sein. Wie oben bereits vertreten wurde, wird die Einwilligung unter ideologischer Einflußnahme durch Psychiater, unter Druck, Nötigung und Freiheitsentziehung regelmäßig nicht frei von Druck durch Dritte erfolgen. Bereits der inkriminierte Beitrag selbst erzeugt einen gewissen Druck, wenn er die „Konsequenzen“ einer Behandlungsablehnung an die Wand malt und diese zudem als gewiss erscheinen läßt. Der Widerruf einer wirksam errichteten Patientenverfügung während eines Psychiatrieaufenthaltes wird daher regelmäßig unwirksam sein. Insofern geht auch der vom Bundesverfassungsgericht geforderte Überzeugungsversuch ohne Druck an der Praxis vorbei. Ein solcher Überzeugungsversuch ohne Druck ist in der Praxis einer Psychiatrie kaum denkbar. Dies immerhin erkennen augenscheinlich auch die Autoren des hier diskutierten Beitrags an.
IV. Fazit
Abschließend ist festzuhalten, daß die fehlende Zustimmung zu medizinischen und psychiatrischen Maßnahmen ohne weiteres deren Rechtswidrigkeit indiziert. Einer expliziten Ablehnung durch den Betroffenen bedarf es nicht. Liegt sie jedoch vor, so handelt es sich um eine Klarstellung, die auch einen etwaigen Vorsatz der übergriffigen Behandler unweigerlich begründet.
Die Konsequenzen einer zu unterbleibenden Behandlung sind nicht primär auf deren Ablehnung durch den Betroffenen zurück zu führen, sondern auf das Verhalten der Gesellschaft auf den Betroffenen. Insofern ist weder eine Behandlung, noch eine Unterbringung, gar auf Lebenszeit, zwingende Folge persönlich, psychisch oder sozial auffälligen oder normabweichenden Verhaltens. Daher ergeben sich auch für das Gesundheitssystem nicht zwingend erhebliche Kostenfolgen wenn jemand unbehandelt bleibt. Wird er nämlich gar nicht zwangsweise untergebracht, so ergeben sich für unser Gesundheitssystem erhebliche Einsparungen. Daß hiermit möglicherweise auch Arbeitsplatzinteressen bestimmter Kreise tangiert sind, mag sein. Das Bundesverfassungsgericht hat indes, ebenfalls im berühmten Apothekenurteil, bereits klargestellt, daß als verfassungsrechtlich geschützter Beruf nur sozial nicht schädigende, erlaubte Tätigkeiten gelten können. Hiervon kann man bei real existierenden Psychiatern und ihren Helfern derzeit nicht ausgehen. Der Verlust von „Arbeitsplätzen“ in diesem Bereich wäre daher keine verfassungsrechtlich relevante Auswirkung.
Auch gesundheitliche Auswirkungen auf unbehandelte Betroffene ist so nicht zu erkennen. Vielmehr können umgekehrt die gesundheitlichen Auswirkungen behandelter Betroffener für diese, ihre Umwelt und das Gesundheitssystem gravierend sein.
Die Errichtung einer Patientenverfügung mag nicht immer einfach sein, die Errichtung letztwilliger Verfügungen ist es auch nicht. Die Komplexität derartiger Erklärungen liegt in der Natur der Sache. Andererseits ist es einem geschäftsfähigen Menschen schon zuzugestehen, daß er weiß was er will und was nicht und welche Konsequenzen sowohl die Ablehnung als auch die Befürwortung von Eingriffen haben kann. Wünschenswert ist eine weitgehende Information und Aufklärung durch fachkundige Menschen wie Juristen und Mediziner. Es steht jedem Menschen frei, sich insofern sachkundig beraten zu lassen. Zu erreichen sein wird eine hundertprozentige Aufklärung aber nie, nicht einmal bei Sachkundigen selbst. Zudem tendieren gerade Psychiater dazu, Betroffene von der Erforderlichkeit einer Intervention überzeugen zu wollen und verkennen daher ihre reine Beratungsfunktion im Rahmen der Aufklärung.
Es bleibt schließlich zu beachten, daß auch freiverantwortliche Einwilligungen in bestimmte Interventionen, namentlich solche, die zu irreversiblen Persönlichkeitsschäden führen, vor dem Hintergrund von § 228 StGB rechtlich irrelevant sind. Derlei Interventionen sind stets ein Verbrechen.
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[i] BVerfVG, Beschluß vom 23.03.2011, 2 BvR 882/09, Rz. 47 ff.
[ii] BVerfG, aaO., Rz. 39 ff.
[iii] BVerfG, aaO., Rz. 48
[iv] EGMR, EGMR, Pretty ./. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 29.04.2002, 2346/02, Rz. 61-67, veröffentlicht in NJW 2002, 2851; EGMR, Haas ./. Schweiz, Urteil vom 20.01.2011, 31322/07, Rz. 51 ff., 62, 67, veröff. in NJW 2011, 3773
[v] Götz: in Palandt, BGB, 77. Auflage, 2018, vor § 1896, Rz. 5
[vi] BVerfG, aaO, Rz. 44
[vii] In diesem Sinne auch: Andreas Heinz in der Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags vom 26.04.2017, S. 13 des Wortlautprotokolls, http://www.bundestag.de/blob/530068/dc3d7a97cca48c8ce91f35ff73634e02/wortprotokoll-data.pdf
[viii] https://www.zwangspsychiatrie.de/2018/03/dr-david-schneider-addae-mensah-berichtet/#more-8907
[ix] BVerfG, Urteil vom 11.06.1958, 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377
[x] BVerfG, aaO., Rz. 46
[xi] OLG Frankfurt, Beschluß vom 12.05.2016, 3 Ws 51/16 (StVollz)