Bundesarbeitsgemeinschaft
Psychiatrie-
Erfahrener e.V.
Nächste Mitgliederversammlung:
Dienstag, den 4.2.2025 um 17h
Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V.
Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Straße 4
10405 Berlin
Fax: 030-782 8947
Freitag, 4. Januar 2013
Damit Sie wissen, was Sie tun
Betrifft:
Drucksache 17/11513 Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme
Sehr geehrte Damen und Herren,
In unserem letzten Brief vom 23. November stellten wir fest: „Und selbstverständlich ist eine solche rechtliche Diskriminierung unvereinbar, ja konträr, zur UN-Behindertenrechtskonvention.“ Wir forderten Sie auf: „Bitte erkundigen Sie sich dazu bei der Monitoringstelle der UN-Behindertenrechtskonvention.“ Inzwischen liegt deren Stellungnahme für den Rechtsausschuss vor; sie bestätigt unsere Auffassung und wir fügen Sie in der Anlage bei. Wir bitten Sie, diese nicht nur zu lesen, sondern auch zu berücksichtigen. Bisher war, außer von Abgeordneten der Linkspartei, noch kein Einsehen festzustellen, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme nicht nur die vom Bundesverfassungsgericht benannten Anforderungen nicht erfüllt werden, wie das unserem letzten Brief an Sie beigelegte Rechtsgutachten von RA Saschenbrecker nachweist, sondern auch gegen
Grundgesetz Artikel 1 (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt
verstoßen wird. Denn die UN-Behindertenrechtskonvention buchstabiert die Menschenrechte gerade auch für den Bereich der Zwangspsychiatrie aus. Die Monitoringstelle ist die vom Bundestag dazu berufene und staatlich finanzierte Stelle, die die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Sinne der Konvention zu fördern und zu schützen, sowie die Umsetzung der Konvention in Deutschland zu überwachen hat. Sie hat nun festgestellt:
Die Monitoring-Stelle empfiehlt, … den Gesetzesentwurf abzulehnen…
Wenn Sie also für den Gesetzentwurf Drucksache 17/11513 stimmen sollten, der durch die Änderungen der Rechtsausschussdrucksache Nr. 17(6)222 auch nicht wesentlich verbessert wurde, dann würden Sie auch noch zentrale Belange der UN-Behindertenrechtskonvention verhöhnen und ganz offen zeigen, dass Menschenrechte für Sie unerheblich sind. Stattdessen würden Sie rückwärtsgewandt für staatlichen Paternalismus bis zu dem Extrem stimmen, dass Bürger an sich strafbare Körperverletzung zu dulden haben. Die 6 Lügen, die zur Rechtfertigung dieser Gewaltausübung bemüht werden, haben wir im letzten Brief schon beschrieben. Sie sind am 10.12.2012 durch eine angeblich „öffentliche“ Anhörung im Rechtsausschuss bestätigt worden, in der der Ausschussvorsitzende Siegfried Kauder (CDU) schon in den ersten 5 Minuten einem akkreditieren Journalisten verbot, Aufzeichnungen zu machen. Gesetze können nur dann tragfähig und folgenreich sein, wenn sie von einer Gemeinschaft getragen werden, die sich an diese Gesetze gebunden fühlt. Dies geschieht nicht automatisch durch das Inkraftsetzen eines Gesetzes, sondern es ist dafür die Anerkennung demokratischer Verfahren bei der Entstehung eines Gesetzes notwendig. Das Verbot der Aufzeichnung hat gezeigt, dass die vorschlagenden Fraktionen der CDU/CSU und FDP wissen, dass dieser Gesetzesvorschlag niemals von den Betroffenen akzeptiert werden wird, sondern ein Gewaltakt ist, um Hörigkeit gegenüber den Gewalttätern zu beweisen. Wozu würde die im Schnellverfahren durchgepeitschte Gesetzgebung führen?
Rechtsunsicherheit
Da der Bundestag sehenden Auges, also wissentlich und willentlich, ein Gesetz verabschieden würde, das im Widerspruch zum Grundgesetz, zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den Menschenrechten steht, kann er nur Rechtsunsicherheit schaffen, die in der darauf folgenden Rechtsprechung zu divergierenden Interpretationen führen muss: Das könnte allerdings unterbunden werden, wenn sich im Bundestag entweder Oppositions-Fraktionen oder mindestens 156, sich ihrem Gewissen verpflichtet fühlende Abgeordnete zusammenschließen, sofort gegen das Gesetz stimmen und ein Normenkontrollverfahren in Karlsruhe beantragen. Wenn das aber unterbleiben sollte, dann werden leider als erstes die besonders wehrlos Ausgelieferten, z.B. Senioren in der Geriatrie, mit Zwangsbehandlungen überzogen werden. Wir möchten jetzt schon ankündigen, dass wir alle, die können, auffordern werden, sich zu wehren und immer zu klagen. Koste es, was es wolle. Vorhersagbar ist, dass etliche Richter konform zur BVerfG-Rechtsprechung entscheiden und weiter jede Zwangsbehandlung ablehnen werden, selbst wenn dieses neue Gesetz vortäuscht, Richter könnten wieder ärztegefällig und willkürlich entscheiden und alles sei wie früher geblieben, wie das Justizministerium frohlockt.
In Antworten von Abgeordneten auf unseren letzten Brief vom 23.11.2012 wurden zwei weitere Lügen wiederholt geäußert: A) Zitat: „Der Bundesgerichtshof hat es nicht offen gelassen, sondern dem Gesetzgeber die Vorgabe gemacht, die Durchführung von Zwangsbehandlung gesetzlich zu regeln“. Das ist eine wider besseres Wissen vorgebrachte falsche Behauptung, denn der BGH hat bekanntlich nur die Vorgaben des BVerfG aus den Entscheidungen 2 BvR 882/09 vom 23.3.2011 und 2 BvR 633/11 vom 12.10.2011 nachvollzogen. In beiden Beschlüssen hat das BVerfG gerade kein neues Gesetz gefordert, sondern nur die bestehenden Gesetze sofort genichtet, hat also festgestellt, dass seit 63 Jahren noch kein Gesetzgeber ein grundgesetzkonformes – also legales – Gesetz zur Zwangsbehandlung geschaffen hatte. Fälschlich zu behaupten, es gäbe eine Pflicht, ein solches Gesetz zu schaffen, verdreht also im Interesse der Gewalttäter die Wahrheit perfide in ihr Gegenteil. Selbst der BGH hat in der für ihn schmerzlichen Revision seiner Rechtsprechung explizit anerkannt, dass es keine Verpflichtung zu einer solchen Gesetzgebung gibt, in dem er in Absatz 47 der Entscheidung vom 20.6.2012 schreibt:
Ob der Staat im Rahmen seiner ihm nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG obliegenden Schutzpflicht (vgl. dazu BVerfG NVwZ 2011, 991 Rn. 37) verpflichtet ist, zum Wohle der Betroffenen die betreuungsgerichtliche Genehmigung einer Zwangsbehandlung gesetzlich zu regeln, kann dahinstehen. Art. 100 Abs. 1 GG enthält nach seinem Wortlaut nicht die Verpflichtung des Gerichts, ein Unterlassen des Gesetzgebers als Verfassungsverstoß zur Prüfung zu stellen. Dass Art. 100 Abs. 1 GG entsprechend auszulegen wäre, hat das Bundesverfassungsgericht jedenfalls bislang nicht entschieden (offengelassen in BVerfG Beschluss vom 9. Mai 2006 – 2 BvL 4/02 – juris Rn. 22; NJW 1994, 2750, 2751; NVwZ 1984, 365 und NJW 1964, 1411).
In Absatz 48 stellt der BGH dann lakonisch fest:
4. Der Senat verkennt nicht, dass das Fehlen von Zwangsbefugnissen zur Durchsetzung notwendiger medizinischer Maßnahmen dazu führen kann, dass ein Betroffener ohne eine solche Behandlung einen erheblichen Schaden nimmt.
Genau das hat der Bundesgesetzgeber im Patientenverfügungsgesetz als eine Konsequenz des Selbstbestimmungsrechts explizit auch für Nichteinwilligungsfähige gesetzlich bestätigt und den früher gehegten therapeutischen Paternalismus aufgegeben. Z.B. MdB Jerzy Montag in der Rede vom 29.3.2007 im Plenum des Bundestags:
„Darf der geäußerte und eindeutige Wille des Patienten von Ärzten, Betreuern oder Gerichten in Zweifel gezogen werden? Ich meine, nein. Es kann nicht darum gehen, zu beweisen, dass der geäußerte Wille weiter gilt – das ist nie möglich -; vielmehr tragen diejenigen, die ihn anzweifeln, die Beweislast, dass er sich wirklich geändert hat.“
Und er fährt weiter fort:
„Darf der Staat lebenserhaltend gegen das Selbstbestimmungsrecht angehen und es in fremdbestimmte Schranken weisen? – Ich meine, nein.“… „Der Patient hat zwar ein Lebensrecht, aber er hat keine Lebenspflicht.“
Daraus folgt zwingend, dass dann, wenn bei einem Einwilligungsunfähigen gemäß § 1901a Abs. 2 BGB (Patientenverfügungsgesetz) keine schriftliche Patientenverfügung vorliegen sollte, diejenigen die Beweislast haben und die Beweise für die konkreten Anhaltspunkte eines mutmaßlichen Willes des Betroffenen, psychiatrisch zwangsbehandelt zu werden, vorlegen müssen, die eine solche Gewaltmaßnahme gegen den natürlichen Willen des Betroffenen durchsetzen wollen. Das führt zur zweiten Lüge in den Antworten von Abgeordneten:
B) Zitat aus einem der Briefe: „Mit anderen Worten: der Betreuer kann in eine Zwangsbehandlung nur einwilligen, wenn keine entgegenstehende Patientenverfügung vorliegt. In den Fällen, in denen dies jedoch nicht der Fall ist, halte ich es für sinnvoll und für erforderlich, konkret festzulegen, unter welchen Voraussetzungen der Betreuer in eine Zwangsbehandlung einwilligen kann.“ Diese Behauptung wird mit dem angeblichen „Wohl“ des Betroffenen begründet, dass es erlaube, den geäußerten Willen zu brechen bzw. willkürlich einen niemals zuvor geäußerten Willen, psychiatrische Zwangsbehandlung zu erdulden2, zu unterstellen, um medizinisches Kalkül handlungsmaßgeblich zu machen. Dabei kann es sich im Gegensatz zu einem mutmaßlichen Willen des Betroffenen nur um ein hypothetisches, unterstelltes „Wohl“ handeln, das von anderen als dem Betroffenen gemutmaßt wird. So soll aus dem Selbstbestimmungsrecht eines erwachsenen Menschen über seinen eigenen Körper, ein Fremdbestimmungsrecht qua hypothetischer Mutmaßung eines Betreuers mit richterlicher Zustimmung auf Zuruf von Ärzten werden. Damit wird die Begründung „zum Wohl“ zum verlogenen Zynismus und das Patientenverfügungsgesetz wird zweifach entkernt:
Eine Sondergruppe von Patienten – die Geisteskranken – wird entgegen der gesetzlich zugesicherten Reichweitenlosigkeit diskriminiert und einer Sondergesetzgebung zur erzwungenen Erduldung von Körperverletzung unterworfen.
Im Abs. 2 des PVG wird der mutmaßliche, anhand konkreter Anhaltspunkte zu ermittelnde, Wille transformiert in ein hypothetisches, von anderen gemutmaßtes Wohl.
All dies vorausgeschickt, hoffen wir, dass Sie nachvollziehen können, warum diejenigen, die für diesen Gesetzentwurf stimmen sollten, Böses tun. Selbstverständlich können Sie (wie eine andere Person) der Auffassung sein, dass Ihnen persönlich die Psychiatrie mit Zwang und Gewalt helfen können soll, wenn Psychiater das für erforderlich halten und Sie als geisteskrank diagnostizieren. Um Zwang und Gewalt als willkommene Hilfe zu legitimieren und gemäß dem Gesetz zu legalisieren, muss aber eine notwendige Bedingung dafür erfüllt sein: Sie haben eine Patientenverfügung mit entsprechendem Inhalt verfasst und z.B. bei einem Psychiater des Vertrauens oder einem Angehörigen hinterlegt. Wie dargelegt, würde dadurch eine psychiatrische Zwangsbehandlung zu der Erfüllung des eigenen Willens, so wie man sich auch gewöhnlich als sadistische Quälerei empfundene Sexualpraktiken wünschen kann und sie dann keine Folter, sondern ein S/M-Spiel sind. Nichts stünde uns ferner, als so etwas verbieten zu wollen.
Mit derselben Begründung des Rechts auf den eigenen Körper wollen aber andere Erwachsene auf keinen Fall dazu gezwungen werden können, eine körperverletzende Zwangsbehandlung erdulden zu müssen. Das ist in einer Welt mit Menschenrechten genauso selbstverständlich wie das Verbot der Folter, bei dem es genauso um das Recht auf körperliche Unversehrtheit geht.
Mit dem Gesetzentwurf der Drucksache 17/11513 (inkl. Ausschussdrucksache 17(6)222) würden Sie aber psychiatrische Zwangsbehandlung an Anderen legalisieren! Damit würden Sie Böses tun: Sie würden zu verhindern versuchen, dass so etwas Selbstverständliches wie das Folterverbot für Menschen, die von Psychiatern für „geisteskrank“ erklärt wurden, nicht gelten soll. Niemand muss beweisen, dass er nicht gefoltert werden will, sondern der/die es will, muss ein klares Einverständnis geben, wenn S/M-Spiele praktiziert werden sollen. Genauso wenig darf es per Gesetz irgendeine körperverletzende psychiatrische Zwangsbehandlung geben und selbstverständlich darf niemandem unterstellt werden, dass er/sie auf diese Art misshandelt werden wolle. Wenn es notwendig wäre, eine solche Misshandlung nur dann verhindern zu können, wenn es einen schriftlichen Beweis dafür gibt, das früher schon nicht gewollt zu haben, wie es der am Anfang von B) Zitierte schreibt, wären die Grund- und Menschenrechte genauso auf den Kopf gestellt, wie wenn im Handumdrehen gefoltert werden dürfte, wenn man nicht beweisen kann, das früher schriftlich verboten zu haben. So die Grund- und Menschenrechte ins Gegenteil, in einen Freibrief für den Staat, seine Bürger quälen und misshandeln zu dürfen, zu verkehren, das würden Sie mit dem Gesetzentwurf der Drucksache 17/11513 (inkl. Ausschussdrucksache 17(6)222) legalisieren. Das wäre ein böses Tun.
Wir können Sie als Abgeordnete/n nur dringend bitten: Tun Sie das Gute. Lehnen Sie den Gesetzentwurf in der 2. und 3. Lesung am 17.1. ab.
Mit freundlichen Grüßen
gez. der Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener
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1. Die Verfahrenspflegschaft, die angeblich noch ins geplante Gesetz geschrieben werden soll, ist ein ganz besonders perfider Streich, weil diese unfreiwilligen, nicht vom Betroffenen mandatierten, sondern verordneten „Anwälte“, erfahrungsgemäß nur konforme Gerichtsbüttel sind, Hiwis im Justizfilz, von dem sie abhängig sind. Es wird also nur ein angeblich „besserer“ rechtsstaatlicher Schutz vorgetäuscht, tatsächlich sind sie ein weiteres Element für Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit der Betroffenen, weil Verfahrenspfleger ihnen in den Rücken fallen.
2. Nur ein unter Zeugen geäußerter Wunsch, psychiatrische Zwangsbehandlung zu erdulden, könnte unter Umständen den gemäß § 1901a BGB notwendigen Beweis dafür erbringen, dass der Betroffene den mutmaßlichen Willen nach psychiatrischer Zwangsbehandlung hat. Dann, aber eben nur dann, kann auch davon ausgegangen werden, dass eine solche Behandlung auch zum Wohl des Betroffenen ist, da sie nicht dessen Willen bricht, sondern erfüllt.