Bundesarbeitsgemeinschaft
Psychiatrie-
Erfahrener e.V.
Nächste Mitgliederversammlung:
Dienstag, den 17.12.2024 um 17h
THOMAS
SASCHENBRECKER
R E C H T S A N W A L T
Friedrichstrasse
2
D-76275 Ettlingen
Tel. 0 72 43 – 33 20 10
Fax 0 72 43 – 71 96 30
Email saschenbrecker@gmx.deZugelassen
am Landgericht und
am Oberlandesgericht KarlsruheDiese
Stellungnahme als PDF Datei (200 kb)Der
geplante Gesetzentwurf als PDF Datei (400 kb)Stellungnahme
Zur
Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Entwurfs der Neufassung
der §§ 3 Abs. 3, 8 Abs. 3 bis 6 und 9 Abs. 3 des Bremer Landesgesetzes
über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG).
1.
Der Gesetzesentwurf der §§ 3 Abs. 3, 8 Abs. 3 bis 6, 9 Abs. 3
PsychKG BremenEine Arbeitsgruppe
aus Justiz-, Sozial-, und Innenbehörde des Bundeslandes Bremen plant,
in der Bürgerschaft des Bundeslandes Bremen den Entwurf einer Änderung
des PsychKG einzubringen, der neben anderen Regelungen zum PsychKG auch
eine gesetzliche Regelung der ambulanten ärztlichen Heilbehandlung
auch gegen den Willen eines Betroffenen im Rahmen der Gefahrenabwehr zum
Gegenstand hat.Der Gesetzentwurf
sieht neben weiteren Gesetzesänderungen vor, dass die §§
3 Abs. 3 , 8 Abs. 3 bis 6 und 9 Abs. 3 PsychKG im Bundesland Bremen wie
folgt geändert werden sollen (Stand 10. Februar 2005):§ 3
Abs. 3 PsychKG soll wie folgt geändert werden:(3) Hilfen
und Schutzmaßnahmen werden durch den Sozialpsychiatrischen Dienst
oder durch das regionale Psychiatrische Behandlungszentrum, in das der Sozialpsychiatrische
Dienst integriert ist (Sozialpsychiatrischer Dienst), durchgeführt
und vermittelt.§ 8
PsychKG sollen folgende Absätze 3 bis 6 angefügt werden:(3) Das
zuständige Gericht kann die Zurückhaltung einer psychisch kranken
Person in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer psychiatrischer
Abteilung eines Allgemeinkrankenhauses nach § 70k Abs. 1 des Gesetzes
über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit der Auflage
einer ambulanten oder teilstationären Behandlung aussetzen, wenn hinreichende
Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass hierdurch der Zweck der Unterbringung
nach § 10 ohne die Zurückhaltung der psychisch kranken Person
in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer psychiatrischen Abteilung
eines Allgemeinkrankenhauses erreicht werden kann.(4) Die
für die psychisch kranke Person, deren Zurückhaltung nach Absatz
3 ausgesetzt ist, zuständige Einrichtung nach § 13 überwacht
die Einhaltung der Auflage und vollzieht diese. Die §§ 22, 23,
25, 26 und 27 finden bei einer Aussetzung der Unterbringung entsprechende
Anwendung.(5) Das
zuständige Gericht kann anordnen, dass der Patient oder die Patientin
auch gegen seinen oder ihren Willen zur Behandlung in die nach Absatz 4
zuständige Einrichtung verbracht wird, wenn der Patient oder die Patientin
die vom Gericht angeordnete Auflage nicht einhält. Das Gericht kann
ferner anordnen, dass die Auflage dort auch gegen den Willen des Patienten
oder der Patientin durchgeführt wird. Die §§ 15 und 22 Absätze
3 und 4 sind entsprechend anzuwenden.
(6) Wird die Aussetzung nach Absatz 3 durch das zuständige Gericht
aufgehoben, weil der Patient oder die Patientin die Auflage nicht erfüllt,
findet § 15 entsprechende Anwendung.§ 9
Abs. 3 PsychKG soll wie folgt neu gefasst werden:(3) Eine
gegenwärtige Gefahr im Sinne von Absatz 2 besteht dann, wenn infolge
der psychischen Erkrankung ein schadenstiftendes Ereignis bereits eingetreten
ist, unmittelbar bevorsteht oder zwar unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände
jedoch jederzeit zu erwarten steht.2. Die bisherige
Gesetzeslage der §§ 3 Abs. 3, 8 Abs. 3 bis 6 und 9 Abs. 3 PsychKGDie bisherige
gesetzliche Regelung in den §§ 9, 14 PsychKG des Landes Bremen
beschränkt staatliche Zwangsmittel mit therapeutischer Zielrichtung
gegen einen Betroffenen ausschließlich auf die Unterbringung in einer
geschlossenen psychiatrischen Einrichtung bzw. auf einer psychiatrischen
Abteilung eines Allgemeinkrankenhauses.
Zulässig ist hierbei eine Unterbringung nur bei krankheitsbedingter
gegenwärtiger Gefahr für Leben oder Gesundheit des Betroffenen
selbst oder bei einer konkreten gegenwärtigen Gefahr für bedeutende
Rechtsgüter Dritter, § 9 Abs. 2 PsychKG.Der Gefahrenbegriff
des § 9 Abs. 3 PsychKG orientiert sich dabei weitgehend an der Legaldefiniton
des Gefahrenbegriffes im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht der Bundesländer1.
Weiterhin zulässig
ist bei entsprechender konkreter Gefahrenlage das Betreten der Wohnung eines
Betroffenen zum Zwecke der Einschätzung des Gesundheitszustandes, §
7 Abs. 2 PsychKG, und die ´fürsorgliche Zurückhaltung´
eines Betroffenen in einer psychiatrischen Einrichtung. § 17 Abs. 1
PsychKG.
Verfahrensrechtliche Vorschriften des FGG regeln in den § 70 ff. FGG
darüber hinaus weitere Zwangsmittel im gerichtlichen Verfahren.
Eine ambulante Dauertherapie eines Betroffenen zu dessen Schutz bzw. zum
Schutz der Allgemeinheit zumeist mit sogenannten Depot-Spritzen, Medikamentengaben
mit langanhaltender Wirkungsdauer, kann bisher als verfassungsrechtlichen
Gründen nicht zwangsweise gegen den Willen eines Betroffenen durchgesetzt
werden.
Eine Erweiterung von Zwangsmassnahmen auf eine ambulante bzw. teilstationäre
Behandlung gegen den Willen eines Betroffenen vornehmlich mit einer Dauermedikation
von Neuroleptika und die zwangsweise Zuführung des Betroffenen zu dieser
– jeweils kurzfristigen – ärztlichen Behandlung eines Betroffenen in
analoger Anwendung der Regelungen der Unterbringung in Bremen in den §§
9, 14 PsychKG geregelt, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich abgelehnt2.
Um die Rechtsstellung psychisch kranker und körperlich, geistig und
seelisch behinderter Menschen durch eine grundlegende Reform des Rechts
der Vormundschaft und Pflegschaft zu verbessern, so der Bundesgerichtshof,
dürften deren verfassungsrechtlich garantierte Rechte nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen
– auch nicht im wohlverstandenen Interesse der Betroffenen – oder aus Sicherheitsinteressen
Dritter missachtet werden3.
Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GG, verstärkt durch die formellen
Garantien des Art. 104 GG, gebiete es den Gesetzgeber als Träger öffentlicher
Gewalt, Freiheitsentziehungen in berechenbarer, messbarer und kontrollierbarer
Weise zu regeln und in die Freiheit der Person, die unverletzlich sei, nur
aufgrund eines Gesetzes einzugreifen. Um dem formellen Gesetzesvorbehalt
des Art. 104 Abs. 1 GG gerecht zu werden, müssen die Grundzüge
der Eingriffsvoraussetzungen in einem formellen Gesetz geregelt werden.
3. Die Entwicklung
der Motive zur Neuregelung der §§ 3 Abs. 3 , 8 Abs. 3 bis 6 und
9 Abs. 3 PsychKGDie Motive
der Neuregelung des PsychKG sind ausweislich von Berichten der Presse4
nicht zuletzt auf ein im Juli 2003 durch eine psychisch Kranke begangenes
Tötungsdelikt in Bremen zurückzuführen, wobei sich das spätere
Tatopfer, eine 25-jährige Studentin, zunächst erfolglos wegen
der psychischen Auffälligkeit der späteren Täterin an die
Polizei gewandt hatte5. In Hinblick auf die
besonderen Tatumstände, die Täterin war bereits mehrfach in Zusammenhang
mit ihrer psychischen Erkrankung durch Gewalttaten auffällig geworden6,
wurde Kritik am Verhalten der Behörden und dem vermeintlich nur unzureichend
den Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit Rechung tragenden PsychKG des
Landes Bremen, aber auch am Verhalten der Vormundschaftsgerichte laut.
So führte der Vorsitzende Richter am Landgericht Bremen Schmacke in
den Urteilsgründen des Strafverfahrens gegen die Täterin aus,
das „Hauptproblem“ der begangenen Tat sei, „wie mit psychisch
Kranken umgegangen“ werde. Nach der bisherigen Regelung würden
als gefährlich geltende psychisch Kranke „praktisch erst dann
in eine Klinik eingeliefert, wenn bereits etwas passiert“ sei, so der
Vorsitzende Richter am LG Bremen Schmacke in seinen Urteilsgründen
weiter. „Diese Menschen“, so Schmacke, müssten „auch
gegen ihren Willen“ und „frühzeitig behandelt“ werden,
wobei der Vorsitzende Richter bei Urteilsbegründung kein Verständnis
dafür aufbringen konnte, dass bei der Täterin vor Begehung der
Tat die gesetzliche Betreuung aufgehoben wurde, weil sie selbst es so gewollt
habe.
Die besonderen
Umstände des Tötungsdeliktes wurden im Bundesland Bremen ausweislich
der Presseberichte heftig diskutiert7. Unter
Leitung der Bremer Sozialsenatorin wurde eine Arbeitsgruppe aus Justiz-,
Sozial-, und Innenbehörde eingesetzt, die sich mit der Frage beschäftigte,
ob die Tat durch das Eingreifen der Behörden hätte vermieden werden
können und welche konkreten Gesetzesmaßnahmen im Interesse der
Allgemeinheit ergriffen werden müssten8.
Ein gemeinsam
erarbeiteter Gesetzesentwurf sah zunächst vor, in Erweiterung des bisherigen
Unterbringungsbegriffes des PsychKG § 8 des PsychKG in einem Absatz
3 dahingehend zu ergänzen, dass eine Unterbringung im Sinne des PsychKG
auch dann vorliege, wenn das zuständige Gericht die Zurückhaltung
in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer psychiatrischen Abteilung
eines Allgemeinkrankenhauses aussetze und die Aussetzung mit der Auflage
einer ambulanten Behandlung verbinde9. Eine
ambulante Zwangsbehandlung eines Betroffenen sollte somit zum Zwecke der
Gefahrenabwehr durch Erweiterung der bisherigen Definition einer Unterbringung
ermöglicht werden.
Einer derart
extensiven Legaldefinition des Unterbringungsbegriffes, wie im ursprünglich
geplanten Gesetzesentwurf10 beabsichtigt,
wären allerdings bereits die nach Art. 104 GG gebotene enge Auslegung
des Unterbringungsbegriffes entgegengestanden. Unterbringung wird allgemein
definiert als „Festhalten eines Betroffenen gegen seinen Willen oder
im Zustand der Willenlosigkeit in einem räumlich begrenzten Bereich
eines geschlossenen Krankenhauses, einer anderen geschlossenen Einrichtung
oder dem abgeschlossenen Teil einer solchen Einrichtung unter ständiger
Überwachung des Aufenthaltes und Einschränkung der Kontaktaufnahme
mit Personen außerhalb des Bereichs „11.
Art. 104 GG enthält in diesem Zusammenhang einen „festen Begriffskern“12
der Freiheitsentziehung als Aufhebung der Bewegungsfreiheit in jeder Richtung
von einer gewissen Mindestdauer wie bei der Verhaftung, Einsperrung und
Arrestierung13, dem die Erweiterung des
Unterbringungsbegriffes, wie in § 8 Abs. 3 PsychKG n. F., Stand 04.11.2004,
beabsichtigt, nicht gerecht geworden wäre.In Abkehr vom
ursprünglichen Gesetzesvorhaben hat man sich vor dem Hintergrund der
restriktiven Interpretation des Unterbringungsbegriffe durch die höchstrichterliche
Rechtsprechung in der Folgezeit dazu entschlossen, den Begriff der Unterbringung
nicht dahingehend auszudehnen, dass die Unterbringung im Sinne des PsychKG
auch eine ambulante Behandlung gegen den Willen eines Betroffenen erfasst.
In Anlehnung an die Verfahrensvorschrift des § 70 k FGG sieht das Gesetzesvorhaben
nunmehr mit Stand zum 10.02.2005 vor, die ambulante Behandlung gegen den
Willen eines Betroffenen im Rahmen von Auflagen der Aussetzung einer Unterbringung
zu normieren, wobei die Behandlungsauflage als Aussetzungsauflage einer
Unterbringung nicht an das Kriterium der Freiwilligkeit geknüpft ist,
sondern durch die Zwangsmittel der Verbringung zur ambulanten Therapie und
der Durchführung der Zwangsbehandlung in gesetzlicher Form gestützt
wird.
Die Gesetzesbegründung geht daher weiterhin von einer „Unterbringung
ohne Zurückhaltung in einer Einrichtung“14
aus.Die von der
Arbeitsgruppe aus Justiz-, Sozial-, und Innenbehörde des Bundeslandes
Bremen entworfene Begründung zu den geplanten Gesetzesänderungen
führt in weiten Teilen zu diesen Motiven eines Sicherheitsinteresses
der Allgemeinheit nicht aus, um die Gesetzesänderung im Allgemeinen
Teil mit einer „grundlegenden Änderung der psychiatrische Versorgungslandschaft“
von einer „Verwahrpsychiatrie“ in eine an den „Bedürfnissen
des einzelnen psychisch Kranken orientierten“ und „nicht nur an
stationärer Versorgung ausgerichteten Psychiatrie“, der sich die
Gesetzgebung anpassen müsse15 , zu
begründen.
Nach dem geltenden PsychKG verbliebe, so die Begründungen, den psychiatrischen
Krankenhäusern lediglich die Möglichkeit, Zwangsmaßnahmen
im Rahmen einer vollstationären Unterbringung durchzuführen.
Die Gesetzesnovellierung
schaffe demgegenüber die Möglichkeit, im Rahmen von Aussetzungsauflagen
auch eine Behandlung gegen den Willen des Betroffenen in einem ambulanten
oder teilstationären Rahmen durchzuführen.
Speziell zu 8 Abs. 3 PsychKG n. F. wird in diesem Zusammenhang auf eine
Aussetzung des Vollzuges der geschlossenen Unterbringung gem. § 70
k Abs. 1 FGG mit dem Ziel, die Aussetzung mit einer Behandlungsauflage zu
verbinden, abgestellt.
Voraussetzung für die Aussetzung der Zurückhaltung sei, den Zweck
der Unterbringung nach § 10 PsychKG, nämlich durch Heilung, Besserung,
Linderung oder Verhütung der Verschlimmerung der psychischen Krankheit
oder seelischen Behinderung des Betroffenen die in § 9 PsychKG genannten
Gefahren abzuwenden, auch ohne die Zurückhaltung in einer Einrichtung
nach § 13 PsychKG abzuwenden, was bei den in Betracht kommenden Patienten
die Prognose voraussetze, dass sie keine Gefahr für sich selbst oder
Dritte darstellen, wenn sie in regelmäßigen Abständen medikamentös
behandelt würden16.Die Änderung
sei nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, insbesondere
dem darin enthaltenen Erforderlichkeitskriterium, nach dem ein Eingriff
in geschützte Rechtspositionen nur in dem Maße zulässig
sei, der zur Abwehr einer konkreten Gefahr im jeweiligen Einzelfall erforderlich
ist, geboten17.
Ambulante oder teilstationäre Behandlung als Auflage einer Aussetzung
einer Unterbringung stelle im Vergleich zu der stationären Unterbringung
den geringeren Eingriff in die Freiheitsrechte der psychisch kranken Person
dar.
Dem Betroffenen bliebe im Rahmen ambulanter Behandlungen eine selbstbestimmte
Lebensführung weitgehend möglich18.
Die Behandlung im Rahmen der Aussetzungsauflage sollte, so das Gesetzesvorhaben,
möglichst mit Einverständnis des Betroffenen erfolgen.
Das zuständige
Gericht könne aber gleichwohl anordnen, dass der Betroffene gemäß
§ 8 Abs. 5 PsychKG n.F. auch gegen seinen oder ihren Willen in die
zuständige Einrichtung verbracht wird, wenn der Betroffene die Behandlungsauflage
nicht einhält, etwa durch Nichterscheinen zu den angesetzten Behandlungs-
oder Untersuchungstermin.
Unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 22 Abs. 3 und 4 PsychKG,
mithin bei konkreter „gegenwärtiger Gefahr für das Leben
oder die Gesundheit der Patientin oder des Patienten oder Dritter“
könne das zuständige Gericht bei Realisierung des Gesetzesvorhabens
weiterhin anordnen, dass die ambulante Behandlung dort auch gegen den Willen
des Patienten oder der Patientin erfolgen kann.Damit subsumiert
das Gesetzesvorhaben den Begriff der ambulanten Zwangsbehandlung zwar nicht
mehr unter den Begriff der Unterbringung, gleichwohl würde das Gesetzesvorhaben
im Rahmen der Aussetzungsauflage der Unterbringung in § 8 Abs. 5 PsychKG
n.F, in Verbindung mit § 22 Abs. 3 und 4 PsychKG19
eine gesetzliche Grundlage für die Zuführung eines Betroffenen
zur ambulanten Zwangsbehandlung für den Fall schaffen, dass das Gericht
in einem Unterbringungsverfahren nach PsychKG bei Annahme einer Gefahr für
den Betroffenen oder die Allgemeinheit nach Einholung eines medizinischen
Sachverständigengutachtens zu dem Ergebnis gelangen würde, dass
die Voraussetzungen für die Aussetzung einer Unterbringung gegen entsprechende
Behandlungsauflagen in Betracht kommt und ohne Behandlung konkrete Gefahr
für die Gesundheit des Betroffenen oder Rechtsgüter Dritter besteht.Gleichzeitig
wird der Begriff der Gefahr weniger eng als im bisherigen Gesetz definiert.
Die Formulierung der unvorhersehbaren‘, aber jederzeit zu erwartenden‘
Gefahr schafft neben objektiven Kriterien für eine Gefahrenlage eine
subjektiven Einschätzung, die einem fachärztlichen Dafürhalten
vorbehalten bleiben wird.
In Hinblick auf die Modifikation des Gefahrenbegriffes in § 9 Abs.
3 PsychKG n.F., so die Gesetzesbegründung, habe sich gezeigt, dass
sich die bisherige Orientierung am Polizeirecht im Rahmen der Regelungen
des § 9 PsychKG nicht bewährt hätten. Die Voraussetzungen
zur Unterbringung seien zu eng gefasst, was eine „vorausschauende Gefahrenabwehr“
unmöglich mache20.
4. Die Modifikationen zum Entwurf der §§ 3, 8, 9 PsychKG n. F.
im Zuge aufkommender Kritik.a. Befasste
Ärzte und Psychotherapeuten begrüßen teilweise die beabsichtigte
Neuregelung als effektiven Präventivschutz vor dem psychisch Kranken
und den damit nach dieser Ansicht einhergehenden typischen Gefahren.
Man erkennt das verfassungsrechtliche geschützte Persönlichkeitsrecht,
in das durch die beabsichtigte Gesetzesneuregelung eingegriffen werden soll,
zwar als ein hohes Rechtsgut an; „Leiden der Opfer psychisch Kranker
und der mit Gewalt psychisch Kranker Bedrohten“ sei aber abzuwägen
gegen das „Leiden der Kranken an einem Neuroleptikum“21.
Die Postulation
eines Vorranges von Grundrechten stamme „offensichtlich von denen,
die noch nie Opfer der Gewalt psychisch Leidender geworden sind (und es
hoffentlich nie werden).“ Wen die Gewalt aber getroffen habe oder auch
nur bedrohe, für den ist die angestrebte Neuregelung im kleinsten Bundesland
„ein Segen“22.b. Die
Psychotherapeutenkammer Bremen meldet in einer Stellungnahme23
Bedenken gegen eine gesetzliche Option einer Zwangsmedikationen gegen den
Willen eines Betroffenen vornehmen zu können, an.
Man gehe zwar davon aus, dass „die Behandler sich bei solchen Maßnahmen
ausschließlich von fachlichen und ethischen Gesichtspunkten leiten
lassen“, gleichwohl „sei gerade bei öffentlichem Druck nicht
auszuschließen, dass fachfremde Erwägungen mit einfließen“
könnten.Die Durchführung
von ambulanten Zwangsmedikationen würde insbesondere auf die Mitarbeiter
der psychiatrischen Behandlungszentren in den verschiedenen Stadtteilen
zukommen. Es sei in diesem Zusammenhang zu befürchten, dass „die
damit verbundenen polizeilichen Funktionen“ die „Arbeitsweise
in den Zentren und die Behandler – Patient – Beziehung verändern und
belasten“ würde24.c. In
ähnlicher Form haben sich bereits die die Dres. med. Aderhold und Bock,
Grewe in einer Stellungname zum Bundesjustizministerium gegen den Neuentwurf
des § 1906 a BGB, der vormals im Zuge einer Betreuungsrechtesreform
eine gesetzliche Grundlage für eine ambulante Zwangsbehandlung schaffen
sollte, geäußert und aktuelle Forschungsergebnisse angeführt,
die belegten, dass Eigensinn auch bei psychiatrischen Patienten kein negativer
Prognosefaktor sei, sondern der Lebensqualität diene. Einseitiger langfristiger
therapeutischer Zwang berge in sich die strukturelle Gefahr, diese individuell
und subjektiv existentielle Lebenskraft und besondere Lebensqualität
zu verkennen und auszulöschen. Auch würden Depotneuroleptika gegenwärtig
– bis auf eine Ausnahme – aus typischen Neuroleptika bestehen. Man wisse,
dass die Medikamente in rund 20% aller Fälle nach längerer Anwendung
irreversible Bewegungsstörungen (sog. tardive Dyskinesien) verursachten25.d. Der
Deutsche Vormundschaftsgerichtstag führt in einer Stellungnahme zur
ambulanten Zwangsbehandlung in Zusammenhang mit dem nicht in den Bundestag
zur Verabschiedung eingebrachten § 1906a BGB n. F. aus, die beabsichtigte
Regelung „erleichtere die Anwendung von Zwang gegenüber kranken
und behinderten Menschen“ und habe „in der Praxis unvermeidbar
zur Folge, dass aus Bequemlichkeitsgründen leichter und öfter
zu diesem Mittel gegriffen“ werde als es zur Behandlung notwendig sei.
Wie die Erfahrungen der modernen Psychiatrie und der sozialpsychiatrischen
Dienste lehrten, seien „Zwangsbehandlungen vermeidbar, wenn die nötigen
Kommunikations- und Beziehungskompetenzen auf Seiten der Mitarbeiter ausreichend
entwickelt“ sei.
e. Interessenverbände
Betroffener wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener und
der Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg wenden sich
entschieden gegen den Entwurf der §§ 3 Abs. 3, 8 Abs. 3 bis 6,
9 Abs. 3 PsychKG n. F., sie befürchten eine damit verbundene erhebliche
Verschlechterung der Lage der Betroffenen. Es werde bei Verabschiedung des
neugefassten PsychKG des Landes Bremen „viel mehr Zwang und Gewalt
gegen wehrlose, unschuldige Bürger geben“, „zunächst
monatelange Psychiatrie-Aufenthalte, anschließend ein Rollkommando,
was die Menschen über Jahre und Jahrzehnte zu Hause abspritzt. Mit
gesundheitsschädlichen, die Lebenserwartung drastisch verkürzenden
Psychopharmaka“26.
f. Der
Dachverband Gemeindepsychiatrie e.V. sieht in einer Stellungnahme in der
geplanten Gesetzesänderung das Aufkommen einer erheblichen Rechtsunsicherheit.
Insbesondere die Erweiterung des Gefahrbegriffes in § 9 Abs. 3 PsychKG
deute darauf hin, dass in die Beurteilung der Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung
nunmehr prognostische Interpretationen eingeführt werden sollten. Wird
diese Formulierung in Bremen Gesetz, gäbe es keine Rechtssicherheit
mehr in der Frage, wann zu dem kritischen Instrument der Zwangsbehandlung
gegriffen werde und wann nicht. Bei der vorgeschlagenen Formulierung sei
der Willkür „Tür und Tor“ geöffnet. Die Formulierung
widerspreche dem beruflichen Ethos aller in der Psychiatrie Tätigen27.
5. Der Gesetzesentwurf der §§ 3, 8, 9 PsychKG n. F. im Rahmen
geltender landes- und bundesrechtlicher Rechtstrukturen.a. Die Gesetzgebungskompetenz
des LandesgesetzgebersArt. 30 GG
weist die Ausübung der staatlichen Befugnisse den Ländern zu,
soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt.
Dementsprechend
haben gemäß Art. 70 Abs. 1 GG die Länder das Recht der Gesetzgebung,
soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.
§§
3, 8, 9 PsychKG n. F. wäre im engen Regelungszusammenhang mit der Unterbringungsgenehmigung
des §§ 9, 14 PsychKG zur Gefahrenabwehr zu sehen.
Die Unterbringungsgesetze der Länder überwiegend in der Tradition
des Polizeirechts und lassen fürsorgerische Gesichtspunkte hinter sicherheitspolizeiliche
Aspekte zurücktreten.
Die Gesamtheit
der Normen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung dienen, bildet keinen selbständigen Sachbereich im Sinne der
grundgesetzlichen Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeit zwischen
Bund und Ländern28. Normen, die der
Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in einem
bestimmten Sachbereich dienen, sind für die Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenz
vielmehr dem Sachbereich zuzurechnen, zu dem sie in einem notwendigen Zusammenhang
stehen29. Insoweit würden nur Bedenken
dahingehend bestehen, dass entsprechend der Motivation der Gesetzesinitiative
der Begehung von Straftaten durch psychisch Kranke generalpräventiv
begegnet werden soll.
Diesbezüglich
ist aber den Motiven kein entsprechender Ansatz zu entnehmen; im übrigen
wird Landesrecht geregelt.
Soweit fürsorgerische
Aspekte, § 2PsychKG, im Vordergrund stehen, hat der Bundesgesetzgeber
im Rahmen der ihm zustehenden Kompetenz für die öffentliche Fürsorge
(Art. 74 Nr. 7 GG), die auch Zwangsmaßnahmen umfassen kann, ein Gesetz
über psychisch Kranke bislang nicht erlassen, so dass auch insoweit
keine Bedenken gegen die Kompetenz des Landesgesetzgebers bestehen.
Bedenken bezüglich
der Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers bestehen hinsichtlich
der Regelungsmaterie der §§ 3 Abs. 3, 8 Abs. 3 bis 6, 9 Abs. 3
PsychKG n.F. nicht.b. Die Problematik
des Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit§§
8 Abs. 3 bis 6, 9 Abs. 3 PsychKG n. F. schafft nach seinem Wortlaut die
Rechtsgrundlage sowohl für die zwangsweise Zuführung zur ambulanten
medizinischen Behandlung (§§ 8 Abs. 5, 15 PsychKG) als auch für
die Durchführung der ambulanten Behandlung gegen den Willen (§
8 Abs. 5, 22 Abs. 3 und 4 PsychKG) in Überwachung durch die an sich
unterbringende und die Maßnahme der Behandlungsauflage durchführende
Einrichtung, § 8 Abs. 4 PsychKG.
Die Vorschrift
regelt die Zulässigkeit der Zuführung zur ambulanten Behandlung
und stellt die Voraussetzungen auf, unter denen eine solche Maßnahme
der Zuführung vorgenommen werden kann.
Die Problematik
der ärztliche Zwangsbehandlung als solche, die durch Verabreichung
eines Depotneuroleptikums in die körperliche Integrität des Betroffenen
eingreift, wird erstmals gesetzlich geregelt.
Die Regelung
dürfte der vom Bundesgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht aufgestellten
Grundsätze des Gesetzesvorbehaltes der Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG
genügen, wonach es zur Vornahme von Zwangsbehandlungen gegen den Widerstand
des Betroffenen einer Rechtsgrundlage durch ein formelles Gesetz und in
Konsequenz hieraus einer richterlichen Entscheidung bedarf30.
Die Zwangsbehandlung
eines Betroffenen im Rahmen von Behandlungsauflagen bei Unterbringungsaussetzung
ist sowohl bezüglich der Zwangsbehandlung als auch ihrer Voraussetzungen
nach ausdrücklich geregelt.
Rechtliche
Bedenken bestehen insoweit nicht.c. Die Problematik
der Herabsetzung der Gefahrenschwelle in § 9 Abs. 3 PsychKG n.F.§ 9 Abs.
3 PsychKG n.F. definiert den Gefahrenbegriff als „eine gegenwärtige
Gefahr“, die dann bestehe, „wenn infolge der psychischen Erkrankung
ein schadenstiftendes Ereignis bereits eingetreten ist, unmittelbar bevorsteht
oder zwar unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit
zu erwarten steht“.Hatte der Gesetzgeber
die Annahme einer konkreten Gefahr in Anlehnung an das allgemeine Polizei-
und Ordnungsrecht primär an objektive Tatbestandsmerkmale einer konkreten
gegenwärtigen Gefahrenlage geknüpft, soll nunmehr zum Zwecke einer
effizienten Gefahrenabwehr von durch psychisch Kranke ausgehende Gefahren
auch das subjektive Kriterium der Unvorhersehbarkeit bei besonderen Umständen
die Annahme einer konkreten Rechtsgutgefährdung rechtfertigen.Grundsätzlich steht dem Gesetzgeber ein Spielraum bei der vorzunehmenden
Prognose und Einschätzung der der Allgemeinheit drohenden Gefahren
zu31.
Im Einzelnen wird die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers
von der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten,
sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der Bedeutung der auf
dem Spiel stehenden Rechtsgüter beeinflusst.32Allerdings findet der Gesetzgeber je nach der zu erfüllenden Aufgabe
zur Rechtfertigung der Eingriffsvoraussetzungen und zu ihrer Umsetzung unterschiedliche
Möglichkeiten vor. Bei der Gefahrenabwehr, abgesehen von der Strafrechtsprävention,
die allerdings nicht in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fällt33,
kann der Gesetzgeber nur an eine konkrete Gefahr, also an Tatsachen, aus
denen das Bevorstehen eines schädigenden Ereignisses abzuleiten ist,
anknüpfen34.Das Kriterium
der „Unvorhersehbarkeit“ der konkreten Gefahr dürfte nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht den Anforderungen
an eine Konkretisierung der Gefahr in keiner Weise genügen. Selbst,
wenn man den subjektiven Begriff der Unvorhersehbarkeit durch eine (subjektive)
fachpsychiatrische Prognose stützen könnte, verbliebe die Annahme
einer gegenwärtigen erhebliche Gefahr für Leib und Leben des Betroffenen
selbst oder bedeutende Rechtsgüter Dritter aufgrund einer „Unvorhersehbarkeit“
im Ergebnis zu unbestimmt, um eine hinreichende Konkretisierung und Individualisierung
der zu erwarten stehenden Gefahren zu rechtfertigen:
Zwar mögen,
für sich genommen, Unsicherheiten der fachpsychiatrischen Prognose,
die Grundlage der Annahme einer Allgemeingefahr eines psychisch Kranken
bildet, generell hinzunehmen sein, da die fachärztliche Prognose als
Grundlage jeder Gefahrenabwehr unverzichtbar ist35.
Gleichwohl
müssen die einer Prognoseentscheidung zugrundeliegenden Normen insgesamt
den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Normenklarheit und Justitiabilität
entsprechen36. Ist die Maßnahme auf
Normen gestützt, die unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden, darf die
Schutzwirkung des Bestimmtheitsgebots durch solche Begriffe nicht aufgeweicht
werden.
Der Bestimmtheitsgrundsatz
verlangt gerade und insbesondere bei der Definition des Gefahrenbegriffes
der gegenwärtigen Gefahr, dass dieser Gefahrbegriff Tatbestandselemente
enthält, die einen Standard an Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit
vergleichbar dem schaffen, der für die überkommenen Aufgaben der
Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung rechtsstaatlich geboten ist37.Erst wenn eine
Gefahr – konkret beweisbar – eingetreten oder nach sorgfältiger begründeter
Prüfung in drohende Nähe gerückt sein, kann diese Gefahr
als sichere Tatsachengrundlage einer Allgemeingefahr angenommen werden38.
Der mit der
Feststellung des Vorliegens einer auf eine psychische Krankheit zurückzuführende
gegenwärtige Gefahr bei einem Betroffenen beauftragte medizinische
Sachverständige befindet sich bei Zugrundelegung des unbestimmten Rechtsbegriffes
einer „unvorhersehbaren Gefahrenlage“ vor der Schwierigkeit, entweder
Wichtiges zu übersehen und damit seine Aufgabe zu verfehlen oder die
Annahme einer Gefahr auf Indizien zu stützen, die eventuell zu schwach
sind, den sich aus der Annahme einer unmittelbaren Gefahr ergebenden schweren
Grundrechtseingriff der Freiheitsentziehung zu rechtfertigen.Im übrigen
muss sich der Landesgesetzgeber bei der geplanten Ausdehnung des Gefahrbegriffes
die Kritik gefallen lassen, bezüglich des Personenkreises psychisch
erkrankter Menschen eine Sondergesetzgebung zu erlassen, die zumindest als
Nebenfolge bewusst in Kauf nimmt, den seelisch erkrankten Menschen generell
mit dem Makel einer „besondern Gefährlichkeit“ jenseits der
üblichen Gefahrendefinition des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechtes
zu behaften, was mit dem in § 2 PsychKG zutage tretenden Postulat der
Wahrung des Persönlichkeitsrechtes nicht in Einklang stehen dürfte.
Eine Abweichung vom allgemeinen Gefahrenbegriff in der Legaldefinition des
allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechtes der Bundesländer kann nach
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nur auf eine „Eigenart
des in Rede stehenden Sachbereichs“ gestützt werden39.
In Ergebnis
verbleibt festzustellen, dass die Erweiterung des Gefahrbegriffes auf das
Kriterium der „Unvorhersehbarkeit“ bei einer zu erwartenden Gefahr
dem Bestimmtheitsgrundsatz bei der Definition einer Gefahrenlage mit weitreichenden
Konsequenzen und als Grundlage einer Eingriffsnorm in Freiheitsgrundrechte
nicht genügen dürfte.d. Die Problematik
einer möglichen Einschränkung des SelbstbestimmungsrechtesNoch in 2002
hatte die Bremer Bürgerschaft für eine mögliche Gesetzesänderung
und Verschärfung des PsychKG „kein Handlungsbedarf“ gesehen.
Zur Begründung der Ablehnung einer diesbezüglichen Petition wurde
ausgeführt, Gesetze seien abstrakt generelle Regelungen, die ihrer
Natur nach nicht jeden Einzelfall erfassen könne. Wenn man die Voraussetzungen
für die Unterbringung psychisch Kranker lockern wolle, sei hierbei
insbesondere zu bedenken, dass ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte
der Betroffenen erfolgt. Demgemäss könne ein solcher Eingriff
nur zulässig sein, um erhebliche Rechtsgüter Dritter zu schützen40.Insbesondere
die in Presseberichten erwähnten erheblichen Straftaten psychisch Kranker
mögen den Gesetzgeber zu einer Abkehr von dieser Sicht der Dinge veranlasst
haben.Erstmals hätte
ein Landesgesetzgeber bei Verabschiedung des Regelungswerkes die gesetzlichen
Voraussetzungen für die zwangsweise ambulante Behandlung eines psychisch
Kranken geschaffen:
Würde das Gesetzesvorhaben im Rahmen der Aussetzungsauflage der Unterbringung
in § 8 Abs. 5 PsychKG n.F, in Verbindung mit § 22 Abs. 3 und 4
PsychKG41 realisiert, wäre eine gesetzliche
Grundlage für die Zuführung eines Betroffenen zur ambulanten Zwangsbehandlung
für den Fall geschaffen, dass das Gericht in einem Unterbringungsverfahren
nach PsychKG bei Annahme einer Gefahr für den Betroffenen oder die
Allgemeinheit nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens
zu dem Ergebnis gelangen würde, dass die Voraussetzungen für die
Aussetzung einer Unterbringung gegen entsprechende Behandlungsauflagen in
Betracht kommt.
Eine Gefahrenlage
würde nach der Definition des § 9 Abs. 3 PsychKG dann allerdings
schon bei nicht vorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit
zu erwartendem Schadeneintritt vorliegen.Das Gericht
könnte dann bei Aussetzung der Unterbringung gegen Auflagen nach avisierter
Gesetzeslage sowohl die Zuführung des Betroffenen zur ärztlichen
Behandlung als auch deren Durchführung gegen den Willen des Betroffenen
bei Annahme einer Gefahrenlage, wie in § 9 Abs. 3 PsychKG neu definiert,
anordnen.Das PsychKG
des Bundeslandes Bremen hat in §§ 2, 9 Abs. 4 PsychKG als erklärte
Ziel die Wahrung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes und damit auch
das Selbstbestimmungsrecht eines Betroffenen zum Inhalt.
Der vorgelegte Gesetzesentwurf zur Neufassung der §§ 3 Abs. 3,
8 Abs. 3 bis 6, 9 Abs. 3 PsychKG könnte eine erhebliche Einschränkung
des Selbstbestimmungsrechtes des Betroffenen auch in Abwägung mit Rechtsgütern
der Allgemeinheit und der damit verbundenen Notwendigkeit der Gefahrprävention
bei der Gefahrenabwehr bedeuten.
Die bisherige
Rechtsprechung garantiert auch dem nach Landesrecht untergebrachten psychisch
Erkrankten mit Verfassungsrang – in Grenzen – eine „Freiheit zur Krankheit“42.
Auch wenn die Definition dieser Grenzen in den bisherigen Entscheidungen
der höchstrichterlichen Rechtsprechung offen gelassen wurde43,
wurde dem psychisch Kranken zumindest solange „wie einem Gesunden“44
das Recht, sich für oder gegen eine medizinische Behandlung zu entscheiden,
zugebilligt, solange es sich nicht als unumgänglich und unausweichlich
erwies, ihn zwangsweise in einer geschlossenen Anstalt unterzubringen, um
eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung von dem Kranken
oder Dritten abzuwenden. (Sog. Erforderlichkeitskriterium).
Die Fürsorge
der staatlichen Gemeinschaft, wie er auch in § 2 PsychKG zum Ausdruck
kommt, schließt auch im Rahmen der derzeitigen Regelung die Befugnis
ein, gegen einen psychisch Kranken, der infolge seines Krankheitszustandes
und der damit verbundenen fehlenden Einsichtsfähigkeit die Schwere
seiner Erkrankung und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen nicht
zu beurteilen vermag oder trotz einer solchen Erkenntnis sich infolge der
Krankheit nicht zu einer Behandlung entschließen kann, Zwangsmassnahmen
zu ergreifen, dies aber nur dann, wenn sich dies als unumgänglich erweist,
um eine drohende gewichtige Gefährdung von Leib und Leben oder bedeutende
Rechtsgüter Dritter von dem Kranken abzuwenden45.
Mit dem Entwurf
wird in Konsequenz das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen in erheblichem
Umfang eingeschränkt. In der Begründung des Entwurfs wird erklärtermaßen
darauf abgestellt, Zwangsmassnahmen bereits zu ermöglichen, die Schwelle
für eine Unterbringung an sich noch nicht überschritten ist, zumindest
jedenfalls vertretbar erscheint, eine aufgrund einer Allgemeingefahr notwendige
Unterbringung gegen eine Behandlungsauflage auszusetzen. Hinzu kommt, dass
der Begriff der konkreten Gefahr, wie er in § 22 Abs. 3 und 4 PsychKG
als Voraussetzung für eine Behandlung gegen den Willen eines Betroffenen
normiert ist, durch die Gesetzesneuerung bereits mit dem Begriff der „Unvorhersehbarkeit“
definiert wird, was den Anwendungsbereich des § 22 Abs. 3 PsychKG steigern
dürfte.
Damit aber
würde die neue Gesetzesregelung dem Betroffenen die im Rahmen des „Rechtes
auf Krankheit“ derzeit eingeräumte Option, eher zu stationären
Bedingungen geschlossen untergebracht zu werden, wenn aufgrund der unterbliebenen
Medikation ein Krankheitsschub mit Selbstgefährdung auftritt, als die
langandauernde Beeinträchtigungen durch die Medikamente hinzunehmen,
genommen.
Die Möglichkeiten
staatlicher Zwangsmassnahmen gegen psychisch Kranke würden in erheblichem
Umfang durch die Erweiterung des Gefahrbegriffes einerseits und die gleichzeitige
Minderung der Anforderungen einer Unterbringung zumindest in der Form der
Aussetzung mit Behandlungsauflagen andererseits erweitert.
In § 8
Abs. 5 in Verbindung mit §§ 15, 22 Abs. 3 und 4 PsychKG wird ausdrücklich
darauf abgestellt, dass eine Aussetzungsauflage einer Behandlung notfalls
sowohl hinsichtlich der Zuführung zu einer solchen Behandlung als auch
hinsichtlich der Durchführung nach inswoeit erforderlicher Einholung
einer vormundschaftsgerichtlichen Entscheidung auch gegen den Willen des
Betroffenen erfolgen kann.
Die Begründung
des Entwurfs zu § 8 PsychKG n. F. zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
verkennt, dass es sich bei der Zuführungsgenehmigung zur ambulanten
Zwangsbehandlung nicht um eine gegenüber der Unterbringung abgestuft
mildere Maßnahme, sondern um eine demgegenüber völlig andere
Maßnahme mit verfassungsrechtlich relevantem Eingriffscharakter handelt:
Für einen Betroffenen kann sich die Gewissheit, für die Dauer
eines Jahres regelmäßig der Behandlung zugeführt zu werden,
als eine andere, subjektiv möglicherweise stärkere Belastung als
eine zeitnah angeordnete Unterbringung, selbst wenn diese mit der gleichen
Behandlung verbunden ist, darstellen46.
Der Bundsgerichtshof
führt hierzu aus, der Eingriff durch die zwangsweise ambulante Behandlung
für den Betroffenen sei eine andere als die durch eine einmalige –
selbst länger dauernde – Unterbringung verursachte und mit dieser nicht
vergleichbar. Der Betroffene lasse sich nur mit Zwang, unter Einschaltung
der Polizei oder durch entsprechende Drohung, in das Psychiatrische Krankenhaus
bringen, auch wenn er die Behandlung dort ohne Gegenwehr über sich
ergehen lässt. Diese Art der Vorführung habe nach außen
hin diskriminierende Wirkung47.
Der Gesetzesentwurf
zu §§ 3, 8, 9 PsychKG n. F. wäre insbesondere deshalb als
verfassungsrechtlich bedenklich anzusehen, weil das Selbstbestimmungsrecht
des psychisch Kranken weitgehend gegenüber der derzeitigen Rechtslage
eingeschränkt wird.
Vor dem Hintergrund
der praktischen Auswirkungen des Gesetzesentwurfs würde durchaus Gefahr
bestehen, dass der Betroffene jenseits eines derzeit aufgrund des begrenzten
„Rechtes auf Krankheit“ freien Rechtssubjektes zu einem Objekt
einer umfassenden staatlichen Gesundheitsvormundschaft48
wird.
Anlass für
die Sorge um eine derart begründete Gefahr dürfte auch deshalb
bestehen, weil in § 8 Abs. 4 PsychKG sowohl die Durchführung als
insbesondere auch die Überwachung der Maßnahmen der Behandlungsauflage
der unterbringenden Einrichtung obliegen soll und somit die mögliche,
mit der Verfassung ersichtlich nicht im Einklang stehende Gefahr einer „Vernunfthoheit
des Arztes über den Patienten“ offensichtlich ist. Hinzu kommt
eine nach § 40 Abs. 3 PsychKG obligatorische Mitteilungspflicht bei
Nichteinhalten der Behandlungsauflage.
Damit dürfte
in dem Gesetzentwurf zu § 8 Abs. 4 PsychKG n. F. verkannt worden sein,
dass es sich bei dem juristischen Krankheitsbegriff um einen eigenständigen
Krankheitsbegriff handelt, für die medizinische Krankheitsbegriffe
nur Ausgangspunkte darstellen.
Wenn auch der
zur Entscheidung über die Anordnung einer Zwangsmassnahme berufene
Richter die Frage, ob eine Person an einer psychischen Krankheit leidet
und welche Auswirkungen und Bedeutung dies hat, regelmäßig nur
mit Hilfe eines ärztlichen Sachverständigen beurteilen kann, so
ist er doch in keiner Weise verpflichtet, die Begriffswelt des Arztes zu
übernehmen, die teils weiter, teils aber auch enger sein kann als die
juristischen Begriffe, die bei der Gesetzesanwendung allein zugrunde zu
legen sind49.
Mit dem Regelungsentwurf
besteht insbesondere in Hinblick auf die Entwurfsbegründungen Gefahr,
dass eine Differenzierung zwischen einer aus medizinischer Sicht zu begrüßenden
Behandlung und einer in Hinblick auf den Gesundheitszustand des Betroffenen
selbst oder erhebliche Interessen der Allgemeinheit unabdingbaren Gefahr
nicht mehr differenziert wird.
Dies besonders
dann nicht, wenn sich die Motive des PsychKG in Abkehr von Fürsorgegedanken
stärker am Interesse der Allgemeinheit von vor psychisch Kranken ausgehenden
Gefahren orientiert, dem Gesetzgeber hinreichen probate Mittel wie die kurzzeitige
Unterbringung eines Betroffenen, bei dessen Straffälligkeit auch die
§§ 63, 64 StGB zur Verfügung stehen.
Die Herabsetzung
des Gefahrenbegriffes, der zugleich in § 22 Abs. 3 PsychKG als Voraussetzung
einer ärztlichen Behandlung auch gegen den Willen eines Betroffenen
normiert ist, verbunden mit der Möglichkeit einer gesetzlichen Regelung
des vermeintlich „milderen Mittels“ einer ambulanten Zwangsbehandlung
als Vorstufe einer Unterbringung unter Aufsicht und Durchführung der
behandelnden Einrichtung selbst belässt in letzter Konsequenz einem
psychisch Kranken nach entsprechender Diagnosestellung ebenfalls durch die
behandelnde Einrichtung keinerlei Wahlmöglichkeiten bezüglich
des „ob“ und „wie“ der Behandlung seines so nach ärztlichem
Dafürhalten der behandelnden Einrichtung festgestellten Krankheitsbildes.Der Schutz
des Psychisch Kranken vor staatlichem Behandlungszwang dürfte mit dem
Entwurf zu §§ 3 Abs. 3 , 8 Abs. 3 bis 6, 9 Abs. 3 PsychKG n. F.
nicht gewährleistet sein.
Eine andere
Sicht der Dinge läuft in letzter Konsequenz Gefahr, mangels vorhandener
Kontrollmöglichkeiten die Grenzen zwischen Maßregelvollzug des
Strafrechtes nach § 63 StGB bei psychisch Kranken, der ebenfalls gegen
geeignete Behandlungsauflagen zur Bewährung ausgesetzt werden kann
und der Unterbringung eines Betroffenen nach dem PsychKG mit Aussetzungs-
und Behandlungsauflagen zu verwischen, um auch den nicht straffällig
gewordenen psychisch Kranken mit vergleichbarer Intensität einer umfassenden
Gesundheitsaufsicht zu unterstellen.e. Die Problematik des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
Den Begründungen
zum Entwurf des § 8 Abs. 3 bis 6 PsychKG n. F. ist zu entnehmen, dass
die in § 8 PsychKG n. F. normierte Behandlungsauflage einer ambulanten
Zwangsbehandlung entgegen der Ansicht des Bundesgerichtshofes50
ein weniger schwererer Eingriff gegenüber einer Unterbringung nach
§§ 9, 14, 22 ff. PsychKG gesehen wird.
Eine ambulante
Zwangsbehandlung als Aussetzungsauflage einer Unterbringung müsse,
so die Entwurfsbegründungen zu § 8 PsychKG, schon deshalb durch
den Gesetzgeber ermöglicht werden, weil erst eine Kombination von mehreren
verschiedenen Unterbringungsmöglichkeiten, zu denen auch die ambulante
Zwangsbehandlung zählen soll, dem Unterbringungszweck der Heilung,
Linderung oder zumindest Begrenzung der seelischen Erkrankung gerecht werde.
Die Anordnung
einer ambulanten oder teilstationären Behandlungsauflage in FälIen,
in denen es keiner stationären Unterbringung des Betroffenen bedarf,
entspreche daher, so die Gesetzesbegründung, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit,
nach dem ein Eingriff in geschützte Rechtspositionen nur in dem Maße
zulässig ist, das zur Abwehr einer konkreten Gefahr im jeweiligen Einzelfall
erforderlich sei.
Somit stellt
die gesetzgeberische Intention bei Behandlungsauflagen in Zusammenhang mit
einer Unterbringungsaussetzung auf das Vorfeld einer Unterbringung des Betroffenen
in einer geschlossenen Einrichtung zum Zwecke der Gefahrenabwehr als weniger
einschneidende Maßnahme und zu geringeren Voraussetzungen als bei
einer Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung ab.
Die Verfassung
erlaubt dem Staat fürsorgerisches oder gefahrenpräventives Eingreifen
bei einem seelisch Kranken auch dort, wo beim Gesunden Halt geboten ist,
da es das Recht dann ermöglichen muss, den Willen des psychisch Kranken
durch die bessere Einsicht des für ihn Verantwortlichen zu ersetzen.
Die Einschränkung
der Grundrechte eines Betroffenen einer solchen staatlichen Zwangsmassnahme
müsse aber, so die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, aufgrund
der Erheblichkeit des Grundrechtseingriffes stets der strengen Prüfung
am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterzogen werden51.
Der Betroffene
darf folglich nur zu einer Behandlung gezwungen werden, wenn ihm oder Dritten
sonst ein schwerer Schaden droht und der Eingriff erfolgversprechend erscheint.
Nur wenn sich die staatliche Zwangsmassnahme als schlichtweg unumgänglich
erweist, um eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung von
dem Kranken oder Dritten abzuwenden, darf der Betroffene mit Zwang vor sich
selbst oder der Allgemeinheit geschützt werden.
Die erforderliche
Schwere der Selbstschädigung ist Ausdruck des Erforderlichkeitsprinzips.
Die Gefahr
für Leib und Leben des Betroffenen selbst oder bedeutende Rechtsgüter
Dritter setzt dabei bisher konkrete Anhaltspunkte für das Eintreten
der Gefahren sowie die Kausalität zwischen der psychischen Krankheit
und der Gesundheitsbeeinträchtigung voraus.
Die für
eine staatliche Zwangsmassnahme erforderliche Gefahr muss wahrscheinlich
sein, die bloße Möglichkeit des Gefahreneintritts genügt
nicht.
Eine Feststellung auf einen bestimmten Grad der Wahrscheinlichkeit ist einer
pauschalen Feststellung nicht zugänglich, da diese regelmäßig
von der Schwere der in Betracht kommenden Gefahr abhängt. Es handelt
sich um eine Prognoseentscheidung aufgrund von tatsächlichen Feststellungen,
so dass die bloße Möglichkeit eines Schadeneintrittes nicht ausreicht52.
Der Bremer
Gesetzgeber soll vorliegend nach Vorstellungen der gesetzeseinbringenden
Arbeitsgemeinschaft ein Gesetz verabschieden, in dem die Gefahrenschwelle
bei der Annahme einer generalpräventives Eingreifen rechtfertigenden
unmittelbaren Gefahr erheblich herabgesetzt werden und in § 9 Abs.
3 PsychKG n. F. auf unbestimmte Rechtsbegriffe wie „unvorhersehbar“
zurückgegriffen werden soll.
Der insoweit
unkonkrete Rechtsbegriff der „unvorhersehbaren“ Gefahr, die von
einem psychisch Kranken und mangels Erwähnung in anderen Gesetzen einschlägigen
Gesetzen zum Schutze der Allgemeinheit offensichtlich nur von diesem ausgehen
soll, stellt sich insbesondere in Kumulation mit der weiterhin avisierten
Maßnahme der Behandlungsauflage als Voraussetzung einer Unterbringungsaussetzung
auch gegen den Willen eines Betroffenen als schwerwiegenden und in keiner
Weise objektiv begrenzbaren Eingriff in Grundrechte eines psychisch Kranken
dar.
Hinzu kommt,
dass die Durchführung und Aufsicht der ambulanten Zwangsmassnahme alleine
in die Hände der unterbringenden Einrichtung gelegt werden soll. Der
Betroffene soll somit im Zuge der Behandlungsauflage einer juristisch allenfalls
im Ansatz kontrollierten, umfassenden medizinischen Vernunftshoheit der
Ärzte unterstellt werden, was von der Rechtsprechung ersichtlich aufgrund
verfassungsrechtlicher Bedenken nicht gewollt ist53
Für die
Annahme einer erheblichen Gefahr genügt es, so die Rechtsprechung,
gerade nicht, dass bei dem Betroffenen ohne Behandlung ein gesundheitlicher
Rückfall zu befürchten ist54,
es muss vielmehr in jedem Einzelfall festgestellt werden, inwieweit die
Verweigerung der Behandlung zu einer konkreten erheblichen Gefahr für
den Betroffenen oder die Allgemeinheit führt55.
Die gesetzlichen
Anforderungen an die Art und Intensität eines Grundrechteingriffes
wie eine Unterbringung oder eine Behandlungsauflage auch gegen den Willen
eines Betroffenen müssen im Einzelfall dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
gerecht werden.
Die Beschränkungen
sind nur angemessen, wenn der Staat im Zuge der Ausübung der gesetzlichen
Ermächtigung hinreichend konkrete Verdachtsmomente feststellt, die
die Annahme einer unmittelbaren Gefahr als nahe liegend erscheinen lassen56
und sich nicht lediglich auf unbestimmte subjektive Begriffe wie die „Unvorhersehbarkeit“
einer Gefahr, die von einem psychisch Kranken ausgehen soll, stützt.
Nur so wird
dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Angemessenheit der eingreifenden
Maßnahme im Verhältnis zum Anlass des Einschreitens Rechnung
getragen57.
Diesen Anforderungen
wird §§ 8 Abs. 4 und 5, 9 Abs. 3 PsychKG n. F. in keiner Weise
gerecht.
Die Verweigerung
der Behandlung, die Gefahr eines Rückfalls oder des Ausbruchs einer
Psychose kann keine Unterbringung rechtfertigen (Rechtsgedanke des §
9 Abs. 4 PsychKG).
Wird eine staatliche
Zwangsmassnahme im Rahmen einer Behandlungsauflage dazu angeordnet, dass
Krankheits- und Behandlungseinsicht bei dem Betroffenen herbeigeführt
werden, so bedeutet dies nichts anderes, als dass die Unterbringung zur
Erzwingung der Krankheits- und Behandlungseinsicht erfolgte, was unzulässig,
weil rechtswidrig wäre58.Die Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofes sieht die ambulante Zwangsbehandlung und die zwangsweise
Zuführung hierzu aufgrund der möglicherweise vom Betroffenen als
schwerer empfundenen Auswirkungen nicht als weniger in Grundrechte des Betroffenen
eingreifende staatliche Maßnahme, sondern als andersartigen Eingriff
an59.
In Anwendung
dieser Grundsätze müssen die Voraussetzungen des Erforderlichkeitsprinzips
einer Unterbringung in gleicher Weise für die ambulante Zwangsbehandlung
der §§ 8 Abs. 4 und 5, 22 Abs. 3 und 4, 9 Abs. 3 PsychKG n. F.
gelten.
Die konkrete,
wie in den Entwurfsbegründungen angedeutet, präventive, Anwendung
der Unterbringungsauflage des § 8 Abs. 5 PsychKG n. F. als Option für
den Fall, dass eine Unterbringung eines Betroffenen (noch) nicht notwendig
erscheint, dürfte verfassungsrechtlich aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
nicht haltbar sein, insbesondere dann nicht, wenn sie entgegen dem Gesetzeswortlaute
auf eine Erzwingung dieser Krankheits- und Behandlungseinsicht gerichtet
wäre.
Eine wie in
den Entwürfen ersichtlich zu Tage tretende Herabsetzung des Erforderlichkeitsprinzips
und zugleich auch des Gefahrbegriffes dürfte vor dem Hintergrund des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit geltendem Verfassungsrecht
nicht in Einklang zu bringen sein.
6. ZusammenfassungDer Entwurf
zu §§ 3, 8, 9 PsychKG n. F. nebst den Begründungen begegnet
verfassungsrechtlichen Bedenken insbesondere in Hinblick auf die Option
einer ambulanten Behandlung eines Betroffenen gegen dessen Willen und die
Erweiterung des Gefahrenbergriffes.a. Formell
schafft der Entwurf der §§ 3 Abs. 3, 8 Abs. 3 bis 6 und , 9 Abs.
3 PsychKG n. F. ein materielle Rechtsgrundlage für die ärztliche
Zwangsbehandlung.
b. Materiellrechtlich
ist festzustellen, dass der Entwurf §§ 3 Abs. 3, 8 Abs. 3 bis
6 und , 9 Abs. 3 PsychKG n. F. insoweit auf nicht mit den von der höchstrichterlichen
Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips
und des Bestimmtheitsgrundsatz in Einklang zu bringen ist, wonach die Aussetzungsauflage
einer Unterbringung, die ambulante Behandlung eines Betroffenen auch gegen
dessen Willen, nicht als weniger eingreifende Maßnahme als die einer
Unterbringung selbst gesehen werden kann, sondern als ebenso schwerer Eingriff
in Grundrechtspositionen. Die sich aus der Neuerung der Regelung des PsychKG
erwünschte Konsequenz eines neu eröffneten Anwendungsbereiches
staatlicher Zwangsmassnahmen gegen einen psychisch Kranken vor Erreichen
des Erforderlichkeitskriteriums einer möglichen Unterbringung durch
eine Behandlungsauflage ist verfassungsrechtlich bedenklich.
c. Der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet es, die Voraussetzungen
einer Aussetzungsauflage einer ärztlichen Zwangsbehandlung nach §
8 Abs. 5 PsychKG an ebenso hohen Erforderlichkeitskriterien zu messen wie
die Voraussetzungen einer Unterbringungsgenehmigung nach §§ 9,
14 PsychKG.
d. Eine
Zuführungsgenehmigung mit präventivem Einschlag ist mit geltendem
Verfassungsrecht nicht vereinbar, soweit es eine Erweiterung bestehender
staatlicher Zwangsmassnahmen unter Vorverlagerung der Erforderlichkeit solcher
Maßnahmen bedeuten würde .
e. Die
Erweiterung des Gefahrenbegriffes auf den weitgehend unbestimmten Rechtsbegriff
einer „unvorhersehbaren“ Gefahr impliziert die Annahme einer generellen
Gefährlichkeit eines psychisch Kranken und wird dem Grundsatz einer
konkreten objektivierbaren Gefahrenlage als tatbestandliche Voraussetzung
eines staatlichen Eingriffes nicht gerecht. In übrigen widerspricht
eine derartige Definition einer unmittelbaren Gefahr dem Bestimmtheitsgrundsatz.
f. Das
Selbstbestimmungsrecht eines Betroffenen wird darüber hinaus durch
die Kumulation von Erweiterung des Gefahrbegriffes und faktische Beschränkung
des „Rechtes auf Krankheit“ bzw. „Freiheit zur Krankheit“
bei einer gesetzlich geregelten allumfassenden „ärztlichen Vernunfthoheit“
über den psychisch Kranken in verfassungsrechtlich bedenklicher Form
eingeschränkt.Ettlingen,
den 16. März 2005Thomas S a
s c h e n b r e c k e r
Rechtsanwalt
Fußnoten:
1.
Eine gegenwärtige Gefahr wird in § 9 Abs. 3 PsychKG bisher als
eine Sachlage, bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses
bereits begonnen hat oder bei der diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster
Zeit mit einer an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht, definiert.
2.
Bundesgerichtshof, Beschluss, XII ZB 69/00 vom 11. Oktober 2000, FamRZ 2001,
S. 149; NJW 2001, S. 888
3. BGH, a.a.O.
4. Ärzte Zeitung, 25.05.2004
5. Die Welt vom 26.06.2004
6. Bremer Nachrichten vom 21.07.2003
7. Die Welt vom 26.06.2004
8. Bremer Nachrichten vom 21.07.2003
und vom 25.07.2003, jeweils mit Bezugnahme auf die Arbeitsgemeinschaft von
Sozial-, Innen- und Justizbehörde
9. Entwurf zur Neufassung des PsychKG,
Stand 9.11.2004
10. Entwurf zur Neufassung des PsychKG,
Stand 9.11.2004, § 8 Abs. 3 sollte ursprünglich lauten:
(3) Eine Unterbringung im Sinne dieses Gesetzes liegt auch dann vor, wenn
das zuständige Gericht die Zurückhaltung in einem psychiatrischen
Krankenhaus oder in einer psychiatrischen Abteilung eines Allgemeinkrankenhauses
aussetzt und die Aussetzung mit der Auflage einer ambulanten Behandlung
verbindet.
11. Staudinger/Bienwald, Bearb. 1999
§1906 Rdn. 18, BGHZ 82, 261, (266 ff.) OLG Düsseldorf NJW 1963,
S. 397, (S. 398), LG Hamburg FamRZ 1994, S. 1619, (S. 1620)
12. BGH FamRZ 2001, S. 149 ff. ; NJW
2001, S. 888 ff.
13. BGHZ 82, 261, 263 ff., Jarass in
Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art.
104 Rdn. 10
14. Entwurf Stand 10.02.2005, Begründungen
II, Einzelbegründungen, zu Art. 1 Nr. 2
15. Entwurf Stand 10.02.2005, Begründungen
I
16. Begründungen, II Einzelbegründung,
zu § 8 Abs. 3 PsychKG n.F. Stand 10.02.2005
17. Entwurf, I Allgemeine Begründungen
Stand 10.02.2005
18. Begründungen, II Einzelbegründung,
zu § 8 Abs. 3 PsychKG n.F. Stand 10.02.2005
19. § 22 Abs. 3 und 4 lauten:
(3) Die Behandlung der Patientin oder des Patienten ist ohne ihre oder
seine Einwilligung oder die ihres oder seines gesetzl. Vertreters bei gegenwärtiger
Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Patientin oder des Patienten
oder Dritter zulässig.
(4) Die Behandlung ist auch zulässig, soweit sie zur Erreichung des
Zweckes der Unterbringung (…) zwingend notwendig ist. Soweit die Patientin
oder der Patient Einwendungen erhebt, ist die Behandlung im Rahmen der Unterbringung
nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes zulässig. (…)
20. Begründungen,
II Einzelbegründung, zu § 9 Abs. 3 PsychKG n.F. Stand 10.02.2005
21. Beneker, Kommentar in der Ärzte
Zeitung vom 25.05.2004
22. Beneker, Kommentar in der Ärzte
Zeitung vom 25.05.2004
23. Psychotherapeutenkammer Bremen,
Stellungnahme zur geplanten Neufassung des PsychKG vom 09.12.2004 an den
Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend u. Soziales
24. Psychotherapeutenkammer Bremen,
Stellungnahme vom 09.12.2004
25. Aderhold, Bock, Grewe, Fachliche
Stellungnahme zu den geplanten gesetzlichen Ergänzungen durch den §
1906a BGB und § 70o FGG vom 15.01.2004
26. Demonstationsaufruf und Presseinformation
der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener vom 1.3.2005
27. Dachverband Gemeindepsychiatrie
, Stellungnahme Stand 26.01.2005
28. vgl. BVerfGE 8, 143 <149 f.>
29. vgl. BVerfGE 2 BvR 834/02 und 2
BvR 1588/02, Urteil vom 02. 02. 2004
30. BVerfGe 10,302 (337 f.) (1 BvR 526/53)
31. BVerfGE 77, 84 <106>; 90,
145 <173>
32. vgl. BVerfGE 50, 290 <332 f.>;
88, 203 <262>; 90, 145 <173>
33. BVerfG, 2 BvR 834/02 Beschluss vom
10.2.2004
34. BVerfGE 1 BvF 3/92 Beschluss vom
3.3.2004
35. BverfGE 2 BvR 2029/01, Beschluss
vom 5.2.2004
36. BVerfGE 31, 255 <264>
37. BVerfGE 31, 255 <264>
38. BVerfGE 11,168 <191>
39. vgl. BVerfGE 50, 290 <332 f.>;
88, 203 <262>; 90, 145 <173>
40. Bremische Bürgerschaft, Drucksache
15/1284, Petitionsausschuss, Eingabe L 15/245
41. § 22 Abs. 3 und 4 lauten:
(3) Die Behandlung der Patientin oder des Patienten ist ohne ihre oder
seine Einwilligung oder die ihres oder seines gesetzl. Vertreters bei gegenwärtiger
Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Patientin oder des Patienten
oder Dritter zulässig.
(4) Die Behandlung ist auch zulässig, soweit sie zur Erreichung des
Zweckes der Unterbringung (…) zwingend notwendig ist. Soweit die Patientin
oder der Patient Einwendungen erhebt, ist die Behandlung im Rahmen der Unterbringung
nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes zulässig. (…)
42. BVerfGE 58, 208 <226>
zum UBG Baden-Württemberg
43. BVerfGE, a.a.O.
44. BVerfGE, a.a.O.
45. BVerfGE 58, 208 <231>
46. BGH, FamRZ 2001, S. 149; NJW 2001,
S. 888
47. BGH a.a.O.
48. BVerfGE 58, 208 (226) mit weiteren
Nachweisen zum UBG Baden-Württemberg
49. BverfGE a.a.O. zum UBG Baden-Württemberg
50. BGH, FamRZ 2001, S. 149; NJW 2001,
S. 888
51. BVerfGE 58, 208 <231>
52. BayObLG, BtPrax 1994, S. 211
53. BVerfGE 58, 208 <231>
54. OLG Zweibrücken, NJW 1974,
610
55. OLG Stuttgart, NJW 1974, 2052
56. vgl. BVerfGE 89, 69 <85 f.>
57. vgl. BVerwG, NJW 2002, S. 78 <80>
58. LG Frankfurt, R&P 1993, 83;
OLG Schleswig, R&P 2000, 29
59. BGH, FamRZ 2001, S. 149; NJW 2001,
S. 888Stellungnahme
des Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrene als Demonstrationsaufruf