Bundesarbeitsgemeinschaft
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des UN-Ausschusses über die Rechte von Menschen mit Behinderungen
zu Art. 12 – BRK (Gleiche Anerkennung vor dem Recht)
von Klaus Lachwitz, ehemaliger Bundesgeschäftsführer der „Lebenshilfe“
und Präsident von „Inclusion International“
Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention – BRK) ist ein Völkerrechtsvertrag zwischen den Vereinten Nationen und den Vertragsstaaten, die das Übereinkommen durch Ratifikation für rechtsverbindlich erklärt haben (Art. 43 ff. BRK). Deutschland hat die Ratifikation der BRK auf der Grundlage eines Zustimmungsgesetzes, das am 31.12.2008 im Bundesgesetzblatt verkündet worden ist2, mit Wirkung zum 26.03.20093 vollzogen. Mit der Ratifikation hat die BRK den Rang eines einfachen Bundesgesetzes erlangt und ist auf diese Weise Bestandteil der deutschen Rechtsordnung geworden.4 Deutschland ist damit zur Anwendung der Bestimmungen der BRK verpflichtet, und zwar aller Bestimmungen,denn das Übereinkommen ist ohne Vorbehalt5 ratifiziert worden. Dies hat gemäß Art. 4 Abs. 1 a) BRK zur Folge, dass Deutschland „alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Umsetzung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte zu treffen“ hat.
Reichweite der Behindertenrechtskonvention (BRK)
Die BRK will sicherstellen, dass alle Menschenmit Behinderungen in den gleichberechtigtenGenuss der Menschenrechte und Grundfreiheitenkommen (Art. 1 Satz 1 BRK). „Zuden Menschen mit Behinderungen zählenalle Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können (Art. 1 Satz 2 BRK). Damit steht fest, dass von der BRK z.B. auch Menschen mit einer dauerhaften Demenz6 erfasst werden.
Inhalt des Art. 12 BRK (Gleiche Anerkennung vor dem Recht)
Kein Artikel der BRK hat so viele rechtliche Kontroversen ausgelöst wie Art. 12 BRK. Maßgebend dafür sind insbesondere die Absätze 2 und 3 dieser Bestimmung, wonach „die Vertragsstaaten anerkennen, dass Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts und Handlungsfähigkeit genießen“ und „geeignete Maßnahmen treffen, um Menschen mit Behinderungen Zugang zu der Unterstützung zu verschaffen, die sie bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit gegebenenfalls benötigen.“ Welche Sprengkraft Art. 12 BRK entfaltet, wird deutlich, wenn man versucht, den Inhalt der Absätze 2 und 3 in der Terminologie des deutschen Rechts zu beschreiben. Danach wären alle Menschen mit Behinderungen unabhängig von Art und Schweregrad ihrer Behinderung aus rechtlicher Sicht in gleicher Weise wie nichtbehinderte Menschen geschäfts- und einwilligungsfähig7 und könnten verlangen, dass Deutschland ihnen die rechtliche Unterstützung zukommen lässt, die es ihnen ermöglicht, ihre Geschäfts- und Einwilligungsfähigkeit selbst auszuüben. Die gesetzliche Vertretung durch Dritte würde auf diese Weise verdrängt. Es verwundert also nicht, dass um die Frage gerungen wird, wie Art. 12 BRK auszulegen ist und wie sich diese Bestimmung auf das deutsche Recht auswirkt.8
Auslegung der BRK nach Maßgabe des Völkerrechts
Die Auslegung von Rechtsvorschriften gehört zu den Kernaufgaben der Gerichte. Diese prüfen, welche Zwecke der Gesetzgeber mit den von ihm in Kraft gesetzten rechtlichen Bestimmungen verfolgt und gehen dabei im Regelfall vom Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der einzelnen Vorschriften aus. Für die von den Vereinten Nationen bislang verabschiedeten Menschenrechtskonventionen, zu denen z.B. der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) von 1966 zählt, gilt die Besonderheit, dass die Vereinten Nationen Ausschüsse eingesetzt haben, denen u.a. die Aufgabe übertragen ist, rechtliche Hinweise zur Auslegung der in den Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte enthaltenen Artikel zu entwickeln. Dies geschieht häufig durch die Veröffentlichung sog. General Comments (Allgemeine Kommentare) zu einzelnen Artikeln der Menschenrechtskonventionen. Entsprechendes gilt für die BRK: Gemäß Art. 34 Abs. 1 BRK ist von den Vereinten Nationen ein „Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen eingesetzt“ worden, der zurzeit aus achtzehn Sachverständigen besteht. Dieser Ausschuss hat am 02.11.2011 seine Working Methods vorgestellt9, in denen er die Verpflichtung, General Comments abzugeben, wie folgt beschreibt: „Der Ausschuss kann General Comments formulieren, die sich auf einzelne Artikel, Empfehlungen und spezifische Themen der BRK beziehen. Dabei verfolgt er das Ziel, den Vertragsstaaten bei der Umsetzung der BRK zu assistieren und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zu ermutigen, sich auf effiziente Weise für die Verwirklichung der in der BRK geregelten Menschenrechte einzusetzen.“
General Comment No. 1 (2014) zu Art. 12 BRK
In seiner 11. Sitzung (31.03.2014 bis 11.04.2014) hat der UN-BRK-Ausschuss seinen ersten allgemeinen Kommentar10 zu einer einzelnen Bestimmung der BRK verabschiedet, und zwar zu Art. 12 BRK. Dabei wurde deutlich, dass der Ausschuss deshalb mit einer Kommentierung des Art. 12 BRK begonnen hat, weil diese Vorschrift eine Schlüsselfunktion für den Großteil der von der Weltgesundheitsorganisation auf etwa 1 Mrd. geschätzten Menschen mit Behinderungen einnimmt. Umfragen und rechtsvergleichende Untersuchungen hätten ergeben, dass weltweit vielen Menschen mit Behinderungen die Rechts- und Handlungsfähigkeit (Legal Capacity) abgesprochen werde.11 Damit seien diese Personen von der persönlichen Ausübung ihrer zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte ausgeschlossen12. Art. 12 BRK sei mit dem Ziel in die BRK eingeführt worden, diesen Zustand zu beenden.
Inhalt des General Comment No. 1 zu Art.12 BRK
Der Erarbeitung des General Comment No. 1 ist die in Art. 36 BRK vorgeschriebene Prüfung zahlreicher Staatenberichte durch den UN-BRK-Ausschuss vorausgegangen, die diesem von den Vertragsstaaten gemäß Art. 35 BRK über den Generalsekretär der Vereinten Nationen innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Übereinkommens für den betreffenden Vertragsstaat vorzulegen sind13 und die in umfassender Weise darstellen sollen, welche Maßnahmen der Vertragsstaat „zur Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Übereinkommen getroffen hat“ und welche „Fortschritte dabei erzielt“ worden sind (Art. 35 Abs. 1 BRK).
Einführung in den General Comment No. 1 (Ziffern1 – 9)
Der Ausschuss hat aus den von ihm geprüften Staatenberichten die Schlussfolgerung gezogen, dass viele Vertragsstaaten hinsichtlich ihrer sich aus Art. 12 BRK ergebenden Verpflichtungen einem generellen Missverständnis unterlägen: Es sei ein „mangelhaftes Verständnis“(S.1) dafür anzutreffen, dass das in der BRK verankerte menschenrechtliche Modell der Behinderung14 einen Paradigmenwechsel von der stellvertretenden Entscheidung (substituted decisionmaking) zu einer unterstützten Entscheidungsfindung (supported decision-making) bewirkt habe15. Der General Comment No.1 zu Art. 12 BRK verfolge das Ziel, die Verpflichtungen der Vertragsstaaten, die sich aus Art. 12 ergeben, zu ermitteln16 und beinhalte eine Interpretation des Art. 12, die sich aus der Allgemeinen Verpflichtung der Vertragsstaaten gemäß Art. 3 BRK ableite, nämlich „die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit.“17 Aus historischer Sicht sei festzustellen, dass Menschen mit Behinderungen das Recht auf Rechts- und Handlungsfähigkeit in vielen Lebensbereichen in diskriminierender Weise auf der Grundlage von Konstrukten der rechtlichen Vertretung (substituted decision–making regimes) versagt worden sei, z.B. durch die Anordnung von Vormundschaften (guardianship), Pflegschaften (conservatorship) und durch rechtliche Regelungen zur geistigen Gesundheit (mental health laws), die die Zwangsbehandlung (forced treatment) erlauben. „Diese Praktiken müssen abgeschafft werden, um sicherzustellen, dass die volle Rechts- und Handlungsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wiederhergestellt wird“(S.2).18 Die Weigerung, Menschen mit Behinderungen die Rechts- und Handlungsfähigkeit zuzuerkennen, habe in vielen Fällen dazu geführt, dass diesen Personen fundamentale Rechte aberkannt worden seien, wie das Wahlrecht oder… das Recht, in medizinische Behandlung einzuwilligen.19
Der normative Inhalt des Art. 12 BRK (Ziffern 10 – 19 General Comment No.1)
Nach Art. 12 Abs.2 BRK umschließt die Rechts- und Handlungsfähigkeit (legal capacity) sowohl das Recht, Träger von Rechten (holder of rights) als auch Akteur des Rechts (actor of rights) zu sein.20 Der General Comment No.1 zu Art. 12 BRK unterscheidet zwischen Rechts- und Handlungsfähigkeit (legal capacity) und der geistigen Fähigkeit (mental capacity) eines Menschen und stellt fest, dass es sich dabei um „unterschiedliche Konzepte“ handelt. „Rechts- und Handlungsfähigkeit ist die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein (legal standing) und diese Rechte und Pflichten auszuüben (legal agency). Sie ist der Schlüssel, um auf sinnvolle Weise Zugang zur Gesellschaft zu erhalten“(S.3).21 Demgegenüber verweise der Begriff der geistigen Fähigkeit eines Menschen auf die individuelle Fähigkeit einer Person, Entscheidungen zu treffen. Sie variiere nicht nur von Person zu Person, sondern könne auch bei der Person selbst aufgrund zahlreicher Faktoren, die umweltbezogene und soziale Bedingungen einschließen, unterschiedlich ausfallen. „Gemäß Art.12 BRK dürfen unterstellte oder tatsächliche Defizite der geistigen Fähigkeit nicht als Rechtfertigung herangezogen werden, um Rechts- und Handlungsfähigkeit zu verneinen“(S.3).22 Der Ausschuss führt in den Ziffern 12 und 13des General Comment No.1 zu Art. 12 BRK aus, die meisten der von ihm bislang überprüften Staatenberichte machten deutlich, dass viele Vertragsstaaten aus der Begutachtung eines Menschen, im Zuge derer Mängelseiner geistigen Fähigkeiten festgestellt worden seien, folgerten, die Rechts- und Handlungsfähigkeit sei eingeschränkt. „Art.12 erlaubt keine derartige diskriminierende Schlussfolgerung im Hinblick auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit, sondern macht es stattdessen notwendig, die erforderliche Unterstützung zur Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit zur Verfügung zu stellen“(S.4).23
Zum Begriff der Unterstützung enthält der Allgemeine Kommentar die Aussage: „Die Unterstützung bei der Ausübung der Rechts-und Handlungsfähigkeit muss die Rechte, den Willen und die Präferenzen der Menschen mit Behinderungen respektieren und sollte niemals die Form einer stellvertretenden Entscheidung annehmen… Die Unterstützung kann die Entwicklung und Anerkennung unterschiedlicher und unkonventioneller Methoden der Kommunikation einschließen, insbesondere für die Personen, die nonverbale Formen der Kommunikation verwenden, um ihren Willen und ihre Präferenzen auszudrücken“ (S.4).24
Pflichten der Vertragsstaaten (Ziffern 20 – 26 General Comment No.1)
Die Verpflichtung der Vertragsstaaten, Systeme der stellvertretenden Entscheidung durch Konstrukte der unterstützten Entscheidungsfindung zu ersetzen, mache sowohl die Abschaffung von Systemen der stellvertretenden Entscheidung als auch die Entwicklung von alternativen Formen unterstützter Entscheidungsfindung erforderlich.25
Konstrukte der unterstützten Entscheidungsfindung könnten in unterschiedlichen Formen auftreten. Dabei seien die nachfolgend beschriebenen Kernelemente zu beachten:
Die unterstützte Entscheidungsfindung müsse allen Menschen zur Verfügung stehen. Der Grad des Unterstützungsbedarfs (insb. wenn dieser sehr groß sei) dürfe kein Hindernis sein, um Unterstützung bei der Entscheidungsfindung zu erhalten.26 Alle Formen der Unterstützung bei der Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit (einschließlich intensiver Formen der Unterstützung) müssten auf dem Willen und den Vorlieben (preferences) der Person gründen und dürften nicht auf die Annahme gestützt werden, dem Wohl (best interest) der Person zu dienen.27 Die von einer Person genutzte Form der Kommunikation dürfe kein Hindernis sein, um Unterstützung bei der Entscheidungsfindung zu erhalten; dies auch dann nicht, wenn es sich um eine unkonventionelle Form der Kommunikation handele, die nur von wenigen Menschen verstanden werde.28 Die von dem behinderten Menschen ausgewählte Person müsse rechtlich als Unterstützungsperson anerkannt werden und verfügbar sein. Der Vertragsstaat sei verpflichtet, die Schaffung geeigneter Formen der Unterstützung sicherzustellen, insbesondere für Personen, die isoliert sind und keinen Zugang zu Formen der Unterstützung haben, die normalerweise in einer Gesellschaft zur Verfügung stehen. Dies müsse die Möglichkeit Dritter einschließen, sowohl die Identität einer Unterstützungsperson festzustellen, als auch die Handlungen einer Unterstützungsperson zu beanstanden, wenn sie der Auffassung sind, dass die Unterstützungsperson nicht nach Maßgabe des Willens und der Präferenzen der unterstützten Person handelt.29 Um den Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 3 BRK Rechnung zu tragen, müssten die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen treffen, um dem behinderten Menschen Zugang zu der benötigten Unterstützung zu verschaffen. Die Vertragsstaaten müssten sicherstellen, dass die Unterstützung zu angemessenen Kosten oder kostenfrei zur Verfügung steht und dass ein Mangel an finanziellen Ressourcen kein Hindernis ist, um die Unterstützung zu erlangen, die zur Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit erforderlich sei.30 Die Unterstützung bei der Entscheidungsfindung dürfe nicht als Rechtfertigung dafür dienen, andere fundamentale Rechte von Menschen mit Behinderungen einzuschränken, insbesondere das Wahlrecht, das Recht zu heiraten (oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen), eine Familie zu gründen, fortpflanzungsmedizinische Rechte und Elternrechte geltend zu machen, in intime Beziehungen und medizinische Behandlung einzuwilligen und sich auf das Recht auf Freiheit zu berufen.31 Die Person müsse jederzeit das Recht haben, die Unterstützung abzulehnen und zu beenden oder eine andere Unterstützungsperson auszuwählen.32 Für alle Maßnahmen, die sich auf die Rechts- und Handlungsfähigkeit und die Unterstützung bei der Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit beziehen, müssten geeignete Sicherungsvorkehrungen (safeguards) getroffen werden. Ziel dieser Sicherungsvorkehrungen sei es, den Willen und die Präferenzen der Person zu respektieren.33 Die Verfügbarkeit von Unterstützung bei der Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit dürfe nicht von der Begutachtung der geistigen Fähigkeit eines Menschen abhängig gemacht werden; neue nichtdiskriminierende Indikatoren zur Feststellung des Bedarfs an Unterstützung seien erforderlich, um Unterstützung bei der Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit zu gewährleisten.34
In Ziffer 26 des General Comment No.1 wird ausgeführt, dass das Recht auf gleiche Anerkennung vor dem Rech seit langem als ein ziviles und politisches Recht gilt, das im Internationalen Pakt über zivile und politische Rechte35 wurzelt. „Zivile und politische Rechte erlangen im Zeitpunkt der Ratifikation Geltung, und die Vertragsstaaten müssen Maßnahmen zur unmittelbaren Umsetzung dieser Rechte ergreifen. Dementsprechend werden die in Art. 12 BRK geregelten Rechte im Moment der Ratifikation wirksam und bedürfen der sofortigen Umsetzung“(S.7).36
Verhältnis des Art. 12 BRK zu anderen Bestimmungen der BRK (Ziffern 27 – 45 General Comment No. 1)
Die Anerkennung der Rechts- und Handlungsfähigkeit sei untrennbar mit dem Genuss zahlreicher anderer Menschenrechte verknüpft, die in der BRK geregelt sind, z.B. dem Recht, vor einer unfreiwilligen Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung bewahrt zu werden und sich keiner Zwangsbehandlung unterziehen zu müssen (Art. 14 BRK), dem Recht auf Achtung der körperlichen und seelischen Unversehrtheit (Art. 17 BRK), dem Recht, in eine medizinische Behandlung einzuwilligen (Art. 25 BRK). Ohne die Gewährleistung, dass jede Person die gleiche Anerkennung vor dem Recht genießt, sei die Möglichkeit, diese und andere in der BRK geregelten Rechte geltend zu machen, auszuüben und zu verwirklichen, erheblich in Frage gestellt.37 Für die medizinische Behandlung von Menschen mit kognitiven Behinderungen hat vor allem die in Ziffer 38 des General Comment No. 1 enthaltene Kommentierung besondere Bedeutung, die sich auf das Verhältnis des Art. 12 BRK zu den Artikeln 15, 16, 17 BRK (Achtung der Unversehrtheit der Person, Schutz vor Folter, Gewalt, Ausbeutung und Missbrauch) bezieht. Dort heißt es: „Wie bereits in einigen abschließenden Betrachtungen38 (Anm.: des Ausschusses über die Rechte von Menschen mit Behinderungen) ausgeführt, verletzt die Zwangsbehandlung durch Psychiater und andere Angehörige der Gesundheitsberufe die (Anm.: in Art. 12 BRK geregelte) gleiche Anerkennung vor dem Recht, das Recht auf Achtung der Unversehrtheit der Person, die Freiheit von Folter und das Recht, vor Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch geschützt zu werden (S.10). Die Praxis (Anm. der Zwangsbehandlung) stelle die Rechts- und Handlungsfähigkeit einer Person in Abrede, selbst über die medizinische Behandlung zu entscheiden und verletze deshalb Art. 12 der UN-BRK. Die Vertragsstaaten müssten stattdessen die Rechts- und Handlungsfähigkeit einer Person mit Behinderungen respektieren, jederzeit, einschließlich in Krisensituationen, eigene Entscheidungen zu treffen; sie müssten außerdem sicherstellen, dass genaue und zugängliche Informationen über unterschiedliche Dienstleistungen und nichtmedizinische Angebote zur Verfügung stehen und auf unabhängige Unterstützung zurückgegriffen werden kann. Die Vertragsstaaten seien verpflichtet, den Zugang zur Unterstützung bei der Entscheidungsfindung zu gewährleisten, die psychiatrische und andere Formen der medizinischen Behandlung betreffen. Die Zwangsbehandlung sei ein besonderes Problemfür Menschen mit psychosozialen, geistigen oder anderen kognitiven Behinderungen. Die Vertragsstaaten müssten politische Vorgaben und gesetzgeberische Maßnahmen beseitigen, die Zwangsbehandlungen erlauben oder weiterhin zulassen wie sie weltweit als andauernde Menschenrechtsverletzungen in Gesetzen zur geistigen Gesundheit (mental health laws) anzutreffen seien. Der Ausschuss empfiehlt den Vertragsstaaten deshalb sicherzustellen, dass „Entscheidungen, die die körperliche und seelische Unversehrtheit einer Person berühren, nur getroffen werden dürfen, wenn eine freie und informierte Einwilligung der betroffenen Person vorliegt“(S.11).
Umsetzung auf nationaler Ebene (Ziffern 46 – 48 General Comment No.1)
In Ziffer 47 werden die Vertragsstaaten ermutigt, Ressourcen für die Forschung und für die Entwicklung von guten Beispielen (best practices) zur Verfügung zu stellen, die das Recht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht respektieren und die Unterstützung bei der Ausübung der Rechts- und Handlungsfähigkeit gewährleisten.
Reaktion der Bundesregierung
Neben mehr als 70 Nichtregierungsorganisationen, Nationalen Menschenrechtsinstituten und Vertragsstaaten, hat sich die Bundesregierung zu einem bereits im Jahr 2013 vorgelegten Entwurf des General Comment No.1, der in seinen wesentlichen Aussagen Eingang in die im April 2014 verabschiedete Endfassung gefunden hat, geäußert. Der General Comment No.1 wird in teilweise harschen Worten kritisiert, und es wird stattdessen das Postulat aufgestellt, dass rechtliche Vertretung in bestimmten Fällen (z.B. bei Komapatienten) möglich und mit Art. 12 der UN-BRK vereinbar sei.39 Wann und unter welchen Voraussetzungen statt der rechtlichen Vertretung eine Unterstützung bei der Entscheidungsfindung im Sinne des Art. 12 Abs. 3 UN-BRK greifen soll, bleibt jedoch unbeantwortet.
Schlussbemerkung des Verfassers
Die Stellungnahme der Bundesregierung zum Draft General Comment No.1 zu Art. 12 UN-BRK steht im Einklang mit früheren Äußerungen der Bundesregierung, die z.B. bereits im November 2008 in einer Denkschrift zur UN-BRK ausgeführt hat, nur wer einsichtsfähig sei, könne als geschäftsfähig angesehen werden40 oder die im Jahr 2011 die Auffassung vertreten hat, das deutsche Betreuungsrecht entspreche den Anforderungen der UN-BRK41 Es sei „konventionskonform“, und es bestehe „kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf“, das Betreuungsrecht zu ändern.42 Es ist hier nicht der Ort, die Vereinbarkeit des Betreuungsrechts43 oder der §§ 104 f. BGB44 mit Art. 12 BRK zu untersuchen. Doch eines sei festgestellt: Solange auf gesetzgeberischer Seite bzw. in der Praxis des Betreuungsrechts nicht alle im General Comment No.1 zu Art. 12 BRK beschriebenen vielfältigen Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind, Menschen mit psychosozialen, geistigen oder sonstigen kognitiven Beeinträchtigungen bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit zu unterstützen, ist es müßig, darüber zu streiten, ob es noch Fälle gibt, in denen nicht auf das rechtliche Hilfsmittel der gesetzlichen Vertretung durch Dritte verzichtet werden kann. Deutschland ist wie alle Vertragsstaaten, die das UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ohne Vorbehalt ratifiziert haben, verpflichtet, auf der Grundlage einer soliden und umfassenden Rechtstatsachenforschung und im Rechts- und Praxisvergleich mit anderen Vertragsstaaten, neue verbale und nonverbale Kommunikationsformen insbesondere für den Personenkreis zu erforschen und zu erproben, dem man u.a. nach Maßgabe der völlig veralteten Vorschriften zur Regelung der Geschäftsfähigkeit (§§ 104 f. BGB) bisher die in Art. 12 UN-BRK beschriebene volle Rechts- und Handlungsfähigkeit aberkannt hat. Bislang sind derartige Bemühungen leider nicht erkennbar.
Klaus Lachwitz ist Rechtsanwalt und Präsident von Inclusion International, London.
Kontakt: info (ät) inclusioninternational.org
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1 Die nachfolgende Darstellung wesentlicher Passagen des General Comment No. 1 zu Art. 12BRK beruht auf einer nicht-amtlichen Übersetzung, die der Verfassernach bestem Wissen und Gewissen angefertigt hat.
2 BGBl. 2008 II, S. 1419 ff.; zum Gesetzgebungsverfahren vgl. BT-Drs. 16/10808 (Gesetzentwurf der BReg)
3 Vgl. dazu Art. 45 BRK.
4 Vgl. BVerfG 26.2.2010 – 1 BvR 1541/09 = NJW 2010, 1943: Normen der BRK sind Bundesrecht ohne Verfassungsrang.
5 Vgl. Art. 46 BRK
6 Nach deutschem Rechterfüllt das Vorliegen einer Demenz den Tatbestand der Behinderung, wenn die geistige Fähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, vgl. § 2 Abs. 1 SGB IX.
7 Vgl. dazu z.B.die §§ 104 ff. BGB und 1905 Nr.2 BGB.
8 Zur Kontroverse vgl. insb. Valentin Aichele, Hrsg. (2013), Das Menschenrecht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht – Artikel 12 der UNBehindertenrechtskonvention, Baden – Baden: Nomos Verlagsgesellschaft; Klaus Lachwitz in: Kreutz/Lachwitz/TrenkHinterberger (2013), Die UN-Behindertenrechtskonvention in der Praxis, Erläuterungen der Regelung und Anwendungsgebiete, Köln: Luchterhand Verlag, S. 146 ff.
9 UN CRPD C/5/4.
10 CRPD/C/GC/1 Distr. General 11. 4. 2014.
11 Vgl: dazu z.B.: Who gets to decide? Right to legal capacity for persons with intellectual and psychosocial disability, Council of Europe, Thomas Hammarberg, Commissioner for Human Rights, Strasbourg Febr. 20, 2012, CommDH/IssuePaper (2012)2.
12 Vgl. dazu Ziffer 8 des General Comment zu Art. 12 BRK.
13 Der Deutsche Staatenbericht liegt dem Ausschuss seit dem 3. 8. 2011 vor.
14 Vgl. dazu insb. Ziffer e) der Präambel der UNBRK.
15 Vgl. Ziffer 3 des General Comment No. 1 zu Art. 12 UN-BRK.
16 Vgl. Ziffer 3 letzter Satz.
17 Vgl. Ziffer 4 .
18 Ziffer 7.
19 Ziffer 8 letzter Satz
20 Ziffer 11 Satz 2.
21 Ziffer 12.
22 Ziffer 12 letzter Satz.
23 Ziffer 13 letzter Satz.
24 Ziffer 15 Satz 1.
25 Ziffer 24 Satz 1.
26 Ziffer 25 a).
27 Ziffer 25 b).
28 Ziffer 25 c).
29 Ziffer 25 d).
30 Ziffer 25 e).
31 Ziffer 25 f).
32 Ziffer 25 g).
33 Ziffer 25 h).
34 Ziffer 25 i).
35 International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR) von 1966.
36 Im Unterschied zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten, die gemäß Art. 4 Abs. 2 BRK von den Vertragsstaaten nur unter Ausschöpfung der verfügbaren Mittel „nach und nach“ verwirklicht werden müssen (sog. Progressionsvorbehalt).
37 Ziffer 27 letzter Satz.
38 Concluding Observations
39 Nachzulesen auf der Website „UN Human Rights Office of the High Commissioner for Human Rights, Stichwort: Committee on the Rights of Persons with Disabilities, Stichwort: Draft General Comment on Art. 12 UNCRPD, Submissions (siehe dort unter Ziffer 32: Federal Republic of Germany).
40 BT-Drs. 16/10808 vom 8.11.2008 S. 51 f.
41 BT-Drs. 17/5323 vom 1.4.2011.
42 Erster Staatenbericht der Bundesregierung S.33, abrufbar z.B. über www.bmas.de.
43 Vgl. dazu den Beitrag in diesem Heft von Peter Winterstein
44 Vgl. dazu Klaus Lachwitz (2012): Auswirkungen der UN-Behindertenrechtskonvention auf das deutsche Geschäftsfähigkeits- und Betreuungsrecht. Überlegungen aus der Perspektive von Menschen mit geistiger Behinderung.In: Kritische Justiz 2012 (4), S. 385 – 404.