| 
 Kommentar 
von Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr 
Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften, Otto-Suhr-Institut 
für Politikwissenschaft, Freie Universität Berlin 
 
Gutachterliche 
Stellungnahmeim 
Auftrag des Komitee für Grundrechte und Demokratie 
Berlin, 
den 15.2.2008 
Gegenstände 
des Gutachtens: 
  
Die 
menschenrechtlichen Konsequenzen der UN Disability Convention 
vom 30.3.2007 
Hilfsweise 
hinzugezogen: 
a) 
die Gutachterliche Stellungnahme der Rechtsanwälte Wolfgang 
Kaleck, Söhnke Hilbrans, Sebastian Scharmer, Berlin zur Convention 
und ihren psychiatrierechtlichen Auswirkungen 
b) 
die nur im Internet zeichengedruckte Dissertation am Fachbereich 
Rechtswissenschaften der Universität Hamburg von Annelie 
Prapolinat aus dem Jahre 2004 zum Thema: „Subjektive 
Anforderungen an eine ‚rechtswidrige Tat‘ bei § 63 StGB“ 
  
Vorrede 
Das 
Gutachten benutzt primär die Menschenrechte als Urteilsbasis 
und Maßstab in einem. Da die Menschenrechte vor allem 
in ihrer ersten internationalen Verkündigung am 10.12.1948 
durch die UN und seither von jedem neuen Mitglied von allen 
Staaten auch als ihre Basis und ihr Maßstab anerkannt 
worden sind, müssten sie durchgehend das Verfassungsrecht 
der Staaten ihrerseits konstituieren und prinzipiell alle sonstigen 
Rechtskodifizierungen und Einzelgesetze durchwirken. Auch wenn 
die Menschenrechte als Urteilsbasis und Maßstab der Urteilsbildung 
Mitgliedsstaaten der UN normativ binden, changieren ihre Interpretation 
und Anwendung erheblich. Das gilt für die Disability Convention 
selbst. Darum wird dem Begriff der Menschenrechte, wie er im 
Kontext der UN und ihrer Verlautbarungen der Gründung, 
den Stellungnahmen und der Praxis des Komitees für Grundrechte 
und Demokratie zugrundeliegt, an erster Stelle pointiert (I.). 
Dem Relief der Menschenrechte folgt die knappe, vor allem der 
Frage möglichen Zwangs gewidmete Erörterung der Behinderten-Konvention 
der UN (II.). In diesem Zusammenhang wird auf das Rechtsgutachten 
der Berliner Anwälte vom Februar dieses Jahres und auf 
die Dissertation von Frau Dr. jur Annelie Prapolinat 
Bezug genommen. In einem kurzen III. Abschnitt werden einige 
‚lose Enden‘ aufgenommen, die an die Grenzen menschenrechtlicher 
Begriffsklärung und der Bestimmungen der Disability-Convention 
führen. Es werden Aufgaben genannt und Wege angezeigt, 
die anzugehen und zu betreten mittelfristig dringlich anstehen. 
I. 
 
Zum Begriff der 
Menschenrechte  
  
1.      
  
Vor- oder überstaatliche Normen 
Menschenrechte 
sind keine staatlich gesatzten Rechte. Wie immer die Gesetzgebungung 
in den staatlichen Verfassungen – geschrieben/ungeschrieben 
– geregelt ist: Menschenrechte stehen nicht zur Disposition 
des Gesetzgebers. In den ersten Erklärungen der Menschenrechte 
gegen Ende des 18. Jahrhunderts (Virginia Bill of Rights, Französische 
Revolution) wurden sie darum naturrechlich begründet: Als 
mit der Geburt jedes Menschen als Mensch gegebene „Rechte“. 
Bei diesen nicht staatlich gesatzten, also nicht staatseigenen 
und nicht staatlich zur Disposition stehenden Rechten handelt 
es sich um Grundbedürfnisse des Menschen. Sie müssen 
jeweils im historisch möglichen Ausmaß zufrieden 
gestellt werden. Damit Menschen sich ihren Möglichkeiten 
als Menschen gemäß entwickeln können. Mit anderen 
Worten: die Menschenrechte als essentielle Bedürfnisse 
jedes Menschen sind mit der Geburt, also „von Natur“ 
gegeben. Ob und wie sie sich jedoch entwickeln können, 
dafür geben die historisch wandelnden gesellschaftlichen 
Umstände den Ausschlag. Darum ist es gesellschaftlich und 
konsequent menschlich möglich, dass die Menschenrechte 
einzelner oder vieler Menschen verfehlt werden. Menschen können 
unmenschlich behandelt werden. Menschen können andere Menschen 
unmenschlich behandeln. Dieses zentrale soziohistorische Merkmal 
der Menschenrechte, dass sie vom sozialen Kontext abhängig 
sind, macht Menschenrechte historisch fundamental prekär. 
  
  
2.      
Konstitutive und regulative Prinzipien 
Um 
diese Ambivalenz der Menschenrechte als für Menschen schlechterdings 
zentral und ebenso durchgehend gefährdet und verfehlbar 
zu begreifen und ihr menschenrechtsgemäß möglichst 
gerecht zu werden, ist eine auf Kant zurückgehende Unterscheidung 
nützlich. Sie kennt bis in die Antiken der diversen Erdteile 
zurückgehende Vorformen. Menschenrechte sind als konstitutive 
Normen zu begreifen. An ihnen müssen sich die Menschen 
orientieren, sie müssen die Menschen zu verwirklichen suchen, 
wenn sie ihrer (angeborenen) Bestimmung gerecht werden wollen. 
„Geprägte Formen, die lebend sich entwickeln“ 
(Goethe). Damit jedoch aus die Menschen zu Menschen machenden 
Normen, die sie also konstituieren, Praktiken, also handelnde 
Menschen werden, müssen sie entsprechend sozial verwirklicht 
werden. Sie sind in regulative Normen zu über- und umzusetzen. 
Auf dass sie sozial der Fall werden. 
  
 
  
3.      
Individuelle Rechte, soziale Formen und 
Folgen 
Menschenrechte 
sind nur, wenn jeder Mensch sich ihrer gleicher Weise erfreuen 
kann. Sie sind nicht, wenn Orwells Satz vom Beginn seiner „Farm 
der Tiere“ zutrifft. „Alle Menschen sind gleich. Manche 
sind gleicher als die anderen.“ Das besagt: Im Rahmen menschenrechtlicher 
Normen, als konstitutiven Prinzpien, die Menschen zu Menschen 
werden lassen, sind keine Unterscheidungen, keine sozialen Schließungen 
zulässig. Die allen lebenslang gewährten Chancen, 
individuellen Werdens, sich Menschenrechte zueigen zu machen, 
sind indes nur gegeben, wenn die materiellen, soziopolitisch 
gestalteten Umstände die Menschenrechte aktualisieren lassen, 
in die Menschen geboren werden und in denen sie zu sich kommen. 
Darum sind Menschenrechte nicht als ‚bloße‘ Normen nackt, 
also abstrakt zu artikulieren. Wer von Menschenrechten spricht 
und die ihnen nötigen, in ihnen steckenden sozialen Bedingungen 
und Formen verschweigt, redet vergebens von Menschenrechten. 
  
 
  
4.      
Individuelle Besonderheiten 
Das, 
was einen Menschen als Individuum auszeichnet, ist letztlich 
nie auf einen Begriff zu bringen. „Kennst du schon das große 
Wort“, schrieb Goethe an Lavater, „individuum est ineffabile.“ 
Das heißt: was ein Individuum letztlich ausmacht, lässt sich 
nicht in kurze, eindeutige Worte fassen. Darum orientiert der 
Begriff „Identität“, ernst genommen, falsch. Dann besagte er 
Eindeutigkeit bis auf den Punkt hin. Aus dieser Einsicht folgt: 
Menschenrechte sind „Rechte“, die allen Wesen universell gelten, 
die menschliche Merkmale besitzen. Da gibt es keine Ausnahme. 
Es sei denn, man hebele Begriff und Praxis der Menschenrechte 
aus, um Menschengruppen in systematischer Diskriminierung auszusondern. 
 
Die 
Qualität universeller Geltung bezeichnet indes nur eine 
Qualität des menschenrechtlichen Kerngehäuses. Sie 
wird zu einer gültigen erst, wenn sie als die universelle 
Geltung des Besonderen, der Fülle der individuell besonderen 
Menschen in ihren wechselnden Auftritten (Habitus) verstanden 
und verwirklicht wird. So definitionsstark Menschenrechte staatlich 
gesatzte Rechte und Praxen durchdringen müssten – so diese 
Staaten Menschenrechte in Anspruch nehmen -, so sehr unterscheiden 
sie sich von staatlichen Gesetzen. Deren innerstaatlicher Allgemeinheitsanspruch 
wird gegen Menschen in den Grenzen des Staates abweichendenfalls 
mit Zwang durchgesetzt. Dagegen gilt: Besondere Befindlichkeiten 
und Umgangsformen von Menschen, von Normen und Normalitäten 
abweichende Fälle sind menschenrechtlich nicht zu verurteilen. 
Sie dürfen menschenrechtlich begründet, nicht staatlich 
ersatzweise sanktioniert werden. Grenzen individueller (Willkür-)Freiheiten 
sind erst dort zu ziehen, wo das Menschenrecht schlechthin, 
besonders, das heißt eigensinnig, habituell eigenartig 
zu sein, von anderen verneint und verhindert wird. Rosa Luxemburgs 
großes Wort gilt durchgehend: "Freiheit ist immer 
auch die Freiheit der anders Denkenden." Hinzuzufügen 
ist: Freiheit ist immer auch die Freiheit der anderes Lebenden.. 
Auch wenn sich die Freiheiten von einzelnen Personen und Kollektiven 
negativ verheddern, Blockaden und Gewalt drohen, ist das Mittel 
des Zwangs (siehe weiter unten) menschenrechtlich nicht zu legitimieren. 
  
 
  
5.      
Würde, Autonomie, Gleichheit und Unveräußerlichkeit 
der Rechte 
Diese 
und andere Merkmale hebt die Konvention der UN „über die Rechte 
behinderter Menschen“ hervor. Solche normativen Richtgrößen 
sind wichtig. Allerdings kommt es bei allen Normen auf wenigstens 
drei Elemente an: Wie werden sie begründet. Welche ‚Kennungen‘ 
oder Kriterien zeichnen sie zuspitzend aus. Wie werden sie verwirklicht? 
Woran ist zu erkennen, ob und wie sie eingehalten werden? Wie 
werden sie, in den Normen selbst angelegt, mit Über- und Umsetzungenformen 
versehen? An den beiden ersten in der Überschrift konventionsgemäß 
hervorgehobenen Normen soll der nötige Differenzierungsprozeß 
knapp illustriert werden. 
  
a)      
Würde 
a1) 
Mit ihr hebt die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 
durch die UN vom 10. Dezember 1948 an. Sie ist ein Kernausdruck 
von Art.1 
Präambel: 
 
„Da 
die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie 
innenwohnende W ü r d e (gsperrt vom Verf.) und ihrer gleichen 
und unveräußerlichen Rechte die Grundlage der Freiheit, 
der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt bildet ….“ 
„Art. 
1 Alle Menschen sind frei und gleich an W ü r d e (gesperrt 
Verf.) und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen 
begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit 
begegnen.“ 
Publiziert 
wenig später lautet der erste Satz des Grundgesetzes der 
Bundesrepublik Deutschland nach der Präambel: 
„Art.1 
Die W ü r d edes 
Menschen (gesperrt Verf.) ist unantastbar. Sie zu achten und 
zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ 
Nicht 
zufällig steht Würde beide Male im Zentrum. Der vom deutschen 
Nationalsozialismus inszenierte II. Weltkrieg und das Grauen 
seiner „Endlösung“(en) überschattete und motivierte die Mitglieder 
der UN, die 1947/48 an der Formulierung der Menschenrechte in 
San Francisco beteiligt waren, ebenso wie die Mitglieder des 
Parlamentarischen Rats, die in Bonn das Grundgesetz und seinen 
ersten „unmittelbar geltenden“ Grund- und Menschenrechtsabschnitt 
(Art. 1 bis Art.19 GG) formulierten. Wo wäre die Würde des Menschen 
schlimmer und selbst nach sechzig Jahren unvorstellbarem Umfang 
„angetastet“, verletzt und zusammen mit den Menschen menschenverachtend 
vernichtet worden, als in den Arbeitslagern, den vielen Stufen 
der Konzentrationslager und schließlich den Vernichtungs-und 
Todeslagen bis hin zu den Todesmärschen tief in den April 1945 
hinein. Dazu kamen Aktionen des nationalsozialistischen Deutschlands 
in der sonst privilegierten „arischen“ Bevölkerung individuell 
und in der Masse kollektiv vernichtetes „unwertes Leben“; der 
Mord von Menschen mit Besonderheiten jenseits akzeptierter „Normalität“, 
nicht zuletzt sogenannt psychisch oder geistig Kranken. Von 
den soziale Räume und ihre Bevölkerungen übergreifenden rassistischen 
In- und Exklusionen, einer diskriminatorischen Totalität voll 
der „Selektionen“ insgesamt soll hier nicht eigens gehandelt 
werden. 
  
  
a2) 
Würde, Vernunft, Willensfreiheit, Sittlichkeit und 
viele verwandten Ausdrücke kompakter menschlicher Werte 
bilden eine fast goldene Normenkette, die nicht zufällig 
deutsch idealistisch von Kant, von Schiller, von Wilhelm von 
Humboldt und vielen anderen sprachwundersam geschmiedet worden 
ist. Ein Blick in einschlägige Wörterbücher (im 
Deutschen s. besonders „Würde“, in: Grimm Deutsches 
Wörterbuch, München 1986 Bd.30, Spalte 2060-2088 und 
Panajotis Kondylis; Würde, in: Geschichtliche Grundbegriffe, 
Studienausgabe, Stuttgart 2004, Bd. VII, S. 637-677) und wohl 
überlegte juristische Kommentare erhellt den wohlgefälligen, 
seltsam auratischen Leerformelcharakter dieses hochgradig unbestimmten 
(Nicht-)Rechtsbegriffs (vgl. beispielhaft nach wie vor trefflich 
Erhard Denninger; Staatsrecht 1, Reinbek bei Hamburg 1973, S.11 
ff. mit trefflichen Beispielen). Kondylis schließt seinen 
Beitrag mit folgender Feststellung:  
„Dennoch 
hat das allgemeine Bekenntnis zur Menschenwürde – Kondylis hat 
zuvor auf die grundgesetzliche Verankerung und die in der Allgemeinen 
Erklärung der Menschenrechte hingewiesen, d. Verf. – kaum praktische 
Verbindlichkeit erlangen können. … Infolge dieses vielfachen 
und widersprüchlichen philosophischen und politischen Sprachgebrauchs 
ist ‚Menschenwürde‘ zu einer Leerformel neben anderen geworden.“ 
 
In 
Auseinandersetzung mit der seinerzeitigen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts 
weist Denninger mit seither nicht vermindertem, sondern nach 
dem 11.9. insbesondere noch verstärkten Recht darauf hin, 
wie leicht emphatische, aber nicht zureichend ausgewiesene Wertformeln 
zu Leerformeln werden. Aufgrund ihrerseits pauschaler Gegen(wert)formeln 
können sie auf der gesetzgeberischen, der exekutiven und 
der richterlichen Waage als zu leicht befunden werden. E. Denningers 
Schlussfolgerung deckt sich mit der von historisch begründeten 
von Kondylis.  
„Die 
Institutionen des Grundgesetzes, von der Rechtsschutzgarantie 
des Art. 19 Abs. 4 bis zum Normenkontrollverfahren, sind durchweg 
von der Erfahrung und der Möglichkeit konzipiert, dass alle 
staatlichen Machtträger, auch der Gesetzgeber, der Gefahr des 
Irrtums, der ideologischen Pervertierung und des vorsätzlichen 
Machtmissbrauchs unterliegen. Der Rechtsstaat erweist sich als 
ein solcher im Unterschied zum Unrechtsstaat geradezu in der 
‚Annahme der prinzipiellen Möglichkeit des staatlichen Unrechts‘ 
(P. Schneider …). Gerade deshalb sollte aber der Gesetzgeber, 
mag man ihm auch ein begrenztes Recht auf Irrtum zugestehen, 
letztlich nicht an seinen Motiven und Absichten gemessen werden, 
sondern an den tatsächlich intersubjektiv feststellbaren Auswirkungen 
seiner Willensbekundungen. Kritik verdient auch die nicht näher 
ausgeführte ‚Begründung‘ des Gerichts – des BverG in seiner 
Abhörentscheidung 1970, d. Verf.-, der Bestandsschutz des Staates 
und der demokratischen Ordnung usf., kurz die Staatsräson rechtfertige 
den Ausschluss des Rechtsweges und verletze deshalb ‚jedenfalls‘ 
die Menschenwürde nicht. Ein unheimlicher Gedanke, dessen mögliche 
begrifflich nicht ausgeschlossene Übertragungen auf andere Situationen 
einen erschauern lassen. Hier wären doch gerade erst einmal 
die Bedingungen des ‚Menschenwürdigen‘ und die Belange der Staatssicherheit 
in sorgfältiger Einzeluntersuchung zueinander ins Verhältnis 
zu setzen gewesen. Handeln nach Staatsräson, auch und gerade nicht ‚willkürliches‘, 
sondern legales, ‚gesetzestreues’Handeln ist nicht nur kein 
unwiderlegliches Indiz für Übereinstimmung mit dem Menschenwürde-Satz, 
sondern angesichts moderner Zugriffs- und Verfügungsintensität 
des Leviathans eher ein Indiz für das Gegenteil. Warnend heben 
drei Mitglieder des Senats in ihrer ‚dissenting vote‘ (…) hervor, die Staatsräson 
sei kein unbedingt vorrangiger Wert. Die ’streitbare Demokratie‘, als deren Ausdruck man die Grundrechtsbeschränkung 
nach Art.10 Abs.2 S.2 verstehen kann, kehre sich gegen sich 
selbst, wenn der Gesetzgeber die ihm gezogenen Schranken verkenne.“ 
Danach folgert Denninger, wie schon angekündigt, eine Folgerung, 
die weiter differenziert und belegt wird: 
„Die 
hier kritisierte Entscheidung des Bundesverfasssungsgerichts 
zu Art. 10 Abs.2 S.2 GG zeigt in exemplarischer Weise zweierlei: 
1.        
‚Leitbilder‘ wie die Unantastbarkeit der 
Menschenwürde oder die zwar ‚gemeinschaftsverbundene‘, 
aber dennoch ‚frei‘, ‚eigenverantwortlich‘ und ‚autonom‘ ‚entfaltende 
Persönlichkeit‘, sind abgesehen von dem äußeren 
Grenzbereich brutaler physischer Vergewaltigung und Existenzvernichtung 
(Folter, Gaskammer), keine Leitbilder im Sinne zuverlässiger, 
eindeutiger Handlungsanleitung. ….“ 
  
  
a3) 
Nichts gegen eine goldene Normenkette. Die Über- und Umsetzung 
zählen indes. Es zählt die Antwort auf die Frage, ob sich Über- 
und Umsetzungsregeln über spezifische Situationen hinaus verallgemeinern 
lassen. In jedem Fall gilt es die heute erkenntnistheoretisch 
nicht mehr haltbare naturrechtliche Begründung im Sinne des 
historisch-materiellen Kontextes stärker zu vertäuen. Die naturrechtliche 
Begründung bis hin zur UN-Erklärung von 1948, aber auch zur 
Disability Convention von 2007 neigt dazu, die Gegebenheit dessen, 
was immer erneut erreicht, ja erkämpft werden muss, qua Naturgegebenheit 
vorauszusetzen. Würde ist angeboren. Wäre es doch unverlierbar 
so! Was sagten die vielem Hungers sterbenden oder ob der sozialen 
Bedingungen verelendeten Kinder! Die naturrechtliche Begründung 
verstärkt außerdem die Neigung, ein materiell zu fundierendes 
Menschenrecht, das darum Streit verursacht, zu vergeistigen 
und zu allererst zu einer Sache des „kostenlosen“ Bewusstseins 
zu machen. Das Bewusstsein der eigenen Würde. Dieser Gefahr 
droht beispielsweise Heiner Bielefeldt zu erliegen. (Vgl. ders.: 
Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenkonvention, Essay 
No.6, Dez. 2006, hrsg. von Deutsches Institut für Menschenrechte, 
Berlin). Die allgemeine Wegerichtung weist stattdessen Friedrich 
Schillers Abhandlung „Über das Erhabene“. Ernst Bloch erkennt 
darin einen „Perspektivplan“ und zitiert Schiller wie folgt. 
Der Plan könne trotz „alter Sprache“ „von sich hören lassen.“ 
 
„Der 
Wille ist der Geschlechtscharakter des Menschen, und die Vernunft 
selbst ist nur die ewige Regel desselben. Eben deswegen ist 
des Menschen nichts so unwürdig, als Gewalt zu erleiden, denn 
Gewalt hebt ihn auf. Was sie uns antut, macht uns nichts Geringeres 
als die Menschheit streitig; wer sie feigerweise erleidet, wirft 
seine Menschheit hinweg“ (s. Ernst Bloch: Naturrecht und menschliche 
Würde, Frankfurt/M. 1961, S.14; s. Schiller: Vom Erhabenen, 
in: ders.: Sämtliche Werke, Fünfter Band, hrsg. Gerhard Fricke 
und Herbert G. Göpfert, München 1980 6. Aufl., S.489-512; siehe 
auch ebda: Über Anmut und Würde, S.433-488). 
  
  
 
  
b)     
  
Autonomie 
b1) 
Dieser Begriff ist sehr viel klarer als der der „Würde“. Oder 
anders gesagt, erst durch ihn und seine Praktizierbarkeit erhält 
„Würde“ Füsse und Hände. Auch dieser Begriff bleibt indes in 
mehrfacher Hinsicht vage. Er wird nicht nur von der Disability 
Convention, sondern dort, wo er gebraucht wird, erneut von Heiner 
Bielefeldt, wie selbstvertständlich vorausgesetzt. Im Deutsch-Griechischen 
Wörterbuch von Friedrich Berger (Göttingen 1868) kommt er im 
Sinne einer signifikanten Lücke nicht vor. Im fast gleichzeitigen 
Griechisch-deutschen Wörterbuch von Karl Jakobitz und Ernst 
Eduard Seiler (Leipzig 1862) sind immerhin mehrere Eintragungen 
zu finden:  
autonomeomai, 
ein autonomos sein, meint „nach eigenen Gesetzen leben, sich 
selbst regieren.“ Autonomos ist entsprechend ein Mensch, der 
nach eigenen Gesetzen lebt, kurz „unabhängig“ ist. Folgerichtig 
bedeutet Autonomia „politische Unabhängigkeit“. 
Ich 
versage mir die Realenzyklopädie des Klassischen Altertums (RE) 
in ihrer alten, aus dem 19. Jahrhundert stammenden Auflage anzuführen, 
ebenso ihre vollständige Neubearbeitung, die erst in diesen 
Jahren abgeschlossen worden ist. Auch wenn einem die angebenen 
Bedeutungen gefallen, bleiben sie kontextlos abstrakt. Werden 
sie gar erneut naturrechtlich vor die Klammer aller soziopolischen 
Bestimmungen gestellt, als seien sie selbstverständliche Mitbringsel 
jeder Geburt, dann arbeiten sie der wohlgefälligen, juristisch 
strafrechtlich folgenreichen Täuschung zu, als seien Menschen 
‚an und für sich‘ autonom. Wie immer sie sozialisiert, sprich 
vergesellschaftet, in welchen Situationen sie sich befinden 
mögen. Gäbe man das Ziel jeder menschlichen Entwicklung an, 
sich selbst bestimmen zu können, dann ließe sich daraus eine 
immer noch zu abgehobene, aber harsche Kritik aller sozialen 
Heteronomien herleiten, denen Menschen unterworfen sind. Insoweit 
steckt, richtig verwandt, im Begriff der Autonomie eine kritische 
Hebelkraft. 
  
b2) 
Wie dies in allen neueren Menschenrechtsverständnissen der Fall 
ist, den Grundrechten, der UN-Menschenrechtserklärung und ihrem 
späten Mitbringsel der Disability Convention, die individuellen 
Menschenrechte werden immer zugleich als soziale verstanden. 
Sprich: nicht die Robinsonade wird als Transparent benutzt, 
um Menschenrechte und ihre nötigen Bedingungen herauszuarbeiten. 
Das Individuum in „seiner Rolle als Mitmensch“, sprich inmitten 
sozialer Gegebenheiten und Umgangsmuster wird normativ und praktisch 
als das Bezugssubjekt erkannt. Das Individuelle ist immer zugleich 
ein besonders gewordener sozialer ‚Verflechtungszusammenhang‘. 
Das aber bedeutet: Selbstbestimmung ist primär als Mitbestimmung 
im weiten Sinne des Worts zu deklinieren. Die weitere Folge 
dieser sozialen Verknüpfung besteht darin, alle am Werden, Bewusstsein, 
Sein und Handeln des Menschen irgend beteiligten Institutionen 
darauf hin zu durchforsten, ob, auf welche Weise, mit welchen 
Vorkehrungen und inwieweit sie dazu einladen, in jedem Fall 
gewährleisten, dass die Menschen, die mit, durch und von ihnen 
leben, aktive Teilnehmende des Geschehens sind. In dieser Hinsicht 
ist nicht allein das Grundrecht sehr verkürzt und unzureichend 
normiert worden. Die Bürgerinnen und Bürger werden nicht einmal 
im Hinblick auf ihre eigenen Grundrechte als personale und kollektive 
pouvoir active gefasst. Das geschieht gerade in den zentralen 
Grundrechten nicht. Was wäre bzw. ist jedoch „Würde“ eine angeblich 
„unantastbare“ personale Gegebenheit „der Menschennatur“, wenn 
die einzelnen Menschen nicht dabei mitwirken können, wie ihre 
„Würde“ soziales Ereignis wird, wie die ihr genehmen Umstände 
eingehalten werden oder nicht? Ist „Würde“ eine Art passive 
Auszeichnung des „Menschenstandes“ in all seinen Individuen, 
wie immer mit ihnen verfahren wird? Ist es denn möglich, dass 
die Bundesrepublik Deutschland und ihr grundrechtlich fundierter 
Verfassungsstaat rundum behaupten können, die Ecksteinnorm: 
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ gälte verfassungswirklichrundum, 
ohne dass alle Menschen je einzeln – nicht nur qua pauschaler 
Vierjahreswahl als Scheinsubjekt „Volk“ gebündelt -, dort wo 
sie leben, arbeiten, sich aufhalten oder aufhalten gemacht werden, 
also psychiatrischen Anstalten, Justizvollzugsanstalten, Lagern 
u.ä.m. darüber wenigstens mitbefinden, was dortselbst mit ihrer 
„unantastbaren“ „Würde“ geschieht?  
Wie 
steht es mit dem Grundrecht, das in Art.2 GG an zweiter Stelle 
steht? Hier handelt es sich um das Grundrecht auf physischr, 
seelische und geistige Integrität, deutsch mit dem schönen 
Ausdruck der Unversehrtheit bezeichnet. Wie kann auch die beste 
Institution, wie können deren herausragendste Vertreterinnen 
und Vertreter ohne primäre Dauermitbestimmung des je besonderen 
Individuums darüber zu befinden, ob deren oder dessen Integrität 
bewahrt, verletzt, aufgehoben oder wieder hergestellt wird? 
Ein Check-up der medizinischen „check-up“-Institutionen sorgfältig 
und genau wäre beispielsweise der erste Schritt auf dem 
dringend erforderlichen Weg zur Emanzipation der Patienten zu 
Bürgerinnen und Bürgern, denen ihre Gesundheit wahrhaft 
am Herzen liegt. 
Die 
Lücke zureichender Selbst- und Mitbestimmung hebt im Grundgesetz 
nicht erst im kraft- und saftlosen Art.20 Abs. 2 GG an. In dessem 
ersten Satz wird pauschal behauptet: „Alle Gewalt geht vom Volke 
aus.“ Das findet statt, was heute modisch und englisch „Empowernment“ 
genannt wird (darum muss diese Bezeichnung noch weniger ausgepackt 
werden, welche einzelne und Bevölkerung insgesamt ermächtigende 
Mittel sie hier und heute anwendbar enthalte). Im darauf folgenden 
Satz wird dieses legitimatorisch brennende Reisigbündel „Volk“, 
richtiger und plural die Bevölkerung, gerade machtgekrönt entmächtigt 
ermächtigt. Sie wird rundum vermittelt aller Macht enteignet. 
„Sie- „alle Gewalt“ nämlich, d. Verf. -wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und 
durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt 
und der Rechtsprechtung ausgeübt.“ Von der schon grundrechtlich 
verfehlten Einheit „Volk“, weil die Individuen in ihm untergehen, 
ist darum konsequent bis zum letzten Artikel der Verfassung 
nicht mehr die Rede. Es ist nirgendwo erkenntlich, dass vom 
Grundgesetzgeber oder später darauf geachtet worden wäre, alles 
zu tun, um die Selbst- als Mitbestimmung durch jede Bürgerin 
und jeden Bürger so ex- und intensiv zu gestalten wie dies menschen- 
und in menschlich gemachten Institutionen und Prozeduren möglich 
wäre. 
Die 
durchgehende Lücke des Grundgesetzes gilt, nimmt man die entsprechenden 
Änderungen vor (mutatis mutandis) gleichfalls für die Allgemeine 
Erklärung der Menschenrechte und deren jüngsten Spross: die 
Disability Convention. 
  
  
b3) 
Wer von Autonomie spricht und sei es sozial konsequent vor allem 
in der Form der Mitbestimmung und von den sozialen Bedingungen 
der Selbst- und Mitbestimmung schweigt, kann sein eigenes Darüberreden 
nicht ernst meinen. Erneut leitet die offen oder verdeckte naturrechtliche 
Begründung in die Irre, so sympathisch diese von der Bewegung 
gegen die Sklaverei, dem deutschen Bauernkrieg bis zur freilich 
inkonsequenten Virginia Bill of Rights erscheinen mag. „Als 
Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann“ – lautet 
die gültige, dauernd neu zu übersetzende Parole des Bauernkriegs 
1524/5. Als sei Autonomie menschengeboren. Als bedürfte sie 
nicht dauernd neu zu überprüfender Bedingungen. Als fiele sie 
jedem Individuum „natürlich“ in den Schoß und müsse nicht im 
Schweiß treibender Anstrengung fort und fort erworben werden. 
Das gälte der physischen Geh- und Lauffähigkeit vergleichbar. 
Diese muss täglich praktiziert werden, soll nicht rasche Atrophie 
mit mittelfristig tödlichen Folgen eintreten. Die Disability 
Convention zeichnet sich dadurch aus, dass sie angefangen von 
der „Bewusstseinsbildung“ (Art.8), über die Beseitigung von 
Barrieren (Art.9) bis zu den Zugangsbedingungen und Sicherungen 
(vgl. die folgenden Artikel) eine Fülle von Hinweisen und Postulaten 
enthält. Sie gelten den Voraussetzungen dafür, dass Menschen, 
die in ihrem Bewegungsraum in irgendeiner Weise jenseits der 
Mehrheiten eingeschränkt sind oder anders sich verhalten, beispielsweise 
in der Zeichensprache kommunizieren, instandgesetzt werden, 
selbstbewusst, selbst- und mitbestimmend aufzutreten. Auch diese, 
alle seitherigen Regelungen übertreffenden differenzierten Bestimmungen 
setzen jedoch, einer internationalen Convention gemäß, auf den 
gegebenen gesellschaftlichen Institutionen und Bedingungen an. 
Diese sollen ergänzt und geändert werden. Die Akzeptanz gegebener 
Strukturen wird beispielsweise in Art. 28 c) offenkundig, wo 
„in Armut lebende behinderte Menschen“ wie eine Naturtatsache 
hingenommen wird. Allein darauf scheint es anzukommen, „ihnen 
und ihrer Familie den Zugang zu staatlicher Hilfe bei bedingungenbedingten 
Aufwendungen…“ zu verschaffen. Hierbei soll nicht davon gesprochen 
werden, dass die Convention an anderen Stellen, Hannah Arendts 
Wort aus „Ursprünge und Elemente totaler Herrschaft“ aufgreift, 
angesichts des im wörtlichen Sinne bodenlosen Schicksals der 
Displaced Persons (heute werden sie in Deutschland „Illegale“ 
genannt) gehe es darum, allen Menschen das Recht zu verschaffen, 
Rechte zu haben. An erster Stelle: ungefährdet an einem Ort 
der eigenen Wahl zu leben. Die Akzeptanz gegebener Strukturen, 
an der alle Autonomie- und Würderechte abprallen wird auch im 
Art.29 kund, in dem die „Teilnahme am politischen und öffentlichen 
Leben“ unter selbstverständlichem Ausschluss der Ökonomie sich 
vor allem auf Teilnahmechancen an allgemeinen Wahlen beschränkt. 
  
  
 
  
6.      
Menschenrechte und Zwang – ein „und“, das 
durch ein „oder“ zu ersetzen ist 
Das 
ist ein Riesenthema. Es wird nur in einigen Aspekten, die am 
ehersten mit der Disability Convention zusammenhängen aufgegriffen. 
Im anschließenden Abschnitt zum Thema „Menschenrechte und Staat“ 
wird es fortzusetzen sein. Nicht im geringsten wird der ohnehin 
hybride Anspruch erhoben, es wenigstens systematisch ausreichend 
zu behandeln. 
  
a) 
Zwang. Der Zwangsschatten begleitet die Geschichte der Menschen 
von allem uns überlieferten Anfang an. Mit einer Fülle von Schattierungen. 
Wie menschengemachter oder von Menschen verursachter Zwang zwischen 
einzelnen Menschen, dem Bruder und/oder Anderen gegenüber zwischen 
menschlichen Gruppen als tödliche Konflikte (Kriege) Schatten 
und Licht menschlichen Verhaltens schaffen, Moral und Unmoral, 
Prophetie und Scheitern in nahezu allen Lebensäußerungen, lässt 
sich am Alten Testament (in welcher Übersetzung immer), einem 
unübertrefflichen document humaine, historisch einsehen. In 
diesem Zusammenhang könnte man die sich zeitlich überschneidenden 
Homerischen Ilias/Odysee, die griechischen Tragödien und andere 
frühe Dokumente quer über die bewohnte Erde kumulativ ergänzend 
hinzunehmen.  
In 
einem ersten Zugang mögen wieder Wörterbücher 
anregen. Mehr können Wörter und ihre Gebrauchsgeschichte 
nie tun. Im 32. Band von Grimms Deutsches Wörterbuch (Sp.932-946) 
wird zunächst auf die „Grundanschauung“ verwiesen, 
die auf das Verbum „zwingen“ zurückgeht: ‚mit 
der Faust zusammenpressen‘. 
Rasch 
wird die heutige Bedeutung kund: „Als Verbalabstrakt zu zwingen 
enthält Zwang auf der einen Seite Nötigung, gegen die man sich 
nicht wehren kann, und auf der andere die Einwirkung einer von 
außen kommenden Gewalt, mag sie nun mehr oder minder handgreiflich 
oder moralisch und geistig sein.“ Noch zugespitzter: „Zwang 
hat sich in neuerer Zeit mehr auf die unwillig ertragene Vergewaltigung 
des Willens, der sittlichen und gestigen Unabhängigkeit gewandt: 
Gewalt geschieht durch Zwingen oder Überreden.“ Zwang wird geradezu 
erziehlich ausgelegt. Verbunden mit dem äußeren Zwang erscheint 
er als Selbstzwang. „Zwang der Erziehung: ihren Leib in Zwang 
und Zucht zu halten“ (Luther). Wo kein Zwang ist, da ist keine 
Ehre. Der Zwang, den man sich selbst auferlegt, ist das Ergebnis 
der Erziehung.“ (Zitatausschnitte; ihre Schreibweise ‚zwangs‘-korrigiert, 
d. Verf.). 
Die 
Fülle der Bedeutungen der sozialwissenschaftlich, historisch 
und juristisch selten im Kontext beschriebenen und analysierten 
historisch-systematischen Erscheinungen von Zwang (nicht zu 
verwechseln mit einem Teil derselben: „den Zwangserscheinungen“) 
sind am besten nicht dichotomisch, sprich: Zwang oder nicht, 
sondern skalar mit Extrempunkten zu fassen. In Sachen Zwang 
muss man infolge seiner Vielgestaltigkeit und nicht zuletzt 
der euphemistischen Rumpelstilzchentricks, die Zwang wortpudern, 
mehrere Skalen verwenden. Sie sind immer wechselweise anzuwenden. 
Die erste Skala reicht vom einen Extrempunkt, dem „unmittelbaren 
Zwang“, ausgeübt mit ihrerseits unmittelbar wirksamer 
physischer Gewalt, über diverse Mitterwerte zum „Staat 
als einem Zwangsverbund“ (Max Weber) und dem, was man „Sachzwang“ 
nennt. Bis allmählich Zwang sublimer wird, abnimmt und 
manchlich nie in vollkommen gelungener Freiheit und Unabhängigkeit 
verschwindet, genauer: positiv durch das Beste der Menschen 
ersetzt wird. Sachzwang, ein nicht unmittelbarer spürbarer, 
aber menschliches Verhalten stark prägender Zwang kann 
durch „Sachen“ selbst ausgeübt werden: von Maschinenaggregaten 
und ihrer Funktionsweise in der Fabrik bis zu technologischen 
Apparaturen heute. Sie definieren „zwangsweise“ das 
Verhalten der mit ihnen Beschäftigten oder der ihnen Unterworfenen 
bis ins letzte Detail. „Sachzwang“ entsteht beispielsweise 
im Kontext aktueller Globalisierung durch riesige, von niemandem 
steuerbare globale Machtaggregate, Global Players. Weltmarkt, 
Internationale Börsen u.v.m. Die zweite Skala eichte auch 
der Linie vom brutalen äußeren Zwang gewalttätiger 
Mittel bis zur verhaltensförmigen Verinnerlichung von Zwang, 
dem Selbstzwang. Von ihm handelt Norbert Elias im „Prozess 
der Zivilisation“. Der „Selbstzwang“ oder die 
innere Disziplinierung der Individuen korrespondiert dem Zwang, 
den das staatliche Gewaltmonopol im Prozess seiner Etablierung 
und dann als etabliertes ausübt. Max Webers „Gehäuse 
der Hörigkeit“ gehört zu solchen Zwangskonstellationen. 
Seiner Untersuchung von 1904 „Die Protestantische Ethik 
und der Geist des Kapitalismus“ gemäß expandiert 
es aus seinen europäisch-angelsächsischen Anfängen 
global im Sinne einer verselbstständigten, Leistungs- und 
Mehrleistungs-, Profit- und Mehrprofitstreben, Wachstums- und 
Mehrwachstumsdynamik zum konkurrierenden Handlungs- und Verhaltenskorsett 
der modernen Menschen und ihrer „ungeselligen Geselligkeiten“ 
(Kant). Zwang ist immer im Zusammenhang mit Gewalt zu erörtern 
. Wie Gewalt ist Zwang. Max Webers bekannter Formulierung gemäß, 
„soziologisch amorph“. Darum sind die Mittel, mit 
denen Zwang ausgeübt wird und sind die Umstände, in 
denen dies geschieht, in ihrem Dauerzusammenhang von Außen 
und Innen immer erneut zu testen. Es gibt keinen Abschluss, 
keinen fertigen Zustand. Selbst die Konzentrationlager der Nationalsozialisten 
verschärften sich Stufe um Stufe. Sie sind durchgehend 
durch Zwang konstituiert. Bis zur humanen Entropie: den Todeslagern. 
Die Schwierigkeiten Zwangsverhältnisse zu erkennen, zum 
Beispiel Zwangsvorgänge in Marktvergesellschaftungen, gar 
wenn die Ungleichheit, in der gegenwärtigen Sprache ausgedrückt, 
von „Arbeitgebern“ und „Arbeitnehmern“ als 
unbefragte Prämisse „naturhaft“ vorausgesetzt 
wird, die Schwierigkeiten solcher Erkenntnis haben mit der Verinnerlichung 
sozialer Verhältnisse zu tun. Darum sind unter verschiedener 
Perspektive immer die Genesis von Einrichtungen, beispielsweise 
der angestrenten Versorgung als psychisch Kranker erkannter 
Personen und deren Geltung (Funktionen) zusammenzubehandeln 
mitsamt allen Einrichtungs- und Behandlungsdetails. Die untersuchenden 
Subjekte müssten sich, wissenschaftlich betrachtet, ihrerseits 
einem (Eigentest) ihres „objektiven“ Gewordenseins 
aussetzen. 
  
b) 
Zwang contra Menschenrechte (b1); Zwang als Hilfsorgan der Menschenrechte 
(b2); Menschenrechte radikal ohne Zwang (b3) 
  
b1) 
Zwang kontra Menschenrechte – ein wechselseitig exklusives 
Verhältnis. Fast zu einfach versteht es sich wie von selbst, 
dass Zwang in all seinen Deklinkationsformen oder verbal, als 
zwingen in all seinen Konjugationsvarianten und Menschenrechte, 
an Freiheit zuerst festgemacht, einander konträr gegenüberstehen. 
Sie schließen einander rundum, also total aus. Menschenrechte, 
wie immer man sie im einzelnen fasse, auch wenn man nicht der 
institutionell-materialistischen Fassung des Komitees für Grundrechte 
und Demokratie folgt – der Normen-Formen-Gleichung und vice 
versa – , kreisen um die Freiheit, Integrität und Selbst-/Mitbestimmung 
aller Menschen. Darum ist Gleichheit in der Vielfalt der Inidviduen 
und ihrer Besonderheiten die selbstverständliche Grundlage. 
Sie ist die conditio sine qua non von Freiheit, Integrität und 
Selbstbestimmung. Diese Triade ist ihrerseits verbindlich miteinander 
verfugt.. Der Widerspruch gegen alle Variationen groben oder 
sublimen Zwangs, fremd- oder selbstgerichtet, kann schon hergeleitet 
werden, wenn man die Menschenrechte aus ihren allemal phyisch-sozialräumlich 
und sozialzeitlich zu verstehenden Entstehungsbedingungen entwickelt. 
Menschenrechte sind eben nicht wie ihre „Allgemeine Erklärung“ 
auf schon fertige soziale Verhältnisse zu setzen. Wenn dies 
wie im 18. Jahrhundert geschieht und bis zum heutigen Tage, 
also bis zur Disability Convention immer erneut in wachsenden 
Erklärungen wiederholt wird, sind die Entstehungs- und Anwendungsbedingungen 
samt den nötigen Begründungen jeweils nachzuholen. Sonst verstärkt 
sich die allen Norman anhaftende Gefahr leer und leerer werdender 
Abstraktion. Das darf gerade bei Menschenrechten nicht geschehen. 
Dass abstrahierend von Besonderheiten abgesehen wird (vgl. die 
Wortbedeutung von abstrahere = von Besonderheiten absehen, Dinge 
und Menschen ihrer Besonderheiten berauben). Menschenrechte 
leben, wie eingangs festgestellt, von der Universalität von 
Menschen in ihrer Besonderheit. Damit ist das zentrale Element 
der Gleichheit gesetzt. Die zweitweise in allen Kontinenten 
beobachbaren bruta facta der Sklaverei, die Geschichten kollektiver 
Konflikte, Kriege von uns erkenntlichem Anfang an, die Herrschafts- 
und Leidensgeschichten der Menschen mit ihren verdichteten Erfahrungen 
geben überreiche und zugleich überraschend einhellige Auskunft 
(vgl. nur für erste Hinweise: Orlando Patterson: Slavery and 
Social Death, 1982; Shawn: Achilles in Vietnam; als jüngste 
Bestätigung: Michael Massing: Iraq: The Hidden Human Costs, 
in: The New York Review of Books, Vol.LIV, No.20, Dec.20, 2007, 
pp.82-90; Christopher Hill: The World Turned Upside Down, Jahrbuch 
Komitee für Grundrechte und Demokratie 1984 ff. Für noch tieferes 
Eindringen, der härtesten Probe jeder Begründung der Menschenrechte, 
siehe die KZ- und Gulag-Berichte aus der Mitte des 20. Jahrhunderts 
an erster Stelle. cf. Primo Levi: Ist das ein Mensch? Die Atempause, 
München, Wien 1988; ders.: Die Untergegangenen und die Geretteten, 
München, Wien 1990; Wassily Grossman: A Writer at War. Vasily Grossan with the Red Army, 
eds. Anthony Beevor and Luba Vinogradova, London 2005; darin 
auch „Treblinka July 1944, S.280-398; Alexander Solschenitzyn: 
Der Archipel Gulag, Reinbeck bei Hamburg 1978)  
Emanzipation: 
Menschen streben aus dem Herrschaftsgriff. Wie anders sollte 
anders das möglich sein, das Ernst Bloch in einem wunderbaren 
Bild ausgedrückt hat, jedem Kind eigen, selbst wenn es wörtlich 
dazu nie eine körperliche Chance erhalten sollte: die Ekstase 
des aufrechten Gangs. 
Freiheit 
hebt mit Freizügigkeit an, mit der Chance, sich von einem Ort, 
einer Gesellschaft, einem Land, das einem keine zureichenden 
Chancen der Mitbestimmung erlaubt, wegzugehen, eine „new frontier“ 
zu suchen (vgl. Albert O. Hirschman: Exit, Voice and Loyality, 
1970). 
Integrität 
hebt damit an, dass der Körper eigen wird (habeas corpus). Sie 
kann nur bestehen, wenn Gewaltzugriffe ausgeschlossen werden. 
Integrität als soziale Gegebenheit ist nur möglich, wenn Menschen 
einen Raum ihr eigen nennen (my home is my castle). Im Englischen 
steht dafür die Kategorien der Privatheit. In der US-Verfassung 
zuerst das First Amendment. 
Dass 
Selbstbestimmung sich mit Zwang zu Tode beißt, ergibt sich schon 
aus dem Wort selber. Zwang ist die perfekte Heteronomie: die 
Fremd- und Außensteuerung, die ganz nur mit unmittelbarem und 
konstelletivem Zwang, beispielsweise „Totaler Institutionen“, 
wie den Konzentrationslagern erreicht werden kann. Nicht von 
ungefähr wird menschliches Streben gegen Heteronomie zu den 
Vorkehrungen archaischer Gesellschaften, denen Pierre Clastre 
den Namen „Staatsfeinde“ gegeben hat. Es ist das Grundmotiv 
aller Demokratie. Wenn schon, so die Überlegung, Herrschaft 
im sozialen Zusammenhang nicht gänzlich ausgeschlossen werden 
könne, müsse sie in Form der Selbstherrschaft individuell und 
kollektiv ausgeübt werden. 
Kurzum, 
ein Argument mit menschheitsgeschichtlichem Einzugsbereich und 
einer Fülle von Erfahrungen, Menschenrechte und Zwang siedeln 
in unterschiedlichen sozialen Welten. Sie sind mit einander 
kategorisch nicht zu vereinbaren. 
  
b2) 
Zwang als Hilfsorgan der Menschenrechte 
Was 
aber, wenn Menschen anderen Menschen Gewalt antun? Was, mehr 
noch, wenn sie immer erneut, anderen Menschen ihren Willen aufzwingen, 
sie verletzten, sie mit dem Tod bedrohen, töten, sie morden? 
Dann ist Gegenzwang erforderlich. Dann ist er menschenrechtslegitim. 
Er ist menschennotwendig. Er ist Resultat freier Menschen, die 
anderer Würde, Selbstbestimmung, Integrität und Leben 
schützen können. Er wird eingesetzt, um Menschen, 
denen Gewalt droht oder geschieht, zu helfen. Er wird eingesetzt, 
um Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, der Notwehr als ihrer Grenzerscheinung. 
Im Sinne des kollektiv gerechtfertigten Zwangs gegen – verbrecherische 
– Zwangstäter, gegen Terroristen. 
  
b3) 
Der kategorische Imperativ der Menschenrechte lautet: Zwang 
ist nie und nimmer als Mittel gerechtfertigt 
Die 
Schattulle angeblicher Erfahrungen bordet über. Jede und jeder 
könnte eine solche gefüllt öffnen, um Zwangserscheinungen anschaulich 
vorzuführen. Solche konnten oder könnten nur durch Gegenzwang 
gestoppt oder vorausgreifend abgewehrt werden. Hierbei wird 
jedoch in aller Regel Dreierlei versäumt.  
Zum 
einen: es wird versäumt, nicht allein kurzfristig zu untersuchen, 
wie es zu Zwangsgewalthandlungen gekommen ist. Das aber gibt 
den Ausschlag. Die Unmittelbarkeit von Gewaltäußerungen darf 
nicht dazu verführen, sie unvermittelt zu betrachten, schlimmer 
noch: unvermittelt auf sie zu reagieren. Aggressionen, die zu 
tödlicher Gewalt werden, werden meist langfristig aufgebaut. 
Wie ein großer Eimer, in den Wasser tropft. Erst, wenn der Film 
über dem nach und nach gefüllten Wassereimer bricht, explodiert 
Gewalt. Der Gewalttropfen, der bricht, kann ungleich kleiner 
sein, als laut in den sich füllenden Eimer fallende Tropfen. 
Ohne diese aber ist der gewalthafte Überfluss am Ende nicht 
zu erklären. Erst vor allem in Zukunft in verwandten Eimer- 
und Tropfenfällen nicht zu verhindern. Die Frage nach den Entstehungsgeflechten, 
aus denen Gewalt/Zwang heraus entstanden ist, scheint kurzfristig 
allerdings angesichts von Erscheinungen unmittelbaren Zwangs 
ahnungslos oder indolent. Als könne man langweilen und warten, 
wenn Menschen verletzt werden, umkommen, um geruhsam penibel 
zu recherchieren. Dann ist je nach Umständen immer schon die 
nächste Gewalttat passiert. Die unmittelbare Reaktion auf Gewalt 
im Sinne aktueller Hilfe und Verhinderung weiterer Schlimmerungen 
beschränkt sich legitimerweise jedoch meist auf wenige wahrhaft 
Betroffene. Meist ist es vielmehr der Fluch einer „bösen Tat“ 
(F. Schiller), dass sie ohne Not andauernd „Böses“ „muss gebären“: 
sprich neue Gewalt, legitimiert als Gegengewalt, als vorausgreifend 
angeblich wiederholende Zwangsgewalt verhindernde Gewalt. 
Zum 
anderen: Unterstellt Gewaltzwang wird eingesetzt, weil ein solcher 
illegitim ausgeübt worden ist oder angedroht wird. Dann wird 
damit verhindert, dass andere Umgangsformen mit der vorausgesetzten 
Aggression gewählt werden können. Das ist jedoch wenigstens 
in all den Fällen der Fall, in denen sich nicht unmittelbare 
interpersonale Gewalt 
erreignet. Vor allem wird durch die Unmittelbarkeit der Reaktion 
versäumt, die Hintergründe eines Gewaltzwangsakts ausfindig 
zu machen, um die eventuell zu beheben. Schlimmer noch: Durch 
die meist unnötige unmittelbare Unterdrückung von Gewaltzwangserscheinungen 
wird mit den potentiellen und aktuellen Tätern und ihrem Umkreis, 
angeblich um der Menschenrechte willen menschenrechtsverletzend 
verfahren. So wird neuerdings auch von staatlichen Institutionen 
und ihren Vertretern argumentiert. Es sei nicht möglich und 
nötig, sich Menschen und Menschengruppen gegenüber menschenrechtsgemäß 
zu verhalten, die ihrerseits die Menschenrechte anderer nicht 
achteten (vgl. Susanne Krasmann: Der Feind an den Grenzen des 
Rechtsstaats, in: Brigitte Kerchner/Silke Schneider (Hrsg.): 
Foucault. Diskursanalyse der Politik, 2006, S. 233-250). Indem 
so argumentiert und verfahren wird, werden Menschenrechte (und 
damit die Menschen, denen sie gelten) zur beliebigen Dispositionsmasse 
des jeweiligen menschenrechtlichen Interessenverständnisses. 
Die Menschenrechte verlieren ihre Bedeutung als konstitutive 
Prinzipien menschlichen Handelns. Sie werden zum jederzeit und 
zu jedem Zweck zuhandenen Kampfmittel. Kurz: Menschenrechte 
werden ihrerseits zum Gewaltmittel. Dessen normativer Zuckerguss 
kann den Missbrauch nicht versüßen. 
Zum 
dritten: Unvermittelte, nicht selten vorurteils- und angstbedingte 
Reaktionen verhindern nicht nur andere Formen des Umgangs mit 
Gewalttaten und Gewalttätern. Die eben nicht die nächsten Quellgründe 
neuer Gewaltausbrüche legen. Vielmehr werden Zwangssituationen 
aus inszenierter und/oder augenmaßloser Panik projeziert. Solche 
Fälle ereignen sich vor allem dort, wo bestimmte gesellschaftliche 
und persönliche Normalitäten vorgesetztlich, gesetzlich und 
nachgesetzlich in entsprechend geschulten Vorstellungen und 
Verhaltensweisen nahezu exklusiv dominieren. Es herrscht sozusagen 
nur eine Verhaltensmode. Dann erscheinen a-normale Verhaltensweisen 
rasch als verrückt. Ver- rückte, also aus der Normalität gerückte, 
rasch als gefährlich. Das, aber, was als gefährlich erscheint, 
eignet sich zu Projektionen von Gewalt, wie immer diese ansonsten 
motiviert sein mögen. Zusammenhänge wie den aktuell allgemein 
geschilderten, kann man im Zusammenhang von Andersartigkeiten, 
Behinderungen auch, insbesonderer psychischer Art immer erneut 
beobachten. Bis in die Gegenwart reichen darum Handlungen, wurden 
entsprechend Institutionen aufgebaut und auf Rechtsfüsse gestellt, 
die solchen von gängigen Normalmaßen abweichenden Menschen oder 
solchen, denen man helfen muss, dass sie sich zurechtfinden, 
mit mehrfachem Zwang begegnen. Sie werden zum einen zwangsweise 
in bestimmte „Asyle“ transportiert. Sie werden zum anderen in 
diesen zwangsweise gehaltenen, also verschlossenen Sonderhäusern 
nach den jeweils geltenden Standards der Psychiatrie oder anderer 
Zugriffs- und Hilfsformen zu bestimmten Formen der Behandlung 
gezwungen. Menschenrechtlich ist dieser Doppelzwang, sind die 
Zwangsverwahrung und die zwangsweise in die Körper der Menschen 
eingreifende Behandlung nicht zu rechtfertigen. Er ist, und 
sei er noch so hilfeüberströmend motiviert, menschenrechtswidrig. 
Allgemein gilt, weit über sogenannt psychiatrische Anstalten 
hinaus: Zwangsunterbringung, die dort anhebt, wo Menschen keine 
Chance haben, sich anderswohin zu begeben und Zwangsbehandlung, 
die Menschen, zu der Menschen genötigt werden, stehen außer 
einem menschenrechtlich tolerierbaren Raum. Schon ein Element 
des Doppelzwangs befindet sich ausserhalb dieses Raums. Es gilt 
für Menschen, die Bleibe und Brot suchen, aber in Lagern festgehalten 
werden, 
  
  
  
7.      
Menschenrechte und Staat 
  
Das 
Gutachten bezieht seine menschenrechtliche Reflexion auf die 
Disability Convention der UN. Um diesem Ziel zu genügen, das 
Gutachten aber nicht ausufern zu lassen, wird historisch-gegenwärtig 
wie systematisch darauf verzichtet, den staatlichen wie den 
globalen ökonomischen Kontext zu berücksichigen. Diese Lücke 
ist gravierend. Gerade dieser Kontext und seine dynamischen 
Faktoren wirken sich auf menschliche Behinderungen und auf den 
Umgang mit ihnen. Sie bestimmen die Art und Weise, in welchem 
Umfang und mit welchen Mitteln, die Staaten, die die Disability 
Convention unterzeichnen werden, ihre Vorgaben und Anregungen 
mehr als primär symbolisch euphemistisch befolgen. Darum muss 
an dieser Stelle die erkleckliche Lücke markiert werden. Sie 
kann gutachtenaktuell nicht gefüllt werden. 
  
a1) 
Zu einigen Merkmalen des Verfassungsstaats der Neuzeit (mit 
europäisch-angelsächsischen Schwerpunkt) 
Max 
Weber hat den modernen Staat stimmig von anderen sozialen Organisationen 
durch sein ihm spezifisches Mittel unterschieden: Dem Monopol 
legitimer physischer Gewaltsamkeit. 
In 
einem mehrere hundert Jahre andauernden Monopolisierungs-Prozess 
ist es zuerst im europäisch-angelsächischen Kontext zunächst 
personal fassbaren Adeligen gelungen, sich in einem umfänglicheren 
Gebiet als Herr, selten auch als Frau eines Territoriums zu 
etablieren. Er tat dies mit geborgter Heereskraft. Er herrschte 
über Land und Leute, genauer über ein spätfeudal zerstückeltes 
Gebiet, ein ‚Nest der Zaunkönige‘. Die fürstliche oder königliche 
Herrschaft beschränkte sich auf eine Oberhoheit, eingeschlossen 
die hohe Gerichtsbarkeit. Sie presste an erster Stelle fürs 
Kriegsgeschäft in wachsendem Maße Steuern aus den Untertanen. 
Hierzu bedurfte er sich ausdehnender Verwaltung, die bald als 
Bürokratie eine eigene Macht im Rahmen der Herrschaftsmacht 
wurde. 
Unbeschadet 
seines adeligen Herrschaftspersonals versachlichte sich der 
‚Personenverband‘ als Staat mit seiner ‚Maschinerie‘. Rechtssetzung 
und Rechtsdurchsetzung im Sinne mehr oder minder formalisierter 
regierender Interessen wurden zur Regulierung der eigenen Verwaltung 
erforderlich. 
Das 
aus Staatsgewalt, ihrer absolutistischen Legitimation – „unmittelbar 
zu Gott“ – . der Rechtsetzung/Rechtsdurchsetzung und steuerlicher 
Zwangsabgabe komponierte Mehrfachmonopol, dem durchgehend der 
Gewaltanspruch und die Gewaltrealität unterlagen, erfuhr 
seit dem 17/18. Jahrhundert einen Prozess der Konstitutionalisierung. 
Dieser wurde vor allem vom expandierenden Stadtbürgertum 
und seinen ökonomischen Interessen vorangetrieben. Daraus 
folgten bis in die Gegenwart reichende Entwicklungen: Aus dem 
absolut regierten Staat wurde ein Verfassungsstaat. Die Willkür 
der Herrschaft (arcana imperii) wurde institutionell geordnet 
und in Maßen transparent. Das vom Staat beanspruchte Monopol 
der Gewalt wurde in wachsendem Maße bürgerlich legitimiert. 
Das geschah durch Wahlen von Repräsententen, die ihrerseits 
rechtssetzende Funktionen übernahmen. Das staatlich „gesatzte“ 
Recht – so die Webersche Formulierung, um auf den letztlich 
legislativ willkürlichen Akt der Rechtssetzung im Unterschied 
zu allem traditionalen Recht aufmerksam zu machen (dem „guten 
alten Recht“) – wurde aus einem primär herrschaftlich-bürokratischen 
Instrument auch eine Vorkehrung der Bürger. Die Gesetze 
sollten so deutlich und klar formuliert werden, dass die (Besitz-)Bürger 
zuerst vor allem wussten, ob, wann und wie in ihre Rechte, an 
erster Stelle ihre Besitzrechte, eingegriffen werden sollte, 
warum und wie (Differenzen zur common law-Tradition werden außer 
acht gelassen. Die Differenzen, mehr und mehr jedoch die Überschneidungen 
zwischen der zentraleuropäischen römischen Rechts- 
und der angelsächsischen common-law-Tradition werden hier 
nicht beachtet. Letztere unterstrich statt einer Regelsystematik 
die verfahrensrechtliche Seite: the due process of law). Der 
nächste Entwicklungsprung deutete sich in der amerikanischen 
und französischen Revolution zuerst an. Die Ausstattung 
von Verfassungen mit Menschenrechten, staatsvorgegeben oder 
Grundrechten (vor allem, lange erfolglos in deutscher Tradition) 
– letztere wurden prinzipiell als staatsgegeben angesehen. 
Diese 
nur summarich erinnerte Entwicklung hat bis heute vier Folgen: 
Zum 
ersten: Staat, seine Einheit und sein auf innere und äußere 
Sicherheit konzentriertes Monopol sind wie eine zweite Natur 
vorgegeben. 
Zum 
zweiten: Der Anspruch des Staates, die oberste Lizensierungsinstanz 
von zuerst physischer Gewalt zu verkörpern, wird durch dessen 
rechtliche Fassung und diese wiederum durch tendenziell allgemeine 
Wahlen aller Bürger- und seit dem 20. Jahrhundert Bürgerinnen 
als allgemein legitimiert. 
Zum 
dritten: der Staat agiert primär in Formen des Rechts. Diese 
sind doppelt bezüglich: staatsbezüglich und bürgerbezüglich. 
Die Eigenart des modernen, staatlich gesatzten Rechts – welche 
Institution immer als Legislative fungiere – besteht in der 
Zwillingekoppelung zwischen Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung. 
Die staatliche Exekutive und ihre hervorgehobenen Gewaltinstanzen, 
zuerst das Militär, später die Polizei sorgen dafür, dass gesatzte 
Rechte notfalls gewaltsam durchgesetzt werden. Staatlicher Zwang 
in diesem Sinne ist legal/legitim. Dadurch garantiert staatliche 
Gewalt über die legislative Genesis hinaus die tatsächliche 
funktionale Allgemeinheit der Gesetze und ihrer Legitimation. 
Zum 
vierten: im Laufe des 19. Und 20. Jahrhunderts mehr und mehr 
als Fundament und Horizont in einem verstanden fungieren Grund- 
und Menschenrechte als das, was man aus dem Englischen übersetzt 
den „werthaften Bezugsrahmen“ von Verfassung und Verfassungswirklichkeit 
des modernen (Verfassungs-)staats nennen kann. 
  
  
a2) 
Menschenrechte durch den Staat 
Die 
politische Form der Moderne, die von Europa/den angelsächsischen 
Ländern weltweit expandierte (vor, neben/mit und nach dem 
Kapitalisierungsprozess), der STAAT zeitige noch im Verlaufe 
der Verkündigung der Allgemeinen Menschenrechte zwei Folgen. 
Zum einen wurden die Menschenrechte naturrechtlich – siehe oben 
– vorstaatlich begründet. Zum anderen wurden sie, zuerst 
gegen den spätsabsolutistischen Staat gerichtet, als „individuelle 
Abwehrrechte“ gegenüber dem Staat, sozusagen als bürgerliche 
Rechtsreservationen innerhalb des Staates. 
Im 
Laufe der bürgerlichen Aneignung des Staates (und umgekehrt) 
– „die Bevölkerung“ wurde im 19. Jahrhundert nach französisch-amerikanischem 
Vorspiel erst ‚entdeckt‘ (und ökonomisch zentral) -, wurden 
die Staaten jedoch zu „N a t i o n a l staaten“ verinnerlicht 
und totalisiert. Sie wurden zur einzigen politischen Bezugs-, 
Rechts- und primären bürgerlichen Sicherheitsgröße. Die Konzeption 
der Menschenrechte als individueller bürgerlicher Abwehrrechte 
blieb zwar bestehen. Deren grundlegende soziale Voraussetzungen 
wurden nicht bedacht. Darum die sozialen und ethnischen Ausschlussformen 
der angeblich naturrechtlich allen gehörenden Menschenrechte 
quer durchs 19. Und 20. Jahrhundert. Aus Abwehrrechten gegenüber 
dem Staat, entgegen den potentiellen Eingriffen wurden jedoch 
vor allem Rechte durchgesetzt, gesichert und geschützt durch 
den Staat. Die (liberalen Verfassungs-)Staaten wurden zu Garanten 
der Menschenrechte. Die menschenrechtlichen Gefährungen auch 
durch die Verfassungsstaaten selbst wurden, um in der deutschen 
Terminologie zu bleiben, rechtsstaatlich abgepuffert. Dass nur 
nach Massgabe förmlich zustande gekommene Gesetze in bürgerliche 
Gerechtssame eingegriffen werden dürfe. Im Zuge der „Durchstaatung“ 
und gesetzlichen Durchdringung der Gesellschaft aber wurden 
Menschenrechte, meist ohnehin nahezu exklusiv bürgerrechtlich 
eingehegt, zu staatlich gewährleisteten oder versagten Ansprüchen 
und Normen. Darum konnte Hannah Arendt auch in ihrem mehr denn 
je aufrüttelnden Kapitel über die Displaced Persons, Staatenlose 
also, von einer Krise des Nationalstaats und den daraus folgenden 
Aporien der Menschenrechte reden. 
  
a3) 
Menschenrechte staatenlos 
Von 
allem menschenrechtlichen und verfassungsstaatlichen Anfang 
an stellte sich jedoch nicht nur die Frage der gesellschaftsinneren 
Begründung und Sicherung der Menschenrechte. Sozusagen die „soziale 
Frage“ der Menschenrechte binnenstaatlich zunächst eng verbunden 
mit der Geschichte der Arbeiterklasse, lange verborgener, der 
Geschichte der Frauenbewegung, heute vor allem den Bereichen 
der Sozial-, der Arbeitsmarkt- und der Gesundheitspolitik. Darüber 
hinaus wurde im Zuge nationalstaatlich zunehmender politischer 
Schließungen die Frage menschenrechtlich dringlich, wie mit 
den Nichtbürgerinnen und Nichtbürgern verfahren werden solle, 
könne, müsse, die aus politischen und anderen Gründen des Lebensdarfs 
migrierten, Arbeit, Aufenthalt und Schutz suchten: die Menschen, 
die um politisches Asyl an die nationalstaatlichen Türen pochen, 
an erster Stelle (vgl. die exemplarische Studie am Exempel Frankreichs 
von Gabriel Noiriel: Die Tyrannei des Nationalen, 1984. Otto 
Kirchheimer, nazigezwungener deutscher Emigrant in den USA hat 
dem „Lakmustest“ der Menschenrechte qua Praxis der Handhabung 
des Asylrechts durch die Staaten den Kern seines Lebenswerks 
gewidmet. Cf. Otto Kirchheimer: Political Justice, ). Das Thema, 
ob, in welchem Ausmaß und wie nationalstaatliche Grenzen von 
wem überschritten werden können und was mit ihnen nach Grenzübertritt 
geschieht, ist heute nationalstaatlich oder für ganze Blöcke 
von Nationalstaaten wie die EU brisanter denn je. Das handlungsleitende 
Wissen um die unsäglichen Opfer von Flucht und Vertreibung, 
das noch die Menschenrechtserklärung der UN von 1948 und insbesondere 
das Grundrecht auf politisches Asylrecht des Grundgesetzes von 
1949 stark beeinflusste (Art.16 II GG), hat abgenommen. Es ist 
ins Lob der Routine nationalstaatlicher Interessenpolitik eingegangen, 
das durch die verschärfte globale Konkurrenz allemal begrenzte 
nationalstaatliche Offenheit zusätzlich mit Hacken und Ösen 
versehen hat. Das aber heißt: Menschenrechte als die Lebensansprüche 
aller Menschen überall in ihren Besonderheiten sind mitten in 
ihrer fast globalen Anerkennung gefährdeter denn je. Die Nationalstaaten, 
worin immer ihr „nationales Ferment“ bestehen mag, sind kein 
Hort der Menschenrechte. Letztere sind ihrerseits staatenlos. 
Diese Feststellung gilt nicht „nur“ in Sachen Flüchlinge sans 
papiers und Flüchlinge, die aus politischen wie humanitären 
Gründen Asyl suchen. Als wären für Menschenrechte sogenannt 
„humanitäre“ Gründe zweitrangig, ein Widerspruch schon im Beiwort! 
  
  
a4) 
Menschenrechte und die Grenzen des Staates 
Der 
junge W. v. Humboldt hat zu kaum noch vergleichbarer Zeit vor 
rund 200 Jahren über die „Grenzen des Staates“ liberal idealistisch 
gehandelt. Zu Zeiten durchstaateter und durchregulierter Gesellschaften 
heute, gerade im europäisch-angelsächsischen Kontext kann darauf 
nicht mehr analogisierend zurückgegriffen werden. Sehr wohl 
aber empfiehlt es sich, frühliberale Vorstellungen und Vorkehrungen 
in ihrer normativen Qualität und ihrer institutionellen Lösung 
von Problemen zu erinnern, wenn man die heute quantitativ und 
qualitativ ungleich umfänglicheren und komplexeren Probleme 
menschenrechtlich angemessen angehen will. Die Menschenrechte 
sind, auch wenn sie seinerzeit unzureichend begründet und konzipiert 
worden sind, nicht umsonst liberal bürgerliches, aufklärerisch 
emanzipatorisches Erbe. Einige Stichsätze müssen verdichtend 
genügen: 
Zum 
ersten: Nicht die Staatssicherheit steht an erster Stelle, die 
gewährleistende Sicherung der Menschenrechte zählt als Schlussstein 
jedes demokratischen, auf alle Menschen bezogenen Verfassungsgewölbes. 
Von den Menschenrechten ist der Ausgang zu nehmen. Sie bilden 
die Hefe. 
Zum 
zweiten: der (zweite) ‚Naturanspruch‘ des modernen Staates ’seine‘ 
ungeheuer expandierten Angelegenheiten durch den Anspruch, die 
Druck- und Drohkraft seines Gewaltmonopols und durch dessen 
Einsatz zu regeln, ist nicht einfach aufzuheben. Er ist jedoch 
als demokratisch und menschenrechtlich dauernd problematisch 
zu behandeln. In gewissem Sinne ist das ‚Mitbringsel‘ des absolutistischen 
Staates in die bürgerliche Verfassung und deren menschen-, 
wie grundrechtlich normierte Fundierung nie zureichend eingemeindet 
worden. Oder es hat sich – vergleiche die Geschichte der USA 
– im Zuge der inneren und äüßeren Expansionen 
mitsamt den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts, dem Kalten Krieg 
und den ökonomisch-technologischen Globalisierungen neu 
und riesig herausgebildet: das staatliche Gewaltmonopol, seine 
legitimatorische Aura, seine nicht mehr übersehbare, spinnennetzdichte 
rechtlich-institutionelle Durchdringung der Gesellschaft. Sollen 
zu später Stunde ernsthafte Reformen in Gang gesetzt werden, 
um der globaler geltungsweit und zugleich mehr denn je prekär 
gewordenen Menschenrechte willen, dann ist nicht nur der niemand 
mehr übersichtliche bürger- und politikfeindliche 
Regulierungskomplex zu entflechten, der längst globale 
Ausmaße erreicht hat und weiterwuchert. Es gilt in seinem 
Umkreis den Umgang mit staatlicher und zwischenstaatlicher Gewalt 
gründlich anzugehen. An erster Stelle ist der staatliche 
Einsatz von Mitteln unmittelbarer Zwangsgewalt den eigenen Bürgerinnen 
und Bürgern gegenüber radikal zu überdenken, 
nämlich ist an die Wurzeln des funktionalen Sinns zu gehen. 
Dementsprechend sind im Gegensatz zu den aktuellen Tendenzen 
der unbegrenzten, technologisch geförderten und scheinsublimierten 
Strafverrechtlichung die Grenzen des Strafrechts und die Grenzen 
der im Strafrecht verankerten Zwangsgewalt einschließlich 
entsprechender polizeirechtlicher Ermächtungen und Handhaben 
neu zu ziehen. Mehr denn je zuvor steht eine Große Strafrechtserforrm 
an mit eigener, von den Grund- und Menschenrechten in einer 
Demokratie ausgehenden Systematik. In allen Bereichen staatlicher 
Lizensierung von Zwangsgewalt sind diese Lizensierungen, der 
Sache nach durchgehend kontraproduktiv nicht nur menschenrechtswidrig 
zu kassieren. 
Zum 
dritten: Eine Sonderrolle spielt staatsalt das Monopol legitimer 
physischer Gewaltsamkeit in seiner militärischen, Staatskriege 
lizensierenden, zum Kernbestand staatlicher Souveränität weit 
vor und über allen Bürgern erhebenden Zuspitzung. Hierzu erste 
Abhilfe zu schaffen wurde die UN 1945 nach dem massenmörderischen 
Weltkrieg unvorstellbaren Ausmaßes geschaffen. Ihre Charta schon 
vor der Menschenrechtserklärung menschenrechtlich zentral hebt 
geschichtlich erstmals die Kriege als „Fortsetzung der Politik 
mit anderen Mitteln“ auf. Die weiteren, auch innenpolitischen, 
den Auf-, Aus- und Umbau der Militärapparatebetreffenden Konsequenzen, die über sechzig Jahre nach 
der Gründung der UN dringlicher denn je anstehen, sollen an 
dieser Stelle nur erneut als dringend zu schließende Lücke vermerkt, 
nicht einmal schlagwortartig angedeutet werden. 
Zum 
vierten: Die Disability Convention hat nicht allein das Verdienst, 
klipp und klar und ausnahmslos festzustellen: Menschenrechte 
gelten strictu sensu für alle Menschen gleicherweise, wie immer 
sie ihr Leben gestalten. „Normal“ oder „Anders“. Dort, wo Menschen 
ihr Leben ob mancher mangelnden Fähigkeiten und Fertigkeiten 
nicht so gestalten können, wie sie eventuell wollen, sollen 
ihnen alle Mittel zur Verfügung gestellt werden, die ihren eigenen 
Bedürfnissen entsprechen. In jedem Fall ist jeder Zwang, „Normal“ 
zu sein, sich „Normal“ zu verhalten ausgeschlossen. Auch die 
beste Hilfe verkehrt sich in ihr Gegenteil, wird sie zwangsweise 
und in Zwangssituationen, als da sind alle geschlossenen Einrichtungen, 
angeboten oder ist die Hilfe in irgendeiner Hinsicht mit Zwangsfolgen 
verbunden. Es gibt keine „normale“ Unverstehrtheit. Es sei denn 
die selbstbestimmte. Ein demokratisch und menschenrechtlich 
begründetes Gemeinwesen, genannt Staat, verstößt gegen sich 
selbst, wenn es Zwangskompetenzen übt oder leiht, die der Selbst- 
und Mitbestimmung entgegenstehen. Sobald Zwangsgewalt in jeder 
unvermittelten instrumentellen Form und in jeder Situation ohne 
Ausweg für den betreffenden Menschen geübt werden soll, ist 
die eindeutige Grenze staatlicher Gewalt erreicht. Diese eindeutige 
Grenze befreit staatliche und staatlich lizensierte Institutionen 
dazu, phantasievoll menschlich akzeptable Umgangsformen zu finden, 
die nie und nimmer das nur zusammenfahrende Tandem: Unversehrtheit 
und Selbstbestimmung gefährden. 
  
  
  
  
II. 
 
 
Wenige Schlussfolgerungen in Sachen Disability Convention 
Nach 
den unvermeidlich grundsätzlichen und darum zugleich spezifischen 
Ausführungen zu einigen Konturen und Dimensionen der Menschenrechte – dass Allgemeine und Besondere ist gerade in ihnen dauernd 
im je anderen enthalten -, mag es genügen, einige Schlussfolgerungen 
im Hinblick auf das die Disability Convention zu pointieren. 
Insgesamt belegt die Convention ein Doppeltes. Zum einen, dass 
man mit „abweichendem“ Verhalten menschenrechtlich demokratisch 
nur dann angemessen umgehen kann, wenn man „die Normalität“ 
weitet und ändert. Unzulässig ist es in jedem Fall: im Verhalten 
abweichende Menschen auszuschließen, indem man ihnen ihre Normalität 
verweigert. Gewaltanwendung ist in jeder Hinsicht illegal und 
illegitim. Recht bleibt nicht Recht, das angeblich zu Gewalthandlungen 
ermächtigt. In diesem Sinne ist die Disability Convention eine 
Ability Convention, eine, die instandsetzen soll, politisch, 
gesellschaftlich allgemein menschenrechtlich zu verfahren. In 
diesem Sinne bietet die Convention eine große Chance. Zum anderen 
lebt die Convention vom Wissen, dass man mit Menschenrechten 
nicht verfahren kann wie einem Fiaker in Wien, den man am Ring 
besteigt, dem man am Schwedenplatz entsteigt, jeweiils in Sachen 
Fiaker voraussetzungs- und der Fahrt mit ihm folgenlos. Wer 
Menschenrechte sagt, bewahrt die Menschenrechte aller in sich 
auf und zieht für die eigene Praxis entsprechende Konsequenzen. 
Die eigenen Menschenrechte sind so gut, wie sie in den Menschenrechten 
aller, der Mühseligen, Beladenen aufgehoben sind. Dass Menschen 
verachtet werden, dass sie verkommen, dass ihnen Gewalt angetan 
wird – all das sind keine menschenrechtlichen Verben und mit 
ihnen verbundene Verhaltensweisn. 
  
1.       
Die Disability Convention gibt die Spannung 
wider, dass alle Menschen unterschiedlich behindert undbeeinträchtigt sind. Es gibt keinen perfekten 
Menschen, er wäre denn ein höheres, den Körper transzendierendes 
Wesen. Aus den Unterschieden und der geschöpflichen Einheit 
des Menschen folgen drei ineinander verhakte Imperative. Sie 
sind recht verstanden alle in Kants kategroischen Imperativen 
enthalten: Menschen dürften Menschen nie primär als Mittel behandeln; 
Menschen müssten sich anderen Menschen gegenüber so verhalten, 
dass sie der Menschheit, also den gesammten Möglichkeiten und 
Ansprüchen des Menschen gegenüber Rechenschaft ablegen könnten. 
a)      
Menschen sind im Rahmen der Spezies homo 
sapiens in fast jeder sonstigen Hinsicht historisch gegenwärtig 
so verschieden, dass sie ihre Einheit als Menschen und ihre 
einheitliche Qualität Menschlichkeit nur erringen, bewahren 
und bewähren können, wenn sie in allen verwandte Ansprüche und 
Rechte wahrnehmen. 
b)     
Andere und ihr anderes Verhalten sind keine 
allein wahren Normalität zu unterwerfen. Es gibt keine 
Tugend oberhalb der Fülle der andersartigen Menschen. Sonst 
bleibt im Exzess nur die Robespierre’sche Devise: die (von ihm 
und dem „Wohlfahrtsausschuss“ seinerzeit angeblich gekannte) 
„Tugend“ „muss“ „durch den Schrecken herrschen.“ Dann spielen 
„Humanismus und Terror“ zusammen (Merleau-Ponty). 
 
  
c)      
Menschen sind wechselweise auf Hilfe angewiesen. 
Manche mehr als andere. In diesem Sinne kann das angezeigt sein, 
was in den USA nach 1970 „Affirmative Action“ genannt worden 
ist. Alle Hilfe hat dort ihre Grenze, wo sie die selbstbestimmte 
Integrität dessen, dem geholfen werden soll, im Zugriff, nicht 
aufgedeckten Eingriff und in einer auswegslosen Falleneinrichtung 
nicht geachtet werden. Zu solcher Hilfe gehören jedoch nicht, 
gerade wenn man dem Sinn der Convention folgt, dass zum einen 
besonderer Wert auf „Statistik und Datensammlung“ im Umkreis 
von Behinderten diverser Art gelegt wird (vgl. Art.31 und an 
anderen Stellen). Die gesammenten Daten sollen auch pauschal 
formuliert „soweit erforderlich desagggregiert und dazu verwendet 
werden ..“ (Art.31, 2.). Daten/Informationen sind bekanntlich 
fast nie „unschuldig“ und verwendungsneutral. Also müsste in 
diesem Zusammenhang mindesteens ein feinziselierter Datenschutz 
vorgesehen werden. Zum anderen können die „internationale Zusammenarbeit“ 
in Sachen „Entwicklungsprogramme“, „Technologien“ u.ä.m. (Art.32) 
für diejenigen, denen sie gilt, äußerst ambivalent ausfallen. 
Schon Art.25 b) zur „Gesundheit“ ist fragwürdig. Es kommt dort 
wie anders nahezu alles auf die Umsetzung an. Dieser Artikel 
steht auch in Spannung mit dem gesamten Ansatz der Disability 
Convention die ‚Normalität der Abweichungen‘ hervorzuheben und 
Hilfen nicht zu Ansatzpunkten erneuter Diskriminierungen werden 
zu lassen. Unter Art.25 b) heißt es: „die Gesundheitsgebiete 
anbieten, die von behinderten Menschen speziell wegen ihrer 
Behinderungen benötigt werden, gegebenenfalls einschließlich 
der Früherkennung und Frühintervention, sowie Dienste, um weitere 
Behinderungen möglichst gering zu halten oder zu vermeiden …“ 
Als wären „Früherkennung“ und „Frühintervention“ im Vollzug 
so unproblematisch, wie sie sich lesen. Als stünde in diesem 
Zusammenhang nicht die gesamte Integrität eines Menschen und 
einer Menschengruppe eventuell zur Disposition – ein allgemeines 
Problem gesundheitspolitischer Prävention. 
  
2.       
Normalität als „Normalitätsgewalt“, und 
sei sie noch so gesetzlich vertäut und mit den besten Absichten 
verbunden, ist nicht akzeptablel. Die jeweilige Normalität ist 
zu erweitern. Verständlicherweise schwankt die Convention zwischen 
zwei Forderungen hin und her, die ihrerseits nicht wie ein Entweder-Oder 
zu behandeln, sondern additiv und ergänzend zu verwirklichen 
sind. Zum einen wird von den „Vertragsstaaten“ „ein integratives 
Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslange Fortbildung“ 
propagiert. Von „vollständiger Integration“ u.ä, ist die Rede 
(Art.24 1., 2d und anderwärts). In anderem, allerdings eher 
materiellen Zusammenhang ist von „behinderungsspezifischen Bedürfnissen“ 
(Art.28 2a) die Rede. Es ist hier nicht zu richten. Wohl aber 
ist es sehr wohl angebracht, dass möglichst überall – das gilt 
analog für nicht auffällig behinderte Menschen sonst ebenso – Alternativen angeboten werden: Beispielsweise „integrative“ 
Bildungsangebote mit Angeboten, die die Sonderheiten achten, 
ohne daob Diskriminierungen Auskristallisierungschancen zu bieten. 
  
 
  
3.       
Zwangsfrage 1: Die Convention verdient 
dort nachdrücklich in ihrer menschenrechtlichen Stimmigkeit 
hervorgehoben zu werden, wo sie sich zur „persönlichen Freiheit 
und Sicherheit“ äußert.  
Art.14 lautet: 
„Persönliche Freiheit und Sicherheit 
1.    
 
Die Vertragsstaaten 
gewährleisten, dass behinderte Menschen gleichberechtigt mit 
anderen 
a)      
das Recht auf persönliche Freiheit und 
Sicherheit genießen; 
 
  
b)     
die Freiheit nicht rechtswidrig oder willkürlich 
entzogen wird, dass jede Freiheitsentziehung im Einklang mit 
dem Gesetz erfolgt und das Vorliegen einer Behinderung in keinem 
Fall eine Freiheitsentziehung rechtfertigt.“ 
Diesen unmissverständlichen Normgehalt hat das Rechtsgutachten 
von W. Kaleck und anderen mit triftiger Begründung als Grundlage 
benutzt, umgrund-, menschenrechts- 
und grundrechteschlüssig herauszuarbeiten, dass das Berliner 
PschyKG (wie alle ähnlichen PsychKGs anderer Bundesländer), 
das Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung zum Recht erhebt, 
Unrecht ist. Diese schon zuvor unabweisbare Feststellung ist 
durch das Rechtsgutachten zur Convention, das diese auf bundesdeutsches 
Recht anwendet, vollends erhärtet worden. Klipp und klar gilt: 
Gesetze, die erlauben, Personen in geschlossene Anstalten zu 
bringen , die als „psychisch krank“ bezeichnet und ärztlich 
diagnostiert werden, sind nicht rechtens im grund- und menschenrechtlichen, 
nun von der UN-Convention wiederholten, weil schon in der Allgemeinen 
Erklärung der Menschenrechte von 1948 implizierten Sinn. 
Ebenso ist grund- und menschenrechtswidrig, so Art.1 
Abs.3 GG zählt, dass Personen, die ärztlich als psychisch krank 
diagnostiziert worden sind, sei es in einer geschlossenen Anstalt, 
sei es anderswo in einer Weise zusätzlich zwangsbehandelt werden, 
dass sie pharmazeutische Mittel einzunehmen gedrungen werden, 
beispielsweise mit dem zusätzlichen Mittel von Drohungen. Menschen- 
und gesetzeswidriger Zwang ist es dazuhin – im Rahmen psychiatrischer 
Behandlungen und ihrer Geschichte hat es zu viele Untaten gegeben – irgendwelche sonstigen Zwangsinstrumente als da sind Fesselungen, 
Schickbehandlungen und dergleichen im Umgang mit Menschen zu 
verwenden. Psychiatrie, die sich irgendwelcher Zwangsmittel 
bedient, ist nicht als Wissenschaft oder Heilkunde zu verbuchen, 
sondern als staatlich nicht lizensierbare Zwangsausübung. Sonst 
geschähe, mit Gustav Radbruch gesprochen, gesetzliches Unrecht. 
  
4.       
Zwangsfrage 2:So unmissverständlich Art.14 Abs. 1 der Convention 
ausgefallen ist, so eindeutig und klar das Berliner Rechtsgutachten 
normativ im Rahmen der Menschenrechte und des Grundgesetzes 
wie empirisch aufgrund entsprechende Untersuchungen zu Verhaltensweisen 
sogenannt psychisch Kranker ausführt, es bleiben in Art.14 Abs.1 
und vor allem in Art 14 Abs. 2 mögliche Fehlverständnisse.  
Im zitierten Art. 14 Abs.1 b) kommt die Formulierung 
„und das Vorliegen einer Behinderung in keinem Fall eine 
Freiheitsentziehung rechtfertigt“ in einem „dass“-Satz, 
in dem zuerst ausgedrückt wird, die Vertragsstaaten gewährleisteten, 
„dass jede Freiheitsentziehung im Einklang mit dem Gesetz erfolgt.“ 
Liest man diesen Satz zusammen mit seinem folgenden, der gerade 
angeführt worden ist, dann heißt das: es kann kein 
rechtmäßiges Gesetz vorliegen, kein Behördenvertreter, 
kein Arzt und kein Richter dürfen sich daran halten, wenn 
irgendeine Behinderung und eine Äußerung, die mit 
ihr in Verbindung steht, dazu herhalten soll, jemandes Freiheit 
zu entziehen. 
  
 
  
5.       
Zwangsfrage 3: Art 14 Abs.2 lautet: 
„Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass behinderte 
Menschen, denen aufgrund eines Verfahrens ihre Freiheit entzogen 
wird, gleichberechtigten Anspruch auf die in den internationalen 
Menschenrechtsnormen vorgesehenen Garantien haben und im Einklang 
mit den Zielen und Grundsätzen dieses Übereinkommens behandelt 
werden, einschließlich durch die Bereitstellung angemessener 
Vorkehrungen.“ 
Diese Artikelpassage ist erneut unmissverständlich zu 
vertäuen. Was meint es, wenn formuliert wird, behinderte Menschen 
„denen aufgrund eines Verfahrens ihre Freiheit entzogen wird“ 
? Kaleck und andere interpretieren sie korrekt. Behinderten 
Menschen kann als „b e h i n d e r t e n“ Menschen, das heißt 
aufgrund irgendeiner Eigenschaft und Verhaltensweise, die infolge 
ihrer Behinderng entsteht und erklärlich ist, ihre Freiheit 
in keiner Nuance entzogen werden. Verfahren, die diese Exklusion 
einer Fülle von möglichen Urteilsgründen nicht peinlich berücksichtigen, 
die im Zweifelsfalle nicht auf behinderungsbedingteUrsachen erkennen, sind rechtswidrig, die betreffenden 
Gesetze sind vor dem Urteilshof der Menschenrechte und seinen 
Spiegelungen in liberaldemokratischen Verfassungen null und 
nichtig. 
  
  
6. 
Zwangsfrage 4: § 63 StGB lautet: 
„Unterbringung 
in einem psychiatrischen Krankenhaus. Hat jemand eine rechtswidrige 
Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der 
verminderten Schuldfähigkeit (§21) begangen, so ordnet 
das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus 
an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner 
Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche 
rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für 
die Allgemeinheit gefährlich ist.“ 
Liest 
man diesen Paragraphen ruhig und genau durch, dann springt ins 
Auge, wie fahrlässig und pauschal in einem Strafrechtsparagraphen 
formuliert wird, der zum offenen Tor nicht ins Freie, sondern 
in einer psychiatrische Zwangsanstalt wird. Schon das, was ein 
„psychiatrisches Krankenhaus“ ausmacht, wird nicht 
präzisiert. Dann folgt eine zweigliedrige Kette zusammengegliedert, 
so das pauschale Ausdrücke möglich machen, aus G e 
s a m t würdigungen von Täter und Tat. Aus solchen 
gekoppelten Pauschalitäten wird eine dritte übergreifende. 
Unbestimmt bleibt der „Zustand“ des Täters. Wird 
er gerichtlich oder psychiatrisch „sachversändig“ einer 
– und welcher? – Anamnese unterworfen? Nun folgt die große 
Kunst der Prognose, deren Anhaltspunkte und deren Methode erneut 
radikal, sprich bis zum Grund der Prognose offen bleiben. Die 
Fülle der dazuhin meist unerkannten, weil in Anstalten 
umgekommenen Prognosen bzw. Prognostizierten geht auf keine 
Kuhhaut. Das einzige Element der Progose, das verlässlich 
prognostizierbar ist, ist ihre aller verlässlichen Professionalisierung 
spottende Willkür. Die Krone der Pauschalitäten, wenn 
dieses krumme Bild gestattet ist, aus denen der § 63 StGB 
geradezu perfekt besteht, wird aus der ihrerseits pauschal unterstellten 
pauschalen „Gefährlichkeit“ für das zusammengestellt, 
was höchst präzise „Allgemeinheit“ genannt wird. Was 
für ein Strafgesetzparagraph, der nach dem Skakesspearschen 
Motto urteilen lässt: was euch gefällt! Der seriöse 
Gesetzgeber sollte ihn so oder bei bei nächster Gelegenheit 
pauschal kassieren. 
  
Dieser 
§ 63 StGB widerspricht zusätzlich der Disability Convention 
restlos. Hier wird jemand wegen seiner Behinderung bestraft. 
Jeden auch nur hauchhaft sachverständige Person weiß – von den 
betroffenen Personen, die zwangspschiatrisch einquartiert werden, 
zu schweigen -, dass dieser Art von „Sicherheitsverwahrung“ 
jede trotz allem ungleich berechenbarere und rechtssichere Justizvollzugsanstalt 
vorzuziehen wäre. Wolfgang Kaleck und andere haben in ihrem 
Rechtsgutachten erneut das Nötige dazu gesagt. Sie haben zugleich 
auf die erdrückende Fülle von Erfahrungen hingewiesen, die belegen, 
dass Menschen, die man in ein „psychiatrisches Krankenhaus“ 
gerichtsurteilzwingen will, gerade keine „Gefahr für die Allgemeinheit“ 
darstellen, sollte diese Gefahr in Gewaltäußerungen gegen andere 
oder sonstigen Gefahren für Leib und Leben bestehen. 
Schließlich 
haben Kalek und andere auf eine ungewöhnlich klarsichtige, in 
jedem Satz juristische Kompetenz zeigende Hamburger Dissertation 
von Annelie Prapolinat am Fachbereich Rechtswissenschaften aus 
dem Jahr 2004 hingewiesen. Ihr Titel (im Internet zu finden): 
„Subjektive 
Anforderungen an eine ‚rechtswidrige Tat‘ bei § 63 StGB“. 
 
Hat 
man A. Prapolinats Arbeit gelesen und studiert erneut § 63 StGB, 
dann zerfällt dieser wie schimmlige Pilze rasch und ohne Überbleibsel. 
Ein Zitat aus der 109 engzeilige Seiten umfassenden Monographie, 
einem Muster bester juristischer Dissertation mag und muss an 
dieser Stelle genügen: 
„Nach 
der Vorsatztheorie ist das Unrechtsbewusstsein Teil des Vorsatzes. 
Geht der Täter irrtümlich vom Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen 
eines Rechtfertigungsgrundes aus, ist darin nach Vorsatztheorie 
ein Tatbestandsirrum zu sehen. § 16 I 1 findet direkte Anwendung: 
mangels Vorsatz liegt keine rechtswidrige Tat vor. Zu einer 
direkten Anwendung des § 16 I 1 gelangt auch die Lehre von den 
negativen Tatbestandsmerkmalen (die der eingeschränkten Schuldtheorie 
im weiteren Sinne zugerechtnet werden kann), welche einen zweistufigen 
Deliktaufbau vertritt und mit Annahme der objektiven Bedingungen 
der Strafbarkeit und der Schuldelemente sämtliche unrechtsbegründenden 
und – ausschließenden Merkmale unter den Begriff des Gesamt-Unrechtstatbestandes 
faßt.“ 
Nach 
dieser Ansicht gehören zum Vorsatz sowohl die Kennnis aller 
positiven Umstände des Tatbestandes als auch das Wissen um das 
Nichtvorliegen der sog. Negativen Tatbestandsmerkmale, das heißt 
z. B. Merkmalen eines das Verhalten im konkreten Falle rechtfertigenden 
Erlaubnistatbestandes. Nach der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen 
entfällt bei irriger Annahme rechtfertigender Tatumstände damit 
der Vorsatz als solcher. Eine analoge Anwedung des § 16 I 1 
bejaht die eingeschränkte Schuldtheorie im engeren Sinne. Die 
Vertreter dieser Meinung sehen die Merkmale von Tatbestand und 
Erlaubnisbestand im Hinblick auf die Frage nach der Strafrechtswirdigkeit 
eines Verhaltens als qualitativ gleichwertug an. Mithin müsse 
ein Erlaubnistatbestandsirrum die gleiche rechtliche Behandlung 
erfahren wie ein Tatbestandsirrum. Die dogmatische Behandlung 
eines Erlaubnistatbestandsirrums innerhalb der eingeschränkten 
Schuldtheorie im engeren Sinne ist allerdings uneinheitlich. 
So werden differenzierend Vorsatzunrecht oder Handlungsunwert 
der Tat verneint. Im Gegensatz zu den drei genannten Theorien 
ist nach der strengen Schuldtheorie der Irrtum über die tatsächlichen 
Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes als ein Verbotsirrtum 
im Sinne des § 17 anzusehen. 
  
6.       
Zwangsfrage 5. Kurzum, wie immer man die 
strafrechtlich erkannte Frage der Tatschuld behandele, zu welchen 
Folgerungen man gelange, wie gegebenenfalls der Strafvollzug 
zu gestalten sei – alles höchst relevante und in Sachen staatlicher 
Zwang menschenrechtlich prekäre Angelegenheiten, die nach Alternativen 
verlangen -, fraglos ist: folgt man der Disability Convention 
und ihrem insgesamt überzeugenden menschenrechtlichen Gehalt 
und folgt man ihrer konsequeten Um- und Übersetzung des Berliner 
Rechtsgutachtens auf die PsychKG Berlins dann gibt es nur einen 
menschenrechtlichen und grundrechtlichen, also dem Grundgesetz 
angemessenen Weg: jegliche Zwangsbehandlung behinderter Menschen, 
hier vor allem diejenige sogenannt psychisch Kranker ist strikt 
ausgeschlossen. 
  
  
  
III. 
 
 
Knappe abschließende Bemerkungen. Diese werden sobald ausgeführt, 
die die grundsätzlich nötige Entscheidung des grund- und menschenrechtsbewussten 
Gesetzgebers getroffen ist 
 
  
1.      
Bezogen zunächst allein auf den Bereich 
der sogenannt psychisch Kranken, der Psychiatrie und ihren Einrichtungen,Ist die Entzwingung aller derjenigen erfolgt, die in 
ihrem Verhalten Stücke weit von dem abweichen, was Normalität 
genannt wird (und interpretatorisch auch die Normen und ihre 
Auslegung dominiert), steht eine Reform der Psychiatrie und 
ihrer Berufe an erster Stelle der Dringlichkeitsliste. 
2.      
Zusammen mit der überfälligen Reform der 
Psychiatrie ist es vonnöten die Berufspraxis und die Institutionen 
der psychiatrischen Berufe zu ändern. Zu allererst müssen die 
Geister der Transparenz und der ausweisbaren Kompetenz die Institutionen 
durchwehen. Ein Abschied von Mitteln ist geboten, deren Wirkungen 
nur behauptet werden. Nur Mittel sind zwangsfrei auszuhändigen, 
freiwillig, informiert und beraten von den Menschen nachgesucht, 
die sie selbstentschieden bedürfen. 
 
  
3.     
Was ansatzweise mancherorts schon Wirklichkeit 
geworden ist, ist auszubauen und konsequent fortzusetzen. Die 
Schaffung von sozialen Räumen nämlich, in denen Menschen ohne 
repressive Behandlung ihr Leben leben können, das sie auf dem 
’normalen‘ Arbeits- und Wohnmarkt nicht gleicherweise führen 
können und wollen. 
4.      
Im Kontext des menschenrechtlichen Begründung 
wurde auch und vor allem staatliche Gewalt als erhebliches Problem 
aufgeworfen. Zuerst in den Bereichen, in denen Menschen unmittelbar 
staatlicher Gewalt unterworfen sind, zugleich aber und im Sinne 
eines großen demokratisch menschenrechtlichen Reformprojekts 
darüberhinaus sind alternative Formen der Konfliktlösungen jenseits 
innerer und äußerer Gewalt gerade zu Zeiten der Globalisierung 
und zunehmender Gefahren kollektiver Gewaltkonflikte dringender 
denn je. 
Gez. 
Prof. 
Dr. Wolf-Dieter Narr 
Freie Universität Berlin 
Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften FU Berlin 
Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft 
 
Potsdamer 
Straße 41, 12205 Berlin 
Telefax: 
(030) 833 7162 
 
Diesen 
Kommentar zum Ausdrucken: als PDF-Datei herunterladen  |